Wandel zwischen Traum und Realität Herheims Regiedebüt in München

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Benjamin Britten Peter Grimes Bayerische Staatsoper 10.3.2022 Premiere am 6.3.2022

Wandel zwischen Traum und Realität Herheims Regiedebüt in München

Er ist ein gefragter Regisseur, ab Herbst wird er das Theater an der Wien leiten. Nun liefert Stefan Herheim mit einer Neuinszenierung von Benjamin Brittens Peter Grimes seine erste Regie an der Bayerischen Staatsoper ab. Das Gesellschaftsdrama hatte 1945 kurz nach Kriegsende seine Uraufführung und handelt vom Schicksal des Außenseiters Peter Grimes in einer ländlichen Dorfgemeinschaft Englands. Er ist Fischer und träumt vom großen Fang um seine Geliebte, die Witwe und Lehrerin Ellen Orford heiraten zu können. Zur Unterstützung im harten Alltag arbeitet er mit Waisenjungen. Deren tödliches Schicksal wird ihm zur Last gelegt und hetzt und heizt die Dorfgesellschaft auf. Bis er selbst den Freitod entscheidet. Britten und sein Lebenspartner achteten in der Entstehung darauf den Stoff klar von Pädophilie und Homosexualität abzugrenzen. Stefan Herheim lässt den gesamten Abend in einem technisch ausgeklügelten mattweissen Bühnebild von Silke Bauer ablaufen. Eine bewegliche Decke in Form eines umgedrehten Schiffskörpers kann auf und ab gefahren werden sowie längs geteilt werden. So wird der Bühnenraum zum Theater mit Bühne und blauen Vorhang, zur Kirche oder Versammlungsraum.

Bereits vor Beginn kann der Opernbesucher den leeren Bühnenraum studieren. Gemächlich trudeln die Dorfbewohner mit Masken ein bis die Musik einsetzt und die Gerichtsverhandlung gegen Peter Grimes Fahrt aufnimmt. Der selbst steht allein gegen das aufgebrachte Volk. Wie im Kriegszustand werden die Seiten gewechselt. Der bestens vorbereitete Chor ist an diesem Abend vielbeschäftigt und hat eine intensive Choreografie für seine Einsatze. Massenszenen dominieren und immer wieder fungiert er als Beobachter.

Die Kostüme sind modern casual, dem Milieu angepasst. Herheims Interpretation des Stoffes lässt die Handlung immer mehr zu einem Theaterstück zu einer Traumwelt werden. Der Titelheld erscheint auf der Bühne und sein weiterer Auftritt wirkt wie ein Schauspiel. Der Junge wird zum Alter Ego, zu Fantasie in den Köpfen der Dorfbewohner wie das Schicksal Peter Grimes.Großflächige Videoprojektionen von Torge Meller auf der Bühnenrückwand lassen den Blick auf das Meer schweifen, einmal ruhig und freundlich, dann sturmgepeitscht und beängstigend. In den Fluten sehen wir den ersehnten Fischschwarm sowie den ertrinkenden Körper des Jungen der aus den Fluten irreal auf der Bühne erscheint. Die Bilder und Szenen sind stark und wirkungsvoll, der Handlungsstrahl aber unterbrochen. Die Interpretation des Stoffes durch das künstlerische Team nicht eindeutig dargestellt und so der Spannungsbogen nicht gehalten.

Der Brite Edward Gardner kennt die Musik Brittens, war Chefdirigent an der English National Oper und jetzt beim London Philharmonic Orchestra. Auch er gibt sein Debüt an der bayerischen Staatsoper und macht dies zu einem musikalischen Ereignis. Intensiv arbeitet er an den Details. holt Motive und Bilder der Partitur heraus. Er zerlegt den Orchesterklang, wendet sich jeder einzelnen Stimme zu. Üppig und vollmundig wird es selten. Er erzählt die Geschichte in seiner Art aus dem Graben. Die symphonischen Zwischenspiele werden zwar auf der Bühne inszeniert aber die Musik behält die expressive Oberhand. Einprägsam wird Brittens Tonsprache, die sich durch verschiedene Stilrichtungen bewegt aber seine Identität gewinnt. Stuart Skelton ist der Titelheld der Neuinszenierung. Der Australier singt verständlich und rund zumeist in der Mittellage, die wenigen Höhen werden gezogen und fallen leicht heiser aus. Er hat Volumen und Kraft, bleibt aber statisch in der Darstellung. Rachel Willis-Sørensen füllt die Rolle der Ellen Oxford mit Wandlungsfähigkeit und Ausdruck aus. Umsichtig versucht sie ihren geliebten Peter Grimes zu schützen, aber sie richtet auch über ihn und über ihre Dorfmitbewohner. Präsent kräftig ist ihre Sopranstimme, mit den Sprüngen und Ecken kommt sie sehr gut zurecht und lässt viel Klang und gesangliche Epik einfließen.

Captain Balstrode wird von Iain Paterson bestens dargestellt und gesungen. Kess in Leggings und Fleezejacke Auntie von Claudia Mahnke in Szene und stimmlich fein umgesetzt. Auch alle kleineren Rollen wie Swallow von Brindley Sherratt oder Rev Horace Adams von Robert Murray sind ausgezeichnet besetzt.

Wirkungsvoll sitzt der Abend bei den Besuchern die sich mit Bravi und stehenden Applaus bedanken.

Dr. Helmut Pitsch

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