Santa Cruz de Tenerife: TROUBLE IN TAHITI Auswirkungen des „amerikanischen Traums“

Xl_ccfba915-d5de-4943-bb3c-343a17e35625 © Opera de Tenerife

Santa Cruz de Tenerife: TROUBLE IN TAHITI Premiere am 20. Januar 2024

Auswirkungen des „amerikanischen Traums“

Die Ópera de Tenerife im Auditorio de Tenerife unter der Leitung von José Luis Rivero bringt in der Hauptstadt der Kanaren-Insel Teneriffa neben dem klassischen Repertoire - wie in dieser Temporada die „Rusalka“ - auch immer wieder seltener gespielte Titel. So gab es nach der sehr gelungenen Inszenierung der Oper „Der Zwerg“ von Alexander Zemlinsky und der ebenso erfolgreichen Funkoper „The Old Maid and the Thief” von Gian Carlo Menotti im Vorjahr nun die Kammeroper „Trouble in Tahiti“ von Leonard Bernstein, der auch das Libretto schrieb, in der reduzierten Fassung von Garth Edwin Sutherland.

Das Stück erlebte 1952 seine Uraufführung. Bernstein begann mit der Komposition des Einakters schon während seiner Flitterwochen 1951 mit der chilenischen Schauspielerin Felicia Montealegre. Er wollte mit der Oper ein ernsthaftes Bild der problematischen Ehe eines jungen US-amerikanischen Vorstadt-Ehepaares dokumentieren - ein Topos, der ja auch später immer wieder in der US-amerikanischen Kunst und Debatte um Lebensstile in den Vorstädten der US-Metropolen zum Tragen kam. In den damals ohnehin unruhigen Zeiten der USA wollte Bernstein seine Bedenken zum damals allgemein thematisierten „amerikanischen Traum“ anmelden, also die soziale und individuelle Realität in den USA jener Zeit kritisch darstellen. In dieser Hinsicht hat das Stück durchaus auch autobiografische Züge, zumal sich Bernstein selbst einem Leben nach dem „amerikanischen Traum“ zu entziehen trachtete und seine Eltern in gewisser Weise als Vorlage für das Ehepaar im Stück, Sam und Dinah, dienten. Sie haben einen kleinen Jungen namens Junior. Wie Regisseur Siscu Ruz im e-Programmheft nachvollziehbar meint, macht Bernstein in seiner Oper mit zeitweise beklemmender Intensität klar, dass das Paar im Spannungsfeld zwischen dem Streben nach persönlichem Glück und Harmonie und den gesellschaftlichen Erwartungen in der Vorstellung lebt, den „amerikanischen Traum“ realisieren zu müssen. Sam und Dinah sind gefangen in einer problematischen und vordergründig oberflächlichen Beziehung, auf der ständigen Suche nach materiellem Erfolg und der Erreichung der damit verbundenen sozialen Anerkennung. Sie merken dabei nicht, dass dieses Streben sie von Tag zu Tag mehr entfremdet.

Siscu Ruz hat mit seinem Bühnenbildner Carlos Santos eine Szene entworfen, die durch nach Innen immer tiefer werdende Ringe gewissermaßen die angestrebte Intimität und Harmonie, aber auch die Enge der Beziehung von Sam und Dinah visualisiert. Von diesen Ringen gehen jedoch auch Laufstege nach Außen aus, über die beide ihren anderen Lebensinhalten und Aktivitäten nachgehen, auf der Seitenbühne oder gar die Bühne verlassend. So geht Dinah regelmäßig zu ihrem Psychiater, der ihr vermittelt, zu einem harmonischen und ruhigen Platz gelangen zu können („a quiet place“). Sam erfährt in seinem Büro professionale Anerkennung, auch die wohl etwas weiter gehende seiner Sekretärin. Ansonsten wird er in seinem Sportverein gefeiert, wo er von Erfolg zu Erfolg kommt und einmal auch Dinahs Bitte abschlägt, wegen einer Präsentation ihres Sohnes in die Schule zu kommen.

