Salome ohne Tanz und Kopf in St. Petersburg

Xl_img_0566 © Helmut Pitsch

Imposant thront das neugebaute Opernhaus Mariinsky II über einem Seitenkanal der Newa. Das 2006 eröffnete Gebäude ist ein architektonisches Werk der Superlative und wurde auf Initiative Valery Gergievs seit 1988 künstlerischer Leiter geplant. Ein grosses zwei stöckiges Foyer mit grosser Glasfront zur Strasse und bernsteinfarbener Fassade zum Innenraum nimmt den Besucher als erstes auf. Das Auditorium ist der klassischen Hufeisenform mit fünf Stockwerken nachempfunden. Rund 2000 Personen fasst der in hellem rötlichen Holz nach akustischen Auflagen gestaltete Raum. Zahlreiche Opernabende stehen auch dieses Jahr auf dem Programm der White Nights Festspiele, darunter auch die Wiederaufnahme von Richard Strauss Salome. Der Hausherr und künstlerische Leiter Valery Gergiev steht selbst am Pult und mit fast 30 Minuten Verspätung eilt er hektisch herein und beginnt ohne dass der Zuschauertaum des großen neuen Opernhauses richtig verdunkelt ist.

Er macht die Spannung zwischen dem Dreieck Salome Jochanaan und Herodes hörbar und fühlbar. Kräftig und laut wird in Verzweiflung und Machtbeweis aufgespielt, aber schnell wird zu Intimität und Gefühlen zurück gekehrt. Diese Extreme sind in diesem Werk sehr nah beisammen und steigern sich in der Expressivität der Musik. Er kennt sein Orchester des Mariinsky Theater und weiß, dessen Potentiale und Nuancen in allen Instrumenten zu nutzen. Der Schleiertanz wird zur Demonstration von Farben, die in großen Gesten gemischt werden. Aber in der eigenwilligen Regie von Marat Gatsalov fehlt der Tanz. Ein nackter Frauenkörper wird überlebensgroß auf die Palastwand projiziert. In einer weiteren Schicht werden Kriegsbilder, Naturkatastrophen oder Sportbilder aufgespielt. Die Weiblichkeit als Ursprung der Menschheit. Die Verführung als Ursünde, der sich Johannan nicht stellt, wohl aber Herodes. Beklemmend kühl gestaltet Monika Pormale das Bühnenbild. Der Palast besteht aus drei beweglichen identischen Blöcken, jeweils drei Stockwerke mit drei Fenster, die kühl von Alexander Naumov ausgeleuchtet werden. Immer wieder tauchen in den Räumlichkeiten Gestalten in aufwendigen phantasievollen Kostümen (Gestaltung Rolands Peterkops und Marite Mastina Peterpopa) auf. So kann das Geschehen keiner Zeit, keiner Mode zugeordnet werden und hat einen Touch Science Fiction. Jochanaan singt nicht aus dem Verliess sondern vom ersten Stock und schaut auf Salome herunter. Auch fällt sein Kopf nicht bühnendramatisch sondern taucht nur schemenhaft in der Videoinstallation von Katrina Neiburga auf. Mehr Platz gibt sie dem Körpertorso. In solch steriler schwarz weiss gezeichneter schmuckloser Umgebung ist es umso mehr Aufgabe der Protagonisten den Handlungsablauf und besonders die Beziehungsebene am Hof des Herodes aufzuzeigen. Aber auch hier, der Regisseur setzt wenig auf eine gestenreiche Personenregie.

Die Charakter kommen nie in direktem Bezug zusammen. Herodes steht hoch am linken Bühnenrand, seine keifende Herodias am rechten und Salome steht zwischen allen Personen allein vor dem Palast. Wohin sie gehört oder welche Identität sie hat wird so bewusst ausgeklammert und zu ihrem persönlichem Problem Sängerisch greift Valery Gergiev auf das Ensemble des Mariinsky Theater mit ausnahmslos russischen Sängern zurück, deren Wortverständlichlichkeit sehr unterschiedlich ist. Allen voran kämpft Elena Stikhina so in der Partie mit den expressiven scharfen Kanten in der Lautmalerei von Höhen und Sprüngen. Ihr Stimmvolumen und auch Höhensicherheit helfen ihr dabei nie schrill zu werden. Evgeny Nikitin hat als Wagnersänger an vielen Häusern reüssiert und zeigt auch hier seine Routine im Umgang mit der deutschen Sprache als Jochanaan. Markig sind seine Rufe und Prophezeiungen, emphatisch und passend zur Inszenierung sein Dialog mit der jungen Prinzessin, die Liebe suchend. Als Herodes kann Andrei Popov Dramatik mit seiner gut ausgebildeten Stimme ohne zu Forcieren erreichen. Sein Herodes ist dabei verspielt und weniger herrschaftlich. Alexander Timchenko hat einen weichen wohlklingenden Tenor passend für Naraboth. Als Herodias zeigt Larisa Gogolevskaya eine gealterte brüchige Stimme, die der keifenden Herrscherin Ausdruck und Farbe gibt. Insgesamt eine musikalisch abwechslungsreiche Aufführung, die in dem Regiedebüt von Marat Gatsalov nicht wirklich aufblüht. Das Publikum spendet kräftig aber kurzen Applaus und strömt an diesen langen Tagen der Mitternachtsdämmerung entgegen.

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