Saisoneröffnung der Berliner Philharmoniker Abstandsregelungen führen zu neuen Klangerlebnissen

Xl_878644b9-2348-45f1-8eab-ee457f7f2c44 © Berliner Philharmoniker

Er wirkt schon ganz heimisch. Entspannt und aufgeweckt erscheint er vor dem Orchester und Publikum. Kirill Petrenko eröffnet bereits seine zweite Saison mit den Berliner Philharmonikern. Schwer lasten die vielzitierten gesetzlichen Beschränkungen auf dem Kulturbetrieb. Vor allem die Abstandsregelung wiegen schwer. Die grosse Philharmonie kann nur spärlich besetzt werden, ein wirtschaftliches Fiasko für den Kulturbetrieb. Die Orchestermusiker müssen ebenfalls den Abstand von zwei Metern einhalten, für die Bläser sind es sogar drei. Ein komplett neues Spielgefühl des miteinander musizierens, aber auch des empfundenen Hörens des Orchesterklang. Zu Beginn sitzt mit Arnold Schönberg Verklärte Nacht in der Bearbeitung für Streichorchester nur ein Teil des Orchester in respektablen Abstand untereinander und zum Dirigenten.

Ein Gedicht von Richard Dehmel liefert die Vorlage, ein Inhalt bahnbrechend und verwegen für die Zeit wie die meisten Werke des Dichters im ausgehenden 19. Jahrhundert. Ein Verurteilung wegen Blasphemie, die seine Bekanntheit wahrlich katapultierte, bereitete den Grundstein seiner Karriere. Zwei Menschen, ein Paar, spazieren durch die „kalte kahle“ Nacht, sie gesteht ihre Schwangerschaft von einem Dritten, er will das Kind als das Seinige annehmen. Die Nacht wird „hell und hoch“. Rede und Gegenrede, Stimmungswechsel und Vereinigung werden musikalisch thematisiert. Das Gedicht wird lebendig, die Personen und das Gespröch nehmen Formen an.

Kirill Petrenko führt behutsam, hält die Musiker zur Ruhe und Geduld an, drückt nicht auf Volumen sondern Klarheit. Unter seiner präzisen Führung finden die Musiker trotz Abstand zusammen und horchen selbst auf ihre Erzählung und Spiel. Opulent und romantisch bildhaft wird es im zweiten Teil des Abends. Johannes Brahms steht in seinem Werk für Tradition, ein Verehrer der klassischen Meister wie Johann Sebastian Bach und Ludwig von Beethoven. Der Aufbau seines symphonisches Werk folgt der Sonatenform gegliedert in vier Sätze. Auch in seiner 4. und letzten Symphonie e moll opus 98 ist dies vordergründig erkennbar, doch wird der Satzbau aufgelöst. In der Gestaltung der Motive und deren Modulation zeigt sich seine Weiterentwicklung. Harmonien werden ausgereizt, die Orchestrierung und Instrumentierung spiegelt den Höhepunkt der Romantik wieder. Im letzten Satz kehrt er zur barocken Chaconne zurück und lässt 30 Variationen folgen.

Wohltuend lässt Kirill Petenko den grossen Saal der Berliner Philharmonie mit vollen Orchesterklang füllen. Nach den Zeiten der schmerzvollen Abstinenz erfüllt das Spiel die Herzen von Zuhörern und Musikern. Mächtig baut sich das Klanggebäude auf, immer unter klarer Anweisung des Maestro, der jeden Ziegel in die Hand nimmt, indem er direkt jeden Einsatz mit bohrenden Fingerzeig gibt. Dies ist notwendig, um die Musiker zu unterstützen, denn die Distanz behindert deren direktes Hören untereinander. Besonders die Bläser kämpfen damit und werden so liebevoll an die Hand genommen. Es gelingt eine aufwühlende wie gefühlvolle Interpretation. Das Publikum badet in symphonischen Aufgüssen und wird in spielerischer Leichtigkeit getrocknet. Viel Jubel beim begeisterten Publikum.

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