Viel beachtete Augmented Reality ohne Mehrwert, die Musik überzeugend im neuen Parsifal in Bayreuth  

Xl_par_150723_366_enriconawrath_presse__002_ © Enrico Nawrath

Richard Wagner Parsifal Bayreuther Festspiele 23.8.2023

Viel beachtete Augmented Reality ohne Mehrwert, die Musik überzeugend im neuen Parsifal in Bayreuth  

Ein blutspritzender Schwan im Flug, Schlangen, Totenköpfe, Blumen, Strichmännchen wandelnd und kniend, - viele Effekte vermittelt die vielbesprochene Brille, die eine erlesene Zahl von Besucher bei den diesjährigen Bayreuther Festspielen für die neue Inszenierung von Richard Wagners Parsifal bekommen. Mit viel Aufwand wird die Bedienung vorbereitet und erklärt, ein Probesitzen inbegriffen. Für die Erlesenen wird der Aufführungsbesuch zum exklusiven Erlebnis.

Schwer liegt die dunkle Brille auf der Nase, ein Kabel spielt die Software ein. So kann der Nutzer sowohl das Geschehen auf der Bühne als auch darüber eingespielte Computerbilder erleben. Der Betrachtungshorizont wird so zum dreidimensionalen Rundumblick, sofern der Brillenträger seinen Kopf kreisen lässt. Auch wenn die Qualität der Computergrafiken noch zu wünschen lässt, kann der Betrachter sich gut vorstellen, dass hier noch einige Potenziale in der grafischen und technischen Aufbereitung liegen und neue Dimensionen einer Inszenierung brach liegen. Die Festspielleitung wurde im Vorfeld heftig kritisiert aber es bleibt festzuhalten, daß hier mit Augmented Reality (AR) ein neuer Weg beschritten wird, aber auch wesentliche Fragen der Umsetzung aufwirft. Es wird interessant, die künftige Entwicklung zu verfolgen.

Im Gegensatz zur virtuellen Reality (VR) will Augmented Reality (AR) die analoge Welt digital ergänzen. In VR befindet sich der Zuseher in einem abgeschlossenen Raum, bei AR wird das Sichtfeld durch die Brille erweitert. Jay Scheib und damit die Führung der Bayreuther Festspiele, übernimmt den erstmaligen Versuch, diese technischen Möglichkeiten in einer Opernregie abendfüllend umzusetzen.

Scheib ist ein erfahrener Opernregisseur und Professor am renommierten MIT - Massachusetts Instute for Technology. Er gestaltet in seiner Neuinszenierung des Parsifal, der letzten Oper Richard Wagners durch Augmented Reality keine zweite Wirklichkeit, insgesamt schafft er eine traditionelle ästhetische Realität, die er für wenige mit einem virtuellen Kosmos erweitert. Die internationale Aufmerksamkeit ist entsprechend groß.  Er versteht es die reale Welt und deren virtuelle „augmented„ Erweiterung  schlüssig zusammen zu bringen. Er denkt bei Bühnenweihfestspiel an Fest, an Unterhaltung und hierfür öffnet sich sein technischer Ansatz. Die Handlung fließt und ist mit einprägsamen Bildern von Mimi Lien unterfüttert. Meentje Nielsen steuert die schlichten zeitlosen Kostüme bei.

Die Augmented Reality oder besser Phantasy hat Joshua Higgason entwickelt. Sicherlich ist zu berücksichtigen, dass durch das Fehlen einer Verfügbarkeit von Brillen für jeden Besucher hier Rücksicht genommen werden musste. Die graphische Auflösung seiner fliegenden Insekten oder Vögel, als auch die Gestaltung von bunten Wäldern oder knorrigen Ästen und Dornengestrüpp versetzt nicht wirklich in Begeisterung. Die Reizüberflutung hielt sich in Grenzen, Gewicht und die deutliche Erwärmung der Brillen waren störender.

