Traum und Realität verschmelzen in Hoffmanns Erzählungen am Münchner Gärtnerplatz

Xl_1643291937_25012022hoffgenebrianekf-40 © Marie Laure Briane

Jacques Offenbach Hoffmanns Erzählungen

Premiere Neuinszenierung Gärtnerplatztheater München 27.1.2022

Traum und Phantasie verschmelzen in Hoffmanns Erzählungen am Münchner Gärtnerplatz

Viele Geschichten und Mythen ranken sich um das Leben und mehr noch um das Schaffen von Ernst Theodor Wilhelm Hoffmann, der später seinen dritten Vornamen aus Verehrung für Mozart mit Amadeus austauschte und sich fortan E. T. A. Hoffmann nannte. Von der Ausbildung vorzüglicher Jurist war er im Berufe als Richter und preußischer Regierungsrat erfolgreich, aber auch als Kapellmeister fand er eine Anstellung in Bamberg und Dresden. Er arbeitete als Kulturkritiker unter dem Pseudonym Kapellmeister Fritz Kreisler, Maler und Schriftsteller. Als solcher avancierte er zu einem der bedeutendsten deutschen Romantiker. Zu Lebzeiten verehrt und vielgelesen entwickelte sich sein Ruhm und Anerkennung besonders in Frankreich, in deren Literatur der Romantik eine Leitfigur fehlte. Im Rahmen einer wahrhaften Wiedergeburt Hoffmanns gilt er als Vater des phantastischen Realismus und der Jeunes France.

Aus seinen phantastischen Romanen und Erzählungen schufen 1851 Jules Barbier und Michel Carre das Theaterstück Les Contes d‘Hoffmann. Geschickt setzen die Beiden Fragmente seiner Schöpfungen zusammen, mischen Gerüchte um seine Liebesgeschichten und seinen Alkoholismus zu einem reißerischen Werk, welches große Verbreitung fand und zu mehreren Vertonungen inspirierte.

Mit Akribie scheint sich der Regisseur Stefano Poda der Neuinszenierung von Jacques Offenbach Vertonung dieser literarischen Vorlage von „Les Contes d‘Hoffmann“ mit der Lebensgeschichte und dem umfangreichen Werk des deutschen Romantikers beschäftigt zu haben. In vielen Details finden sich zahlreiche Bezüge auf der auch von ihm geschaffenen Bühne. Ein grell weisser Wandvorhang aus zerknüllten Zetteln wirkt wie eine Tapete an den Bühnenwänden. Unzählige Schaukästen mit unterschiedlichen Personen, Gegenständen und beschrifteten Podesten zitieren Protagonisten und Texte aus den Werken und werden ständig von schwarz gekleideten Bühnenmitarbeitern oder Chormitgliedern bewegt und die optische Perspektive so geschickt verschoben und die Bezüge zur Handlung hergestellt. Choreografie und die sehr eleganten Kostüme, geprägt von langen wallenden Mänteln zumeist in schwarz weiß wurden ebenfalls von Stefano Poda geschaffen. Dem mystischen Bezug zum Todeskult (Hoffmann war Mitglied in verschiedenen Geheimbünden) folgend tragen die Figuren zum Teil schwarze Federbouquets wie früher Begräbniskutschen. Zusätzlich prägt er die handelnden Personen mit einem ausgefallenen Haarschnitt. Langes glattes Haar ist einseitig mit tiefem Scheitel über den Kopf gekämmt und erinnert an den Kultdirigenten Teodor Currentzis. Für die Rahmenhandlung um Hoffmann mit seinen trinkfreudigen Freunden wird die Bühne hochgefahren und wir sehen den Schriftsteller an der Schreibmaschine mit Weinflaschen.

Die Dynamik und Ästhetik dieser Regie beeindrucken, die gefühlvolle Personenregie und der geschickte Umgang mit der Bühne begeistern und wird zurecht vom Publikum mit Beifall aufgenommen.

Musikalisch versteht Anthony Bramall am Pult des bestens aufspielenden Orchesters des Staatstheaters am Gärtnerplatz ebenso Spannung und Farbenreichtum zu erzeugen. Mit gut dosierten Tempi und lautmalisch aufspielendem Volumen umhüllt er den Raum aber deckt die Sänger nicht zu. Aus der Opera fantastique wirkt das Ergebnis angesichts der opulenten Inszenierung wie eine Grande Opera, die ebenso in Paris entstand.

Die Besetzung ist großteils aus dem Ensemble erfolgt und dokumentiert das hohe sängerische Niveau des Hauses. Gesungen wird auf deutsch in einer Neuausgabe nach Gerhard Schwalbe.

Lucian Krasznec verleiht der Titelfigur prägnanten Ausdruck. Seine Liebesbekundungen zu den Auserwählten sind von Emotion und dazugehörender Erotik. Dieser Hoffmann zeigt Psyche bis zur Schizophrenie. Dies bildet er in seinem vollen wohl timbrierten Tenor ab, erreicht die Höhen zumeist sicher und vollmundig, trumpft in der Mittellage und bleibt präsent bis zum Schluss.

Die Rolle des aufopfernden Niklas spielt Anna-Katharina Tonauer geschickt in den Vordergrund und ihr Mezzo hat Charakter. Mathias Hausmann wechselt überzeugend in die Rollen von Lindorf, Coppelius, Dr. Mirakel und Dapertutto. Als mystischer Gegenspieler lässt sein Bariton ausreichend Nuancen bis in die Tiefe zu. In den Rollen des Andreas, Cochinelle, Franz und Pitchinaccio zeigt Maximilan Mayer Gespür für Spiel und Verwandlung, auch in seiner Stimme. Sein Tenor zeigt Lyrik und Dramatik. Voll füllt er Höhe und Melodien, ausgereift sind Piani.

Die Figuren der Auserwählten sind bestens abgestimmt. Olympia schmettert Ilia Staple mechanisch exakt in den ausgefeilten Koloraturen. Antonia verhilft die unlängst zur bayerischen Kammersängerin ernannte Jennifer O‘Loughlin zu einer wahren Diva, die mit ihrem Schicksal hadert. Und schlussendlich verführt Camille Schnoor als undurchsichtige Giuletta, die ihre Reize auch in die stimmliche Deutung legt.

Die weiteren Rollen sind durchgängig gut besetzt. Antonias Mutter gibt Anna Agathonos ariose Gesangskunst. Hervorzuheben ist die darstellerische und gesangliche Leistung des Chores von Pietro Numico bestens einstudiert.

Das Publikum im nunmehr zu 50% ausgelasteten Haus würdigt den Premierenabend mit viel und langem Applaus.

Dr. Helmut Pitsch

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