Strasbourg im Stream Walter Braunfels Die Vögel - Unmögliches Regiekonzept

Xl_v_gel_stras © Klara Beck

Strasbourg/Opéra national du Rhin: Walter Braunfels Die Vögel im stream – 10. Februar 2022

Unmögliches Regiekonzept

Die bekannteste Oper des umfangreichen Opern- und Konzert-Oeuvres von Walter Braunfels, „Die Vögel“, erlebte in nicht einmal einem halben Jahr drei bedeutende Neuinszenierungen. Nachdem das Werk schon im Sommer 2019 bei den Tiroler Festspielen Erl zu erleben war, brachte die Bayerische Staatsoper München, noch in der Intendanz von Nikolaus Bachler, im Oktober 2020 zum 100 Jahre-Jubiläum der Uraufführung, ebenfalls in München, eine Inszenierung von Frank Castorf heraus. Birgit Meyer an der Oper Köln folgte mit einer äußerst interessanten Produktion von Nadja Loschky im Dezember. Und nun ließ die Opéra national du Rhin in Strasbourg das Werk als französische Erstaufführung (!) durch den jungen US-amerikanischen Regisseur Ted Huffman unter der musikalischen Leitung von Aziz Shokhakimov neuinszenieren.

Und damit wäre man auch schon beim stärksten Teil dieser Produktion, der wahrlich exzellenten musikalischen Interpretation durch den jungen Shokhakimov mit dem Orchestre philharmonique de Strasbourg und dem Chœur de l'Opéra national du Rhin unter der offenbar ausgezeichneten Leitung von Alessandro Zuppardo. Diese Qualität von höchster Transparenz und Detailfreude in den einzelnen Gruppen ebenso wie bei den Soli und die Leuchtkraft der Braunfelsschen Partitur die hier, insbesondere im langen Dialog Hoffeguts mit der Nachtigall, zu hören ist, kommt nicht nur über den stream gut heraus. Sie wurde mir auch von Freunden, die in der Premiere waren, bestätigt.In der besagten Szene zwischen Hoffegut und der Nachtigall blüht sie in ihrer Lyrik regelrecht auf wie in Hector Berlioz‘ „Nuits d'été“. Mit Wagner und Richard Strauss geht Braunfels kritischer um. In der Begegnung zwischen der Nachtigall und Hoffegut ist unüberhörbar, dass er die Szenen zwischen Siegfried und dem Waldvogel (Wagner) und die Begegnung zwischen Ariadne und Dionysos (Strauss) korrigiert, indem er in jenes Zauberreich der Liebe zurückfindet wie es der ebenfalls von den Nazis gebannte Felix Mendelssohn im „Sommernachtstraum“ tat. Nur findet in Strasbourg leider kein „Zauberreich der Liebe“ statt wie zuletzt noch in Köln – aber dazu später. Der Dirigent Shokhakimov sagt in einem Interview, dass Walter Braunfels, dessen „Vögel“ er vorher noch gar nicht kannte, „the Master of orchestration“ sei, und er bewundert die verschiedenen Sprachen der Partitur, ihre facettenreiche Harmoniegebung sowie die vielen Modulationen. Auch für ihn ist der stärkste musikalische Moment der lange Dialog zwischen Nachtigall und Hoffegut.

Auch sängerisch wartet die Opéra national du Rhin mit großartigen Entdeckungen für das Braunfelssche Fach auf. Die Nachtigall von Marie-Eve Munger ist eine Offenbarung für diese lyrische mit viel Koloratur gespickte Rolle, die dem ganzen Stück gewissermaßen die menschliche Wärme einhaucht, die durch die Gebärden der Vögel in der Befolgung der Empfehlungen Ratefreunds, sich sogar über die Götter hinwegzusetzen und ihr ganz eigenes Reich zu gründen, verloren gehen. Munger stattet ihren Gesang mit feinster Technik aus, beweist große Kunst beim Wechsel aus der Mittellage in herrlich getragene Spitzentöne und strahlt überhaupt mit ihrem schönen Timbre große vokale Wärme aus. Tuomas Katajala, den ich vor einiger Zeit noch in Helsinki als ausgezeichneten Loge in Wagners „Rheingold“ hörte, ist ein Hoffegut mit kraftvollem Tenor, der aber etwas zu dramatisch für die Anlage der Rolle des Hoffegut erscheint. Das zeigt sich besonders in der Szene mit der Nachtigall, wo eine stärkere lyrische Akzentuierung wünschenswert ist. Gleichwohl meistert Katalaja die Herausforderungen der schwierigen Partie sehr gut. Cody Quattlebaum ist der total gegensätzlich angelegte Ratefreund mit einem bestens geführten Bariton und ausnehmend guter Diktion, sowie höchst engagierter Darstellung. Christoph Pohl begeistert als ebenso stimm- wie persönlichkeitsstarker Wiedehopf, eine echte Luxusbesetzung für diese Rolle! Hier klingt schon der „Rheingold“-Wotan durch, wenn nicht mehr…  Josef Wagner singt den Prometheus mit einem in dieser Rolle eher ungewohnten lyrischen Ansatz mit seinem klangvollen und bestens geführten Bariton. Er scheint die Vögel mehr durch die Vernunft der Worte als durch deren drastische Artikulation (zurzeit ja leider wieder sehr relevant) von ihrem verhängnisvollen Fehltun abhalten zu wollen. Julie Goussot ist ein Zaunschlüpfer mit kräftiger, leuchtender Soprankultur und aufgewecktem Spiel, wie halt Zaunschlüpfer sind, auch wenn es hier nichts zu schlüpfen gibt. Antoin Herrera-López Kessel ist ein Adler mit kultiviertem Bass, und auch der Rabe von Daniel Dropulja singt einen guten Raben. Schließlich kommt Zeus hier im Feingliedrigen persönlich vorbei! Young-Min Suk macht das in von der Regie geforderter bürokratischer Genauigkeit, vom Blatt ablesend, damit auch ja keine Silbe seiner Warnung verloren gehe…

Und damit wären wir bei der Inszenierung von Ted Huffman in den Bühnenbildern von Andrew Lieberman und den Kostümen von Doey Lüthi sowie dem Lichtdesign von Bernd Purkrabek. In ungewohnter Weise, gerade bei einer Neuinszenierung, behandele ich sie am Schluss, weil sie mit Abstand der schwache und dem Thema nicht gerecht werdende Teil dieser „Vögel“-Produktion ist. Ich frage mich wirklich, wie intensiv der junge US-amerikanische Regisseur sich in den europäischen Wertekanon und die europäische Kulturgeschichte bis in die Zeit von Aristophanes um 400 v. Chr. hineinversetzt hat, und die Essenz oder das verstanden hat, was Walter Braunfels mit den „Vögeln“, die er ja vor und nach dem 1. Weltkrieg schrieb, zum Ausdruck bringen wollte. Huffman und Lieberman siedeln die Vogelwelt in einem hochmodernen Großraumbüro des späten 20. Jahrhunderts an, als es ihrer Meinung eine Hinwendung zu einer „hyperkapitalistischen Gesellschaft“ gab, die sich auch im Stile der Architektur wie Wolkenkratzern und Ähnlichem artikulierte (obwohl die in vielen Großstädten schon viel früher standen) und in der sich die Menschen, die dort arbeiten müssen, entfremdet oder gar entmenschlicht fühlen.

Damit stellt er die Idee der „Vögel“ völlig auf den Kopf! Denn es sind ja gerade Hoffegut und Ratefreund, die sich in ihren Großstädten, aus welchen Gründen auch immer, möglicherweise auch wegen der Arbeitsbedingungen in Wolkenkratzer-Großraumbüros, auf den Weg in die Vogelwelt machen, um eine anderen Lebensstil kennenzulernen und diesen vielleicht zu übernehmen. Aber genau diese Vögel leben als graue Büro-Hengste genau das Leben wie in der Großstadt, aus der die beiden kommen - und schlimmer noch: Bei Huffman sind Hoffegut und Ratefreund von Beginn an gleich Teil des Büropersonals. Völlig unverständlich also, wie sie hier etwas Neues kennen lernen können. Ja, selbst Prometheus ist schon da, gleich zu Beginn, als Einsammler der Papierabfälle, eine Rolle, die er im Finale, wo er längst auf Nimmerwiedersehen verschwunden sein sollte, auch wieder ausübt. Widersprüchlich auch zu Huffmans Konzept, dass die Vögel nach dem Sturm dieses Büro genauso wieder aufbauen wie gehabt. Sie haben also nichts, aber auch gar nichts verstanden, obwohl man nach der herrlichen Ode an Zeus doch etwas ganz anderes erwarten kann und auch müsste! Sogar Hoffegut und Ratefreund blättern Papiere und setzen sich wieder an ihre Schreibtische, obwohl zumindest der erste sich durch den Kontakt mit der Nachtigall doch stark verändert hat. Mit diesem Zusammenfall von Endogenität der Vogelwelt einerseits und Exogenität der beiden Menschen hat Huffman die zentrale Achse des ganzen Stücks ausgehebelt und mit der Banalisierung der Büroästhetik auch die so großartige Metaphorik der Vogelwelt für so viele andere Verhaltensweisen als jenen der Menschen nivelliert. Dass auch noch Zeus als Oberbürokrat persönlich erscheint, schlägt dem Fass am Ende den Boden aus. Es ließe sich nach vieles andere sagen, so die skurrile Eier-Produktion bei der Taubenhochzeit (nun doch auf einmal etwas Vogelartiges!), aber das soll hier reichen. Die Choreografie von Pim Feulings trägt mit ihren teilweise wirren Verrenkungen und Blättergezappel als Gewitterdarstellung auch nicht unbedingt zur einer erträglichen Dramaturgie bei. Immerhin könnte man die allerdings eher spastisch oder epileptisch wirkenden Verrenkungen des jungen Tänzers Toon Lobach zum Monolog der Nachtigall als Darstellung des von ihr getöteten Sohnes Itys interpretieren. Dafür tanzt er aber viel zu lange und tritt später auch noch unter den Büroangestellten auf.

Klaus Billand

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