Der Abend bringt das Prinzip Hoffnung und Erlösung in einer Welt ohne Zukunft modern zeitlos und ästhetisch auf die Bühne – es ist kein Regietheater, keine politische oder gesellschaftskritische Aussage wird gemacht, die Erlösung ist auf den Menschen gerichtet. Die Bühnenbilder sind minimalistisch, dazu lässt er Videoprojektionen der Sänger groß auf die Hinterwand der Bühne projizieren. Wie in einem Science Fiction Film der 60 iger Jahre steigt ein goldener Strahlenkranz mit Neonröhren zur Verwandlung auf. Die Gralsritter tragen Camouflage Mäntel, Gurnemanz trägt einen bunten Zaubermantel wie ein Schamane. Der Gral ist ein großer blauer Kristall aus dem Blut in eine Schale tropft. Dazu werden weitere Insignien von Johannes des Täufers hereingetragen.

Richtig bunt wird es in Klingsors Zaubergarten, der sich zuerst hinter einer grauen Betonwand verbirgt. Durch ein Loch in der Form des Gralkristalls lugt lüstern Klingsor hervor. Parsifal lässt sich an der Betonwand herunter und gelangt in eine schillernd bunte Welt, in der die Blumenmädchen Verwundete versorgen. Viel Augenmerk zeigt Scheib für die Doppelbödigkeit von Kundrys Ego, die immer doppelt erscheint, die Büßende und Verführende. Als solche wirkt sie etwas ungeschickt und bleibt für die augmented reality hinter einer Computergrafik verdeckt.

Düstere Untergangsstimmung erleben wir im letzten Akt. Ein großer Bagger thront auf der Bühne als Zeichen laufender Zerstörung. Ein großes Wasserloch dominiert die Bühne. Parsifal bringt den Speer dick verpackt zurück. Der Leichnam Titurels wird im Plastiksack hereingetragen. Ohne Fußwaschung und weiterer Rituale kommt es zur Gralszeremonie, die Parsifal abrupt mit der Zerstörung des Kristalls beendet. Er steigt in das Wasserloch und fordert Kundry auf ihn zu begleiten. Ihre Doppelgängerin verbindet sich mit Gurnemanz. Die Erlösung ist als Ende vollbracht.

Auch am Pult gibt es eine Erstbegegnung mit Bayreuth. Pablo Heras Casado findet sich mit den akustischen Fein- und Besonderheiten des Festspielhauses bestens zurecht und zaubert mit den hervorragend aufspielenden Musikern des Festspielorchester einen majestätischen und weihevollen Klang. Ausgefeilt und kontrastreich in Volumen und Gefühlsregung bleibt seine Gestaltung gehaltvoll und zurückhaltend. Dynamisch frisch ist seine Wahl der Tempi, gerade ausreichend für eine Wortdeutlichkeit der Sänger.

Georg Zeppenfeld gelingen so seine üppigen Monologe mit ausreichender Präsenz und Klarheit in Aussprache und Betonung. Sein Bass besticht durch eine feste und sicher geführte Stimme in allen Lagen, die samtig die Melodien führt.

Andreas Schager ist für den ursprünglich angesetzten lyrischen Tenor Joseph Calleja eingesprungen. Er gibt der Rolle heldenhaften Charakter und spielt gekonnt den Toren, der zum wissenden Erlöser wird. Als solcher überstrahlt er die Gralsritter und nimmt seinen Platz fest in die Hand.

Derek Welton leidet an der ewigen Wunde und zeigt sich kämpferisch als Amfortas. Sein Begehren nach Erbarmen wird mehr zum Befehl als inbrünstige Bitte.

Jordan Shanagan holt zu wenig aus seiner Rolle als Klingsor heraus, dies mag auch an der Zeichnung der Regie liegen. Im roten Anzug mit Blumentattoos und Pömps ist er kein furchterregender Bösewicht.

Ekaterina Gubanova ist eine kühle wenig emotionale Kundry. Mit ihrer kräftigen Stimme dringt sie durch kann aber nicht verführen.

Die Gralsritter und die Blumenmädchen wirken als harmonischer Klangkörper, von der Regie statistisch eingesetzt.

Viel und langanhaltender Beifall als Ausdruck der Begeisterung im ausverkauften Haus

Dr. Helmut Pitsch

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