Wiederaufnahme Lohengrin in Bayreuth - weiter eine "gemalte" Inszenierung

Xl_img_1558 © Enrico Namrath

Nach der in mancher Hinsicht bemerkenswerten „Tannhäuser“-Premiere der diesjährigen Neuinszenierung der Bayreuther Festspiele, und zwar bemerkenswert in negativer wie in positiver Hinsicht, ganz nach Ansicht des Betrachters, war die WA des „Lohengrin“ in der Inszenierung von Yuval Sharon in den Bühnenbildern des Malers Neo Rauch, einem der Stars der deutschen Kunstszene, und mit den durchaus interessanten, wenn auch nicht immer zweifelsfreien Kostümen von Rosa Loy sowie dem Licht von Reinhard Traub nahezu Traditionstheater mit zwar beabsichtigtem, aber überschaubarem regietheatralischem Anstrich.

Es wurde offenbar, dass der viel zu spät und zudem noch für Alvis Hermanis in die Produktion eingesprungene Regisseur Sharon offenbar keine Möglichkeit hatte, bekam oder es auch gar nicht beabsichtigte, hier im Sinne einer etwas lebhafteren Inszenierung, insbesondre im 2.Akt, nachzubessern. Man muss zu seiner Entschuldigung sagen, dass die beiden Ausstatter schon jahrelang in ihrem Atelier mit der Konzeption und dem Primat der Malerei in vornehmlich durchaus beeindruckenden und auch sinnhaften Blautönen beschäftigt und eigentlich auch fertig waren. So blieb für den eigentlichen Regisseur kaum noch Spielraum.

Weiterhin gibt es die eigentlich unerklärlichen Libellen-Flügel, die aber Mottenflügel sein sollen. Diese Tierchen haben jedoch gefärbte Flügel, sollten aber assoziiert werden, weil Motten für elektrische Energie stehen, da sie bekanntlich ans Licht gehen, was den Brabantern eben fehlt… Auch gibt es weiterhin den noch entbehrlicheren Luftkampf zweier Kinder statt eines wie auch immer theatralisch konzipierten Kampfes zwischen Lohengrin und Telramund. Da müssen ja nicht gleich die Schwerter klappern… Aber besonders hatte man sich doch mehr Personenführung im 2. Akt gewünscht und auch mehr Sichtbarkeit von Ortrud und Telramund, die im Dunkel einer angedeuteten Fluss- oder Heidelandschaft unter dräuenden Wolken am vermeintlichen Endlaufband - die aber auf einmal stehen bleiben, war die Farbe ausgegangen?! - und vor sowie hinter sich verschiebenden, buschförmig bemalten Holzkulissen wie in einem Versteckspiel herumwuseln. Allenfalls mit guten Feldstechern kann man sie genauer sehen. Für Normalaugen und erst recht bei geringer Seheinschränkung - angesichts des Altersdurchschnitts des Festspielpublikums nicht gleich von der Hand zu weisen - waren sie kaum voneinander zu unterscheiden, wenn sie nicht sangen. Von weiterhin lähmender Langeweile ist jedoch als Ende des 2. Akts, vor allem der nicht enden zu wollen scheinende Brautzug in Zeitlupe mit genüsslich pathetischem Streuen weißblauer Blütenblätter vor den sich trauen Wollenden. Nun ja, wir sind zwar in Oberfranken, das aber eben auch noch zu Bayern gehört… Hier hätte man mit einiger Leichtigkeit Verbesserungen ohne großen Aufwand bewerkstelligen können, wenn man die immer stärker werdende Bedeutung einer ausgefeilten Personenregie für Sängerdarsteller erkannt hätte bzw. erkennen hätte wollen. Was hatte Barrie Kosky in dem durch Dominique Meyer dann gegen eine noch schlechtere Inszenierung ersetzten Produktion in Wien für eine tolle Idee mit phantastischen, langsam schreitenden mannsgroßen Vögeln, für mich allerdings auch schon der Höhepunkt seiner damaligen Arbeit. 

So bleibt dieser "Lohengrin" weiterhin vor allem eine zwar oft einnehmend schöne und poetische, aber eine „gemalte“ Inszenierung, was immer ein Risiko zu sein scheint, wenn ein Maler als Nicht-Opernregisseur Hand bzw. Pinsel anlegt. So war es ja unterdessen auch bei dem neuen „Parsifal“ an der Bayerischen Staatsoper München zu sehen, der von dem ebenfalls berühmten Maler Georg Baselitz gestaltet wurde. Allein, es geht auch anders, wie man an dem Maler UND Regisseur Achim Freyer sieht, der sowohl in Mannheim wie in Los Angeles zwei beeindruckende und auf malerischer Ästhetik basierende „Ring“-Produktionen inszenierte, in denen die Personen darstellerisch aber voll in die jeweilige Optik integriert sind. Freyer kam damit dem Gesamtkunstwerk-Begriff Richard Wagners sehr nahe. Seine Mannheimer Inszenierung ist möglicherweise noch im Repertoire. 

