
Erl Passionsspiele Premiere 25.5.2025 Passionsspielhaus Erl
Beeindruckender Kraftakt einer Dorfgemeinschaft
Seit Jahrhunderten finden in der Tiroler Gemeinde Erl, nahe an der bayerischen Grenze Passionsspiele in Gedenken der überstandenen Pestkatastrophe alle 6 Jahre statt. Über 600 Dorfbewohner nehmen daran aktiv teil, über ein Jahr wird geprobt, 32 Vorstellungen werden diesen Sommer im Passionspielhaus, einem prämierten architektonischen Theaterbau, stattfinden. Viel Aufwand und Herzblut wird vom Trägerverein in die Vorbereitung der Spiele gesteckt. Für die diesjährigen Festspiele wurde der Text von Felix Mitterer vom Regisseur und Schauspieler Martin Leutgeb überarbeitet. Der österreichische Komponist Christian Kolonovits schuf eine neue gefühlsbetonte Musik.
Hartmut Schörghofer kreierte ein einfaches wirkungsvolles, gut einsetzbares Bühnenbild, den eingeschränkten technischen Möglichkeiten des Hauses entsprechend. Eine breite weiße Treppe mit verschiebbaren Elementen steht im Mittelpunkt, Auf beweglichen Elementen zur rechten wird ein zersplitteter Berg als Symbol für die aus den Fugen geratene Welt projeziert. Gleichzeitig können durch Veränderung der Elemente neue Handlungsebenen sowie der Chor eingeblendet werden. Juliane Herold, Leiterin der Kostümmanufaktur der ebenfalls in Erl ansässigen Tiroler Festspiele, schuf für die meisten Mitwirkenden neue zeitlose Kleider mit künstlerischem Ausdruck besonders in den kunstvollen gelben Mänteln der Hohen Priester ablesbar.
Die gesamte Umsetzung auf der Bühne obliegt den Erler Bürgern, allesamt Laiendarsteller. Das Ergebnis ist beeindruckend professionell und begeistert die Zuschauer im ausverkauften Haus. Die szenische Abfolge ist in der Neufassung nunmehr in 26 Bildern. Zu Beginn steht die Offenbarung des Johannes. Die Leidensgeschichte wird um die Lebensgeschichte Jesu erweitert. Geburt, Flucht nach Ägypten mit einem wahrhaft störrischen Esel oder die Vertreibung der Händler aus dem Tempel werden ebenso thematisiert wie auch die Kreuzabnahme und Auferstehung. Emotional gut umgesetzt ist der junge Jesus als Begleiter in der Passion integriert und gibt seinem gealterten Ego spirituelle Unterstützung. Überhaupt dürfen Kinder immer wieder ihr schauspielerisches Talent unter Beweis stellen und sich so schon auf größere Rollen in Zukunft vorstellen.
Die Spielfreude, der Gemeinschaftsinn auf und hinter der Bühne ist allgegenwärtig, die Ensthaftigkeit und Professionalität aller Beteiligten an der Sache verleiht dem gemeinsamen Produkt Qualität und menschliche Wärme. Die Hauptrollen, allen voran Jesus und Simon Petrus sind doppelt besetzt. Stefan Pfisterer ist am Eröffnungstag ein charismatischer Jesus, der mit seinem Erlösungsauftrag hadert, der Pflicht verbunden bleibt und Mildtätigkeit realistisch vorlebt. Sein Tod am Kreuz geht unter die Haut und lässt den tragischen Höhepunkt der Passion dramatisch wirken. Florian Schreder ist sein streitbarer Begleiter und Apostel Petrus, der im Glauben Kraft findet und seine ehrenhafte Liebe dreimal verleugnet.
Höhepunkte sind die Massenszenen wie der Einzug in Jerusalem als auch das Gericht vor Pilatus. Der Zuschauerraum wird mit zur Bühne und der gesamte Saal scheint zu beben. Der Weg, die Wahrheit und das Leben ist der Untertitel der diesjährigen Passionsspiele. Ohne Pathos wird eine kurzweilige leidenschaftliche Leidensgeschichte in störungsfreiem Fluss erzählt.
Die Komposition von Christian Kolonovits untermalt emotional verstärkend mitunter dominant das Geschehen. Angelehnt an Filmmusik werden einzelne Momente berührend ausgekleidet oder durch rhythmische Effekte gesteigert. Das Zusammenwirken von Text, Musik, Bühne und Licht ergibt ein homogenes spannendes Gesamtbild.
Der Erler Anton Pfisterer ist beruflich Orchestermusiker und leitet diese Saison das Chor und Orchester der Passiobsspiele sicher und mit Gespür für die guten akustischen Verhältnisse des Hauses sowie der technischen Verstärker der Schauspieler.
Passionsspiele sind ein bedeutendes Kulturgut ersten Ranges unserer christlich geprägten abendländischen Gesellschaft und eine seltene Form der kulturellen und künstlerischen Interaktion ganzer Bevölkerungsgruppen ohne soziale Ausklammerung. Es ist ein Erlebnis, der Dynamik eines solchen gemeinschaftlichen Kraftaktes beizuwohnen. Stehende Ovationen und lauter Jubel nach der vierstündigen Aufführung.
Dr. Helmut Pitsch
26. Mai 2025 | Drucken
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