150 Jahre Wiener Staatsoper: Highlights von 1978-2014

Xl_wiener_staatsoper-150_jahre-5-20 © Arthaus Musik

Die Auswahl war sicherlich nicht leicht, denn es gibt Unmengen von Aufzeichnungen von Opernaufführung an der Wiener Staatsoper. Und es gibt davon auch viele exemplarische Highlights. Aber man wollte zum 150-Jahr Jubiläum ein optisches und akustische Zeichen setzen, und so musste doch wohl oder übel aus dem reichen Fundus ausgewählt werden. Geworden ist es eine DVD-Box, 150-Jahre Wiener Staatsoper erschienen bei ARTHAUS MUSIK Nr. 109395 mit neun Opern und insgesamt 11 DCDs, leider gänzlich ohne Begleitmaterial, die von 1978 bis 2014 nur einen kursorischen Querschnitt darstellen und hier auch nur kursorisch besprochen werden können. Die Aufnahmequalität sowohl akustisch wie auch visuell ist auch sehr unterschiedlich, insgesamt jedoch recht gut bis sehr gut.

Vom Mai 1978 stammt die Aufnahme von Giuseppe VerdisIl trovatore mit dem damaligen Dirigenten-Gott Herbert von Karajan am Pult, der ja bekanntlich selbst einige Zeit die Wiener Staatsoper leitete, aber im Zorn geschieden war aber dann wieder zurückkehrte. Von ihm stammt auch die Inszenierung aus 1963, in der Ausstattung von Teo Otto, sehr dunkel und konservativ, aber klar die Geschichte erzählend. Am Pult des Orchesters der Wiener Staatsoper vermochte er den für ihn bekannten großen Sound und Klang sowie viel zündendes Feuer zu entfachen. Für den Manrico war eigentlich Franco Bonisolli vorgesehen, der allerdings bei der Generalprobe die Nerven schmiss, weswegen für die Aufzeichnung der damals Mitte 30 Jahre alte Plácido Domingo zum Zug kam und diese Partie mit allen Spitzentönen herrlich sang. Ihm zur Seite weitere Spitzensänger der damaligen Zeit wie Raina Kabaivanska (Leonore), Fiorenza Cossotto (Azucena) sowie Piero Cappuccilli (Luna). Wie bei Karajan üblich waren bei seinen Aufführungen selbst die kleinsten Partien, etwa jene des Ferrando mit José van Dam oder jene des Riuz mit Henz Zednik luxuriös besetzt.

Garantierte musikalische Sternstunden erlebte man auch, wenn Carlos Kleiber ans Pult trat, der sich leider auch in Wien sehr rar machte. Warum man allerdings für diese DVD-Box nicht seinen legendären „Rosenkavalier“ von Richard Strauss, der noch dazu als eine der, wenn nicht überhaupt als die „wienerischte“ Oper gilt, auswählte sondern Georges Bizets „Carmen“ bleibt unerfindlich. Trotz seines hinreißenden Dirigats und der wunderbaren Interpretation durch das Orchester der Wiener Staatsoper hatte er damals im Dezember 1978 vielleicht doch nicht die bestmögliche Besetzung zu Verfügung. Denn abgesehen von einem Plácido Domingo (Don José) in Topform, erfüllten Elena Obrastzowa in der Titelpartie sowie Yuri Mazurok (Escamillo) und Isobel Buchanan (Micaela) nicht die hohen Ansprüche des Staatsopernpublikums. Die bunte, ästhetische und historisch zeitlose Inszenierung von Franco Zeffirelli, wie immer auch sein eigener Bühnenbildner, ist auch heute noch am Haus zu sehen und wird immer noch vom Publikum sehr geschätzt.