So kommen wir also zum weitestgehend erfreulichen musikalischen Teil dieses Abends. Nach dem eher lauen Dirigat des allerdings auch mit etwas Rücksicht zu beurteilenden Bayreuth-Neulings Valery Gergiev mit „Tannhäuser“ am Abend zuvor, konnte man beim „Lohengrin“ die ganz große Klasse Christian Thielemanns und seine Fähigkeit bewundern, das ultimativ Beste aus den Bayreuther Festspielorchester herauszuholen. Hier sprach natürlich auch die langjährige enorme Erfahrung mit, durch die Thielemann wohl mittlerweile der in Bayreuth meistbeschäftigte Dirigent nach Felix Mottl ist. Schon das Vorspiel schien wie aus einer ungeheuren Ferne fein ziseliert zu den Brabantern zu kommen, um nach dem großen Tutti ebenso fein wieder zu entschwinden. Sobald auf der Bühne nicht gesungen wurde, ließ Thielemann dem Orchester freien Lauf, ohne aber je den flüssigen Duktus zu verlieren und die auf der Bühne oft fehlende Spannung wenigstens musikalisch zu realisieren. Rauschhaft erklang somit das Vorspiel zum 3. Akt und entsprechend subtil die Begleitung der Gralserzählung. Der von Eberhard Friedrich wie immer blendend disponierte Festspielchor war ein weiterer Garant hochklassiger musikalischer Interpretation. 

Der Star des Abends war jedoch Klaus Florian Vogt in der Titelrolle. Neben Piotr Beczala ist er heute der weltbeste Lohengrin, wenn auch mit einem ganz anderen Timbre als der Pole, der auch bei diesen Festspielen einige Aufführungen singen wird, auch jene mit Anna Netrebko. Das immer wieder auch an Mozart erinnernde Timbre Vogts, es kommt mir immer wieder der Tamino in den Sinn, ist nicht jedermanns Sache. Ich halte es aber zu dem ohnehin als Märchengestalt zu sehenden und etwas ätherischen Lohengrin für sehr passend. Und in Bayreuth scheint Vogt mittlerweile neben Michael Volle der beliebteste Sängerzu sein. So lange habe ich dort noch nie einen Solisten beim ersten Vorhang den tosenden Applaus entgegennehmen sehen, und das sind nun auch schon 50 Jahre. Immer wieder musste er sich erneut verbeugen, man wollte ihn - standesgemäß - nicht ziehen lassen.

Mit ebensolcher Qualität sang an diesem Abend aber auch Camilla Nylund, die für Anja Harteros aus dem Vorjahr in die Produktion gekommen war. Ihr lyrisch-dramatischer und glockenreiner Sopran lieferte bei zudem guter Wortdeutlichkeit eine Elsa der Weltklasse. Ihr lagen die lyrischen Passagen besonders gut, obwohl sie auch in den dramatischen Momenten glänzte. Möglicherweise ging sie, was durchaus verständlich wäre bei dieser Leistung, an ihre Grenzen, denn bereits tags drauf als Eva in den „Meistersingern“ war sie stimmlich nicht mehr so präsent wie als Elsa. Dass Nylund daraufhin die zweite Elsa absagte und Annette Dasch einsprang, kann auch an dieser programmatisch eigentlich unverständlichen direkten Aufeinanderfolge zweier großer Partien gelegen haben. Da sollte sich die Festspielleitung vielleicht ein paar Gedanken machen. Ein Tag dazwischen wäre wohl das Mindeste.

Statt Waltraud Meier im Vorjahr sang nun Elena Pankratova die Ortrud und legte eine sängerische Energie an den Tag, dass kein Auge trocken blieb, auch wenn man fast kein Wort verstand. Mühelos wurden da „Entweihte Götter…“ und „Zieh heim...“ geschmettert, aber bei durchaus ansprechender Phrasierung, insbesondere auch im Zwiegespräch mit Telramund. Tomasz Konieczny konnte da nur noch Kraft entgegensetzen, um ein anderes Wort für zu lautstarkes und undifferenziertes Singen zu vermeiden. Auch aufgrund seiner immer wieder gewöhnungsbedürftigen Vokalverfärbungen war es auch bei ihm mit der Diktion nicht allzu gut bestellt. Georg Zeppenfeld konnte hingegen wieder mit seinem edlen Bass bei perfekter Wortdeutlichkeit überzeugen, abgesehen von einem kleinen Wackler im 1. Akt. Egils Silins, normalerweise in der Kategorie der besten Wotane einzuordnen, sang einen erstklassigen Heerrufer. Auch die vier Edlen, besetzt mit Michael Gniffke, Tansel Akzeybek, Marek Reichert und Timo Riihonen sangen mit ihren weiterhin unerklärlich identischen Brillen erstklassig.

So blieb dieser „Lohengrin“ orchestral phantastisch, sängerisch eindrucksvoll, szenisch aber, zumindest aus meiner Sicht, enttäuschend und weiterhin ausbaufähig. Ob das noch passiert, zumal in einem Jahr vor einem neuen „Ring“, wissen nur die Hügel-Götter… 

Klaus Billand
1.8.2019 (Bayreuth)

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