Prächtiger Pathos mit viel Seele ohne politische Anklage - der neue Boris in Innsbruck

Xl_boris-godunow-c-tlt-3__1_ © Birgit Gufler

Modest Mussorgsky Boris Godunow Tiroler Landestheater 25.3.1023

Prächtiger Pathos mit viel Seele ohne politische Anklage - der neue Boris in Innsbruck

Auf großer Leinwand wird ein Fernseher projiziert und die russische Nachrichtensendung wird gestartet. Staatstrauer ist angesagt und der Sprecher verkündet staatstragend auf Russisch die Meldung vom Tod des Zaren. Ganz im Stil der sechziger Jahre gehalten, wird die Nachricht mit Ballettszenen aus Tschaikowsky Schwanensee begleitet. Bildgewaltig gestaltet so der amerikanische Regisseur Thaddeus Strassberger den Beginn seiner Neuinszenierung von Modest Mussorgskys Monumentalwerk Boris Godunow am Tiroler Landestheater in Innsbruck. So gelingt ihm augenblicklich die Aufmerksamkeit der Zuschauer zu gewinnen und beste Handwerkskunst haltet bis zum Ende der zweieinhalbstündigen Aufführung die Spannung. Imposant ist die Ausstattung und geschickt die Personenregie. Viel russische Seele und Kultur wird vom Regisseur, der auch für die Kostüme und Bühne verantwortlich ist, plakativ erweckt. In Zeiten des aktuellen Ukrainekrieges und der russischen Bedrohung wirken die Massenszenen und der zur Schau gestellte Nationalismus natürlich und nicht bedrohend.

Gezeigt wird hier die Urfassung der ersten Oper von Mussorgskys, die bei seiner Uraufführung keine Akzeptanz erhielt und von ihm mehrfach überarbeitet wurde. Er schuf auch das Libretto auf der Vorlage des gleichnamigen Schauspiels von Alexander Puschkin, auf Begebenheiten der russischen Geschichte im 16. Jahrhundert. Am Ende wird die Qualität und die Modernität dieses Werkes von der Fachwelt und vom Publikum erkannt und die Urfassung erobert sich den Platz, der ihr auf den Spielplänen zusteht.

1869 komponiert, sind die Einflüsse der Romantik bis zu Wagners Leitmotive erkennbar, die er mit der russischen Volksmusik und Kirchenmusik zu einem neuen musikalischen Realismus verknüpft. Er schafft eine Melodieführung aus der sprachlichen Klanglinie. So gelingt ihm die Abkehr von der französischen Grand Opera. Auch inhaltlich ist das Werk ein durch und durch russisches Historiendrama um den Aufstieg und Fall des Bojaren Godunow zum Zar und Herrscher alle Russen. Die Ermordung des Zarewitsch in seinem Auftrag lösen Schuldgefühle und Wahnvorstellungen aus, die zu seinem Tod führen. Ein wahrer Stoff für eine Oper, ein wahrer Krimi, den der Regisseur vor den Augen des Betrachters und Zuhörers werden lässt. In der Mitte der Bühne steht eine große Holzkonstruktion die als Ballast so wie in unterschiedlichen Szenen als Rahmen der Handlung dient. Dazu lässt Strassberger Ikonenbilder oder auch Fernseheinblendungen auf den Corpus projizieren. Die Kostüme sind den sechziger bis achtziger Jahren nachempfunden, wobei auch historische beziehungsweise traditionelle Kleidungsstücke mit eingearbeitet sind.

Als Glücksfall erwies sich die Auswahl von Oliver von Dohnanyi als Dirigenten dieser Neuinszenierung. Er versteht es aus dem Tiroler Symphonieorchester und dem Chor des Tiroler Landestheater eine höchst professionelle Leistung herauszuarbeiten. Markig ist das Tempo und die Phonstärke des Chores gewählt, die Balance zwischen Bühne und Graben immer im Auge. Genauso melancholisch läßt er die verschiedenen Gefühlsregungen sich entwickeln, das wahres Drama steigert sich stetig wirkungsvoll.

Der bulgarische Bassist Ivo Stanchev verkörpert die Titelrolle mehr als überzeugend. Sein Boris Godunow ist Mensch und Herrscher, skrupelos und vom Wahnsinn gezeichnet. Unglaublich ist seine stimmliche Perfektion in der klanglichen Ausgestaltung und Widergabe. Der Tenor Łukasz Załęski tritt als undurchsichtiger Wassili Schuiski dem Herrscher sehr präsent gegenüber und weiß seine Stimme gut der Rolle anzupassen. Den alten Chronisten Pimen gestaltet Johannes Maria Wimmer getragen, wissend und jeder Obrigkeit gefällig, stimmlich in bester Form.

Florian Stern ist ein junger vielversprechender Tenor, der den aufständischen Grigori Otrepjew mit viel Ausdruck und einer schön timbrierten Stimme gestaltet. Von der Regie mit viel Aufmerksamkeit betrachtet erzeugt Dale Albright als Gottesnarr eine weitere Erzählebene. Im Finale an roten Seilen steigt er gegen den Himmel und stimmt sein trauriges Lied pathetisch an.

Aus der Vielzahl der weiteren ausnahmslos bestens besetzten Rollen seien noch Alec Avedissian als Andrei Schtschelkalow und Joachim Seipp als Warlaam auch für die schauspielerische Leistung hervorgehoben.

Viel Beifall und Begeisterung für alle Beteiligten für diese geschmackvolle und gelungene Neuinszenierung in höchster musikalischer Qualität. Eine Herausforderung, die das Tiroler Landestheater bestens gemeistert hat.

 

Dr. Helmut Pitsch

 

 

| Drucken

Mehr

Kommentare

Loading