Provizieller Glanz mit Blässe In Usedom

Xl_0fc61ccd-89ca-4a51-adbc-bbb4b81a2439 © Helmut Pitsch

Usedomer Musikfestival New York Philharmonic 20.-24.5.2022

Provizieller Glanz mit Blässe

Vor dem Beginn des groß in den Medien angekündigten Besuches der New York Philharmonic als "Orchester in Residence" auf der Ostsse Insel Usedom gab es harsche Kritik zu den fragwürdigen Sponsoren mit russischem Hintergrund. Auch die mittlerweile mit Milliardenverlust beerdigte Gaspipeline North Stream II gehörte dazu.

Der außergewöhnliche Aufführungsort steht für eines der dunkelsten Kapitel des zweiten Weltkriegs. Peenemünde trägt den zweifelhaften Ruhm als Entwicklungs- und Produktionsstätte der Vernichtungsraketen A4 bzw V2, die noch kurz vor Kriegsende zu zahlreichen Todesopfern in der Zivilbevölkerung in England und Belgien führten. Monumentale Monumente aus Backsteinziegel und Beton der NS Zeit prägen das Landschaftsbild..Der riesige Turbinenraum des in seiner Größe beeindruckenden Heizkraftwerkes ist ein nüchterner Konzertsaal in der Industrieruine. Akustisch verfügt der langgezogene Raum mit seiner imposanten Raumhöhe und grossen Fensterfronten über gute Eigenschaften und bietet 1200 Zuschauern Platz. Nüchtern, einfach und gefühlslos ist leider das gesamte Ambiente gestaltet. Der Zugang erfolgt über lediglich eine schmale Metalltreppe, eine Herausforderung an Mobilität und Geduld für die zahlreich zumeist aus der Umgebung angereisten Zuschauer.

Nun sind sie doch gekommen, die herzlich von der Politprominenz begrüßten Gäste aus Amerika. Ihre erste Auslandsreise seit drei Jahren führt das Orchester nach Mecklenburg Vorpommern, um an diesem geschichtsträchtigen Ort ein Zeichen des Friedens und der versöhnenden Mission der Kultur zu setzen. Mit im Gepäck sind ausgewählte Kompositionen mit oftmals US amerikanischen Bezug, darunter jeweils ein zeitgenössisches Werk von US amerikanischen Komponisten und  Komponistinnen zu Beginn der drei symphonischen zumeist ausverkauften.Konzertabenden, 

Zum  Auftakt des ersten Abends steht die Europa Premiere der 2020 in San Francisco uraufgeführten Komposition Lumina - Licht von Nina Shekhar an. Monochrom harmonisch zumeist von den Violinen getragen ist das elf Minuten dauernde Werk. Verschiedene Soloinstrumente färben die Stimmung ohne eine Steigerung zu vermitteln. Das Licht fliesst ohne an Helligkeit zu gewinnen.

Der junge Pianist Jan Lisiecki ist der Solist von Ludwig van Beethovens Klavierkonzert Nr 5. Der international erfolgreiche Kanadier zeichnet sich mit einer ausgeprägt gefühlvollen nuancierten Interpretation des beliebten Werkes aus. Auch nutzt er Tempi, um seinem Spiel Farbe und Ausdruck zu geben und kollidiert mitunter so mit dem Dirigat von Jaap van Zweden. Mit viel Emotion und zartesten Tönen erreicht der zweite Satz die feinste Deutung.

Rhythmus und Taktvielfalt treibt die neunte Symphonie von Dmitri Schostakowitsch Es Dur op 70. Als euphorische Siegessymphonie am Ende des zweiten Weltkriegs vom Regime bestellt, drückt der Komponist vielmehr die Gefühle der Individuen aus. Vom Regime mit einem Bann belegt, gewann die Symphonie im Westen an Beliebtheit. Effektvoll pointiert und zackig an der Lautstärke feilend reisst das Orchester und sein Dirigent das Publikum mit. Am Ende stehende Ovationen.

Der Weltstar Anne-Sophie Mutter ist die Solistin des zweiten Konzertes. Nach der Komposition der US Amerikanerin Joan Tower mit dem Titel 1920/2019, eine Ode zum 100. Jahrestages des Frauenwahlrecht in den Vereinigten Staaten, widmet sich die Geigerin einer emotional aufwühlenden Darstellung des Violinkonzertes Anne-Sophie, welches Ihr Gatte Andre Previn für sie komponierte. Wie die Künstlerin selbst ausführt, war es Ihr ein Anliegen dieses Werk des 1938 aus Berlin emigrierten jüdischen Komponisten gerade an diesem belasteten Ort aufzuführen. Das Werk ist geprägt von hohen harten Tönen der Geige, die nur vereinzelt ansatzweise in eine Melodie fließen. Moderato, Cadenza langsam und Andante sind die Satzbezeichnungen. "Aus einem Zug in Deutschland" ist der Begleittitel des letzten Satz. Die Empfindung einer vorbeifliegende Landschaft ohne markante Höhepunkte vermittelt das Wechselspiel Solist und Orchester.

Zum Abschluss steht Bela Bartoks Konzert für Orchester auf dem Programm. Ebenfalls vor dem Nazi Regime geflohen, erarbeitete der Komponist im Auftrag des bekannten Dirigent Sergej Kussewitzky sein letztes großes symphonisches Werk als Requiem für dessen verstorbene Ehefrau. Die emotionalen Entladungen und feinen schwungvollen Melodien des Werkes gehen in der zu stark von abrupten Wechsel der Lautstärke und überreizten Rhythmik im Dirigat verloren und bringt die Sensorik des Werkes nicht zum aufblühen.

Im dritten Konzert eröffnet Lyrics for strings, ein Werk des afro amerikanischen Komponisten George Walker. Ruhig und ausgeglichen musizieren die Musiker einen weichen berührenden imstrumentalen Gesang. Das Werk ist dessen Grossmutter gewidmet, die noch als Sklavin nach Amerika kam. Berührend gesungen mit vollmundigem kräftigen Timbre wird vom Bariton Thomas Hampson in den folgenden sechs Orchesterliedern "Aus des Knaben Wunderhorn" von Gustav Mahler. Die Lieder für grosses Orchester wurden zum Teil in Amerika uraufgeführt während der Dirigent Gustav Mahler musikalischer Leiter der New York Philharmonic war. Mit großer Sorgfalt und Wortverständlichkeit intoniert Hampson fassettenreich die leidenschaftlichen Lieder, die von einem aufschäumenden Klangteppich im Orchester begleitet werden. Innig hingebungsvoll versetzt sich der im Liedgesang erfahrene Sänger in die vielschichtige Gefühlswelt und erreicht eine persönlich sehr ansprechende Gestaltung.

Böhmischer Kolorit erreicht das Finalstück die 7. Symphonie von Antonin Dvorak, der auch New York einen Besuch abstattete. In dem vier sätzigen Werk mischen sich viele folkloristische Motive, die ein leichtes transparentes Hörerlebnis vermitteln. Der letzte Satz wird für den Dirigenten Jaap van Zweden wiederum eine rhythmische Temposchlacht, die in einem tosenden zu effektvollen Finale mündet.

Mit einem ebenso mitreisserischen Ungarischen Tanz  vo Johannes Brahms als Zugabe verabschiedet sich das Orchester von dem heftig applaudierendem Publikum.

Dr. Helmut Pitsch

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