Von 1982 bis nur 1984, also viel kürzer als erwartet, war Lorin Maazel Staatsoperndirektor. Im Juni 83 dirigierte er die Premiere von Giacomo Puccinis „Turandot“. Dabei fielen im Orchester der Wiener Staatsoper seine langsam gewählten Tempi auf. Aber seine Interpretation war immer auf Spannung und Effekt gerichtet und nie langweilig. Als Kalaf und Lìu konnte man das damalige junge Traumpaar der Oper José Carreras und Katia Ricciarelli bewundern. Er etwas manieriert spielend mit schmelzigem Tenor singend, sie mit sehr berührendem, zu Herzen gehenden Tönen. Eva Marton, damals vielfach am Haus beschäftigt, war die Titelheldin mit hochdramatischem Gesang. Um garantiert ein „Broadwayartiges“ Spektakel zu bekommen, hatte man extra den Musical-Regisseur Harold Prince engagiert, der dieses auch in fantasievollen Glitzerkostümen mit Masken oder Schminke vor einer steilen Treppe und einer Brücke schuf.

Als dann sein Nachfolger Claus Helmut Drese den italienischen Pultstar Claudio Abbado als Musikdirektor der Staatsoper verpflichten konnte, bedeutete dies ein Fest für die Opernfreunde, ganz besonders als er am Pult von Richard Strauss „Elektra“ stand, die er im Orchester der Wiener Staatsoper ungemein plastisch und packend, dabei aber immer durchhörbar erklingen ließ. Eva Marton sang auch hier eine stimmgewaltige Titelpartie. Die große Brigitte Fassbaender war damals eine sehr präsente, exzessive Klytämnestra, der immer viele Dienerinnen wie ein Schwarm folgten. Cheryl Studer sang die Chrysothemis mit klarem Sopran. Franz Grundheber, am stimmlichen Zenit angelangt, sang einen wunderbaren Orest, James King einen idealen Aegisth. Die großartige Inszenierung von Harry Kupfer mit der Riesenfigur des Agamemnon, dessen abgeschlagener Kopf daneben am Boden lag und in dessen herunterhängenden Seilen sich dann Elektra zum Finale tödlich verheddert, wird jetzt in der kommenden Ära des designierten Staatsoperndirektors Bogdan Roscic wiederaufgenommen werden.

Gleich ein halbes Jahr später, im Jänner 1990, brachte Claudio Abbado am Pult des Staatsopernorchesters Richard Wagners „Lohengrin“ heraus, der von wunderbarer Schönheit geprägt und zum Klangerlebnis erster Klasse wurde. Plácido Domingo, der sein Repertoire mit bewunderungswürdiger Akribie in alle nur erdenklichen Richtungen erweiterte, sang die Titelrolle und war damals die sängerische Sensation. Ihm zur Seite eine ebenfalls klangschöne Cheryl Studer als Elsa, während die anderen Partien nicht so richtig durchkamen. Vibratoreich hörte man Hartmut Welker als Telramund. Solide erlebte man Dunja Vejzovic als Ortrud sowie Robert Lloyd als König Heinrich. Harmlos aber nicht störend war die Inszenierung von Wolfgang Weber.

Ziemlich konventionell wirkte die aus 1999 stammende Inszenierung von Wolfgang Amadeus Mozarts „Don Giovanni" von Roberto de Simone, die damals von der Staatsoper im kleineren Theater an der Wien aufgeführt wurde. In den sehr ästhetischen, in Blautönen gehaltenen Kulissen von Nicola Rubertelli mit vielen Treppchen und einer erhöhten Terrasse mit verschiebbaren Wänden, was den Szenenwechsel beschleunigte, lief der Plot in bewusst kitschig überzogenen Gewändern von Zaira de Vicentiis wie geschmiert und ohne Experimente hart am Libretto ab.Marcelo Álvarez fehlte als Titelheld etwas die erotische Triebkraft. Dafür gestaltete er ihn sängerisch edel timbriert und elegant. Ildebrando D’Arcangelo, der auf der Bühne schon längst den Don Giovanni singt, war ein spielfreudiger und kernig singender Leporello. Michael Schade wusste die Arien des Don Ottavio mit seinem wunderbaren hellen Tenor innigst zu gestalten. „Dalla sua pace“ – die silbernen Töne von anrührender Schönheit wurden zum Ereignis. Franz-Josef Selig war ein imposanter Komtur. Lorenzo Regazzo war darstellerisch ein exzellenter Masetto, sängerisch kämpfte er jedoch mit seiner Intonation. Adrianne Pieczonka, mittlerweile längst ins dramatische Fach gewechselt, sang eine ausdruckstarke, schönstimmige Donna Anna. Anna Caterina Antonacci war eine passable Elvira, Angelika Kirchschlager eine süße Zerlina.

Ian Holender, damalsDirektor der Staatsoper gelang es, Riccardo Muti wieder ans Haus zu holen. Der italienische Stardirigent und das Orchester der Wiener Staatsoper musizierten hochdifferenziert mit wunderbar lyrischen Momenten wie dramatischen Ausbrüchen und reizten alle Stimmungen wie auch das erotische Feuer so richtig aus.

Die sogenannte „Alte Musik“ wurde über Jahrzehnte am Haus vernachlässigt. Dominique Meyer setzte deshalb bereits zu seinem Amtsantritt als Direktor im Herbst 2010 auf eines seiner Lieblingsprojekte und nahm so auf Georg Friedrich Händels „Alcina“ ins Programm, wobei ihm damit gleich ein veritabler Erfolg gelang. Einerseits durch die Original-Klang Spezialisten, den ungemein lebendig und frisch spielenden Les Musiciens du Louvre unter ihrem agilen Chef Marc Minkowski. Andererseits wegen der strahlenden Sängerin der Titelrolle Anja Harteros, in München längst ein Star geworden. Aber auch die übrige Sängerriege unter anderen mit Vesselina Kasarowa (Ruggiero) oder Benjamin Bruns (Oronte) konnte sich hören lassen. Und schließlich wegen der ausgesprochen ästhetischen Inszenierung von Adrian Noble und seinem Ausstatter Anthony Ward.

Weiters zeigt die letzte DVD Richard Strauss „Ariadne auf Naxos“ aus 2014 mit dem gefeierten Christian Thielemann am Pult und dem hinreißend aufspielenden Orchester der Wiener Staatsoper. Sorgsam durchgeformt, immer durchsichtig und mit kammermusikalisch delikatem Raffinement, aber auch effektvoll aufrauschenden Klängen bis hin zur Schlussapotheose wurde da musiziert.

Soile Isokowski, die sich leider schon von der Bühne zurückgezogen hat, verströmte als Ariadne betörenden Schöngesang und wusste blühende Bögen und unendliche Schattierungen zu formen. Aber auch sonst vermochte dieser eigenartige aber reizvolle Zwitter aus ernster und komischer Oper aus der Feder des kongeniales Paares Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal mit Protagonisten von höchster Qualität zu begeistern. Daniela Fally sang die mörderisch schwere Partie der Zerbinetta mit großer Flexibilität und agierte mit lässiger Koketterie. Wunderbar innige Töne fand man beim Komponisten von Sophie Koch. Jochen Schmeckenbecher war ein warmstimmiger Musiklehrer.  Mit heldischem Glanz und ganz ohne Mühe sang der leider viel zu früh verstorbene Johan Botha den Bacchus. Peter Matić war ein würdevoll hochmütiger Haushofmeister, der ein Kabinettstück an Schauspielkunst liefert. Sven-Eric Bechtolf blieb in dem ästhetischen Jugendstilsalon von Rolf Glittenberg, die geschmackvollen Kostüme stammen von Marianne Glittenberg, immer dezent am Herzschlag der Handlung. Dabei arbeitete Bechtolf subtil Charaktere und ihre Beziehungen zueinander mit feiner Ironie heraus.

Dr. Helmut Christian Mayer

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