Otello und Dirigent im Wettkampf um Dezibel bei den Festspielen in München

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Giuseppe Verdi Otello Münchner Opernfestspiele 30.6.2023

Otello und Dirigent im Wettkampf um Dezibel bei den Festspielen in München

Verschiedentliche Umbesetzungen setzten bereits ein Omen im Vorfeld. Anja Hateros und kurzfristig Gregory Kunde bereits als Einspringer für Fabio Sartori gesetzt, mussten mit Ailyn Perez und Yonghoon Lee wiederum neu besetzt werden. Ebenso musste für Myung Whun Chung mit Edward Gardner ein Ersatzdirigent gefunden werden. Man konnte also auf diese Neubesetzungen gespannt sein.

Mächtig ja übermächtig ist die Gewalt und das Getöse des Sturms zu Beginn. Der Engländer Gardner lässt es unbekümmert richtig stürmen, dabei nimmt er wenig Rücksicht auf die Bühne. Der sonst immer bestechende Chor zeigt hier Zerfallserscheinungen im Geschwindigkeits- und Volumensrausch und kann sich an der Gestik und Wucht des Dirigenten nicht orientieren. Yonghoon Lee steigt mit Inbrunst an der Grenze des Belastbaren ein, was sich im Anschluss an den verkümmerten Piani rächt. Aiylin Perez behält einen kühlen Kopf und setzt sich im dritten Akt mit einer wahrlich betörend innigen Gebetsszene durch.

Die Inszenierung von Amelie Niermeyer aus 2018 bleibt ein Mysterium in der Verdoppelung von Desdemonas Zimmer und ihrer zur Schau gestellten Innenwelt. Aber die ansprechenden Bilder eