
Piotr I Tschaikowski Pique Dame Wiener Staatsoper 24.6.2025
Spannender Opernabend mit Starbesetzung in russischer Tristesse - Wien Pique Dame
Ein kahles und unwirtliches Treppenhaus, zumeist düster ausgeleuchtet ist das einheitliche Bühnenbild von Johannes Leiacker der Inszenierung von Pique Dame aus 2007 an der Wiener Staatsoper. Das Werk war für den Schöpfer Piotr Tschaikowski von großer und auch autobiografischer Bedeutung. Dem Textbuch von ihm und seinem Bruder liegt eine Erzählung von Aleksandr Puschkin zugrunde, einem Meister der fantastischen Literatur, der geschickt Realität ins Surreale verwandelt.
In einer Dreiecksgeschichte um Hermann, ein russifizierter Deutscher aus sozial einfachen Verhältnissen und der mysteriösen alten Gräfin und ihrer Enkelin Lisa geht es um soziale Konflikte, Einsamkeit und das Rätsel um drei Karten als Schlüssel zu sozialem Aufstieg, der die vielgepriesene Liebe Hermanns zu Lisa als unromantische Täuschung erscheinen lässt mit tragischem Ende aller Drei.
Vera Nemirova nutzt die Tristesse des Raumes zur Verwandlung vom lieblosen Kinderheim zu nüchternem Baalsaal oder Aufbahrungshalle bis zum mondänen Spielsalon mit Automaten in ihrer sozialkritischen Deutung. Aussenseiterdasein, Einsamkeit, Leidenschaft und Leiden von Hermann in der oberflächlichen gelangweillten adligen oberen Gesellschaft Russlands im ausgehenden 19.Jahrhundert rückt sie in den Mittelpunkt. Zeitlos modern sind die Kostümen von Marie Louise Strandt.
Zumeist wird in der allgemeinen Aufführungspraxis das Schäferspiel zur Verlobung Lisas weggelassen. Hier wird es zur Anklage und sozialkritischen Demontage der gelangweilten Oberschicht in dem ausschweifend sexuelle Fantasien einfliessen und die Darsteller selbst aus der Oberschicht in Doppelrollen auftreten.
Aufgrund der erstklassigen zumeist russischen Starbesetzung gab es einen großen Zulauf und alle Abende der Wiederaufnahme sind ausverkauft. Anna Netrebko und trotz Trennung noch Ehemann Yusif Eyvazov stehen wieder eimal gemeinsam auf der Bühne, für beide ein Rollendebüt im Haus am Ring. Netrebko stellt wieder ihre Klasse als singende Schauspielerin zur Schau. Ihre Lisa liebt und leidet, steckt in den Gefühlen von Pflicht und sozialer Stellung als Frau in in inneren Zwängen, denen sie mit ihrem Geliebten entkommen möchte. Im Scheitern erstrahlt ihr dunkler, höhensicherer Sopran in den feinsten Farben. Auch wenn nur wenige russisch im Saal sprechen, bekommt jedes Wort in ihrer Darstellung eine mitreißende Ausdruckskraft. Yusif Eyvazov hat sich nicht nur an der Seite von Netrebko eine internationale Karriere aufgebaut. Sein mächtiger breit angelegter Tenor ist imposant, lässt sich aber nur geringfügig modulieren. Farblos irrt er durch seine Gefühlswelt, in der Mittellage liegt die Stimme kehlig tief. Darstellerisch ist er sehr engagiert und glaubwürdig. Als aufrichtiger ehrenhafter Jeletzki begeistert Boris Pinkhasovich in dessen großer Arie an seine Verlobte Lisa. Mit ruhiger gut ausbalancierter Baritonstimme, die sich gefühlvoll nuancieren lässt, verleiht er seiner Darstellung eine natürliche Präsenz auf der Bühne.
Alexey Markov liefert als Tomski in seiner Erzählung über das Leben der Gräfin das bindende Handlungsglied des Abends und ist ein überzeugender Meinungsmacher in der rührigen Oberschicht. Dementsprechend ist er auch als Pluto im Schäferspiel von göttlichem Einfluss. Ivo Stanchev als Surin und Andrea Giovanni als Tschekalinski sind seine willigen Handlanger und aufmerksame Beobachter der Handlung um den mysteriösen Deutschen.Elena Maximova ist eine sichere Polina im Duett mit Lisa und ein kecker Daphnis.
Wiederum erfreut der Chor der Wiener Staatsoper mit seiner ausgezeichneten harmonisch gut abgestimmten Darbietung des russischen Textes und ist umfangreich in das szenische Spiel integriert. Beeindruckend die jungen Talente der Kinder der Opernschule der Wiener Staatsoper, die souverän zu Beginn die Aufführung mitgestalten.
Als Retter des Abends wird Michael Güttler als kurzfristiger Einspringer für den erkrankten Dirigenten Timur Zangiev vor Aufführungsbeginn angekündigt. Er wirkt sehr vertraut mit dem Orchester, setzt durchaus Akzente und es gelingt ihm die erstklassigen Musiker des Klangkörpers gut zusammen zu führen und romantisch russische Melancholie zu bewirken.
Großer Beifall der zum Jubel für die Stars anschwellt.
Dr. Helmut Pitsch
25. Juni 2025 | Drucken
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