Die Szene ist komplett in Weiß ausgestattet, mit einer dazu stets passenden Beleuchtung von Ibán Negrín. So gelingt es noch besser, die Aufmerksamkeit auf die beiden Protagonisten zu lenken, die hier um ihr gemeinsames Glück und ihre Familie kämpfen. Sie tragen Kostüme unserer Zeit (Leo Martínez), wie auch die ganze Szenerie vollkommen zeitlos wirkt - die Allgemeingültigkeit des Themas auch optisch unterstreichend. Denn den Kampf um gemeinsames Glück und Harmonie in der Beziehung versuchen Sam und Dinah immer wieder. Jeden Tag beginnt es beim Frühstück und endet bald in Streit. Aber zugrunde liegt beiden doch ein sehr authentisches und wahres Gefühl der Liebe zueinander. Das ist an dem emotionalen Monolog zu erhören, den beide jeweils weit voneinander entfernt im späteren Verlauf des Stücks singen.

Blanca Valido spielt die Rolle der Dinah mit großer emotionaler Intensität, stets sehr authentisch wirkend, und leiht ihr große Persönlichkeit durch einen gut geführten und wohlklingenden Mezzosopran. Besonders ihr merkte man die innere Zerrissenheit zwischen sozialem Druck und dem Wunsch nach Harmonie in der Beziehung an, was bisweilen bewegende Momente mit sich brachte. Für ihren Partner Sam, der von Omar Lara gesungen werden sollte, sprang noch am Morgen der Premiere Carlos Reynoso ein, ein junger Bariton, der unter den gegebenen Umständen das Beste aus der Rolle macht, aber nicht an die vokale Intensität von Blanca Valido heranreicht. Immerhin, Veloso rettete die Premiere!

Hinzu kommt eine Trio aus einem Tenor, Aitor Garitano, einem Sopran, Candelaria González und einem Bariton, Borja Molina, die wie der frühe griechische Chor immer wieder in die Handlung einsteigen und singend meist die gesellschaftlichen Erwartungen der damaligen Zeit besingen. Damit machen sie auf das Paar noch mehr Druck. Sie werden chorografisch sehr geschickt in die Handlung eingebaut, sorgen natürlich auch für Belebung und sind auch diejenigen, die das erste Wort im Stück haben, langsam durch die Zuschauer hinunter auf die Bühne gehend. Alle drei singen sehr gut und akzentuiert. Und sie sorgen auch für die Jazz-Elemente in der Musik Bernsteins, die immer wieder erklingen, wenn sie sich einmischen.

Das 14-köpfige Ensemble Ópera de Tenerife, das unter der musikalischen Leitung von Francis Hernández musiziert, sitzt auf der hinteren Bühne und ist somit in gewisser Weise Teil des Geschehens, indem es den musikalischen Ausdruck zur jeweiligen Stimmung von Dinah und Sam aus nächster optischer Nähe bringt. Dabei sind auch lange Phasen mit großer Harmonie und Melodik zu hören, obwohl die Musik durchwegs modern klingt und etwas dem Musical nahe kommt.Die Inszenierung wirkt insgesamt geschlossen, optisch interessant sowie aktuell und ist somit gelungen, was auch durch den lang anhaltenden Beifall des Premierenpublikums im ausverkauften kleinen Saal des Auditorio de Tenerife zum Ausdruck kam.

Warum aber „Trouble in Tahiti“?! In ihrer Langweile geht Dinah oft ins Kino, und an dem Tag sieht sie zum zweiten Mal einen romantischen, wenn auch nicht sehr tiefgründigen Film mit diesem Titel. Aber sie sieht in der Südsee-Romantik ihren schon vorher mit Inbrunst besungenen „quiet place“! Als beide am Ende des Stücks wieder ihre Probleme besprechen wollen, sich aber wegen zu erwartender Vorwürfe nicht dazu trauen, schlägt Sam vor, ins Kino zu gehen. Es läuft „Trouble in Tahiti“…

Leonard Bernstein integrierte 1984 „Trouble in Tahiti“ in sein größeres und auch häufiger gespieltes Werk „A Quiet Place“. Über 30 Jahre später wird also das Drama dieser Familie weitergeführt, indem der Sohn Junior und seine Schwester Dede nach Hause zu ihrem Vater Sam kommen, nach dem Tod der durch einen Autounfall ums Leben gekommenen Mutter Dinah. So kann man „Trouble in Tahiti“ auch als die Keimzelle von „A Quiet Place“ sehen, obwohl er auch in der gleichnamigen Oper kaum gefunden wird…

Dr. Klaus Billand

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