
Kaija Saariaho Adriana Mater Teatro dell‘Opera Roma 12.10.2025
Saariaho- Mater Adriana im Stil einer griechischen Tragödie zeitgemäß verpackt in Rom
Die in 2023 verstorbene Kaija Saariaho gilt als eine der bedeutendsten zeitgenössischen Komponistinnen. Ihr Werk umfasst zahlreiche Opern, aber auch Orchesterwerke sowie Kammermusik. Ihre zweite, 2006 uraufgeführte Oper Adriana Mater wird nun in einer Neuinszenierung in Italien erstaufgeführt. Das sensible wie auch wortgewaltige französische Libretto stammt vom libanesischen Kriegsreporter und Schriftsteller Amin Maalouf. Er verarbeitet seine Erfahrungen im Bürgerkrieg seines Heimatlandes sowie in Jugoslawien. Adriana entscheidet sich ihr Kind, das Ergebnis einer Vergewaltigung durch einen betrunkenen Partisanen zu bekommen. Ihr Sohn Yonas erfährt mit 17 von der wahren Identität seines Vaters und den Umständen seiner Zeugung. Er sinnt auf mörderische Vergeltung, kann aber im Angesicht seines nun blinden Vaters die Tat nicht ausführen. Dies führt zur Erlösung von Mutter und Sohn vom unhelvollen Blutsband das Vaters.
Saariaho schrieb die Oper während ihrer zweiten Schwangerschaft und widmete diese dem britischen Regisseur Peter Sellars in Erinnerung an ihre Mutter. Sellars ist nun auch Regisseur dieser Neuinszenierung am Teatro dell‘Opera in Rom. Diese mutet mit mehreren ausgeleuchteten Platformen neben und vor dem Orchester auf der Bühne eher einer halbszenischen Umsetzung an. Neonröhren hängen wie eine Wolke über der Bühne, die je nach Stimmung und Handlung andere Farben annehmen. Weitere Requisiten oder Bühnenaufbauten fehlen, das Bild bleibt abstrakt, auch in der zurückhaltenden Personenregie.
Das Minimalistische lässt aber die Worte und Musik noch intensiver sprechen. Die Finnin hat an der Komposition mit Hilfe des Computers gearbeitet. Das Ergebnis ist eine bildreiche expressive Musik, die viele Gefühlsebenen gekonnt abbildet und in ausladenden Orchesterpassagen symphonische Breite und sehr subtile Abbildungen von Gefühlen und Naturstimmungen beinhaltet. Die Musik ist modern polyphon, zeigt aber ihre Abstammung von Romantik und Expressionismus. Die Instrumentierung lässt eine farbenreiche Klangwelt erklingen.
Meisterhaft wechselt Saariaho zwischen zarten, fein ausgearbeiteten intimen Szenen und überschäumender Monumentalität von Gewalt. Die Gesangslinien bewegen sich im parlando Stil in der Mittellage, der umfangreiche Text wird klar artikuliert in ariosen Ansätzen. Gemeinsam geben Musik und Wort eine unglaubliche Dichte, erdrückende Hilflosigkeit sowie philosophische Entzauberung. Reizvoll ist der breite Einsatz des Chores als eigene Klangfarbe und Verbreiterung der Harmonien und Polyphonien.
Ernest Martinez-Izquerdo führt das große Orchester sehr vertraut mit der Partitur. Klar und ruhig leiten seine Gesten, gespannt hält er die Musiker zusammen, fordert kräftigen Einsatz, steigert die Dramatik durch Pausen und markante Wechsel von Piano zu Forte und in den Rhythmen. Überzeugend und in den Stimmfarben gut abgestimmt das Sängerensemble. Fleur Barron besticht mit ihrer klaren ausdrucksstarken Mezzostimme als Adriana. Zerbrechlich von Gestalt wirkt ihre souveräne Präsenz als tapfere starke junge Frau, die ihr Schicksal in die Hand nimmt. Axelle Fanyo ist ihre Schwester Refka, die zuerst zur Abtreibung rät, Adriana aber unterstützt. Ihr großes Stimmvermögen versteht sie anzupassen und in ihrer Traumerzählung emotional starke Momente hervorzurufen. Auch Nicholas Phan verleiht dem Teenager Yonas kindliche Gefühle, ungestüme Reife und ein ehrbares Herz. Sein lyrischer Tenor passt gut in das Rollenbild. Das Böse verkörpernd versteht Christopher Purves als alter blinder Tsargo weise Erkenntnis und Reue, aber auch ungebrochenen Stolz vor Einsicht zu vermitteln.
Die Aktualität des Themas in der musikalischen Wucht der Umsetzung ergreift das Publikum, das am Ende begeistert applaudiert. Das Thema ist zeitlos in der Gesellschaft verankert, gerade im Jetzt.
Dr. Helmut Pitsch
14. Oktober 2025 | Drucken
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