Uraufführung - Olga Neuwirths Orlando verkommt zur Parodie eines lyrischen Operndramas

Xl_5e8f1ee6-6714-406f-97be-fac56294d641 © Christoph Pöhn

Opulenz dominiert diese überdimensioniert überfachtete aufwendige Uraufführung des letzten Werkes der 1968 geborenen österreichischen Komponistin Olga Neuwirth. Mehrere Bühnenwerke von ihr wurden bereits aufgeführt und sorgten für eine internationale Anerkennung. Nunmehr ist sie die erste Komponistin, die den Auftrag für eine abendfüllende Oper von der Wiener Staatsoper erhielt. Für die Handlung fiel ihre Auswahl auf den gefeierten Roman der britischen Schriftstellerin und Feministin Virginia Woolf. Der Roman Orlando erschien 1928 in nur zweijähriger Arbeit und spiegelt auch autobiographische Züge wieder. Er entstand während der Beziehung der zeitlebens depressiven Schriftstellerin mit Vita Sackville West, ihre wohl glücklichste und stabilste Lebensphase. Sie schwelgt in der Uneindeutigkeit der Geschlechter. Orlando durchlebt mehrere Zeitalter, findet seine Kreativität als Schriftsteller und verändert auch so nebenbei sein Geschlecht. Er durchlebt Freiheit und Leichtigkeit, ein Lebenswunsch der Schriftstellerin, die sich 1941 das Leben nimmt.

Gemeinsam mit Catherine Filloux arbeitete Olga Neuwirth am Libretto und dehnte die literarische Vorlage bis ins Heute aus. Erzählt wird die Geschichte vom jugendhaften Helden Orlando, der 1598 als junger gestümer Mann auf Königin Elizabeth I trifft.Während des grossen Frosts 1610 verweigert sich ihm die attraktive Sasha. Orlando zieht sich zurück und wird zum Schriftsteller. Das Schreiben wird zum wesentlichen Inhalt des Romans. Greuel und Krieg lassen ihn in Trance fallen aus der er als Frau erwacht, wobei er nur in einen anderen Körper schlüpft und so die Geschlechterrollen insbesondere in der viktorianischen Zeit erlebt. Die rechtlose nicht respektierte Frau erlebt die repressive soziale Athmosphäre und kämpft um ihre Rechte als Frau und später für die Kinder. Hierbei wurde aus der Erzählung nach dem Ende des Romans nur mehr ein langgezogenes verkrampftes gesellschaftspolitisches Statement. Breitgewalzt in langatmigen Wiederholungen von Parolen und ausgeschöpften auch dümmlichen Regieeinfällen verkommt das Werk am Ende zur schmerzhaften Überfrachtung für das Publikum. Diesen umfangreichen Handlungsablauf übernahm Polly Graham in Szene zu setzen. Roy Span gestaltete eine Bühne ohne grosse Aufbauten mit wenigen Requisiten. Wesentlichen gestalterischen Eindruck hinterlassen die stimmungsvollen Bilder und Videoeinspielungen von Will Duke mit romantischen Landschafts - und Farbstimmungen. Dabei hängen einige Leinwandpanele von der Bühnendecke und werden wie Vorhänge verschoben. Auffällig und viel Aufmerksamkeit ziehen die Kostüme von Comme des Garcons auf sich. Phantasievoll bunt und zumeist in voluminösen Stoffbahnen gekleidet wandeln die Protagonisten durch die verschiedenen Jahrhunderte bis wir in den wilden 60 iger oder 80iger Jahre ankommen und Alltagskleidung und Ringelpyjamas dominieren. Die Personenregie hinterlässt wenig Eindruck auf einer zumeist vollbesetzten und vollgestellten Bühne.

Musikalisch bewegt sich Olga Neuwirths Opus in einem akustisch heterogenen Gemisch aus Sphärenklängen, rhythmischen Staccato, choralem a capella mit unterdrückten Melodien. Ausgefranste Atonalitäten werden schnell von einem zu meist in höchsten Lagen gewobenen Teppich der Streicher eingefangen. In 19 Bildern lässt sie die musikalische Biographie in grosser, sehr grosser Besetzung vorbeiziehen. Der bestens vorbereitete Staatsopernchor, Chorakademie, Opernschule, Kinderchor, Bühnenorchester der Wiener Staatsoper und Komparserie kommen immer wieder zum Einsatz. Zwischen den Bildern leitet das mit Syntheziser und Live Elektronik ergänzte Orchester in reizvollen gross instrumentierten Zwischenspielen über. Aber auch musikalisch wiederholt sich der Ablauf ohne grosse Diversität und zieht sich wie der gern genannte Strudelteig in die Länge. Spannungsmomente der Genderdiskussion in der ersten Hälfte verlaufen sich nach der Pause im nichts. Selbst die berührende historische Einspielung des Doppelkonzertes d moll von Arnold und Alma Rose, welche später im Konzentrationslager Birkenau starben geht im hektischen Treiben unter. Matthias Pintscher, selbst anerkannter Komponist, führt am Pult einen klaren raumgreifenden Taktschlag um alle Mitwirkenden sichtbar Einsätze zu geben. Er schafft es der Vielfältigkeit der Musik Gehör zu geben, Farbe zu versprühen und die Gesangsolisten unterstützend zu begleiten. Die Wiener Philharmoniker begegnen der ausserordentlichen Aufgabe mit viel Gespür und technischem Können.

Kate Lindsey ist vertraut mit zeitgenössischer Musik und ausgefeiltem Sprechgesang über mehrere Lagen. Mit ihrem dunklen Mezzo schlüpft sie in die Facetten des wandelbaren Helden. Klar und sicher intoniert sie Höhen, füllt mystisch Tiefe und bleibt in Stimmungen flexibel. Anna Clementi als Narrator erzählt die Rahmenhandlung ausdrucksstark in feinstem literarischem Englisch. Gross angelegt und durchwegs gut besetzt ist die Zahl der Sänger der verschiedenen kleinen Rollen und so werden nur einige hier genannt. Constance Hauman ist Königin Elizabeth, Purity und die Freundin von Orlandos Kind. Leigh Melrose gibt einen eleganten Shelmerdine und ausdrucksstarken Mr. Greene.

Das Publikum spendet höflichen anerkennenden Beifall, einige ablehnende Rufe hallen verhaltend dazu. Das Werk und die Aufführung haben nicht wirklich überzeugt.

Dr. Helmut Pitsch

(c) Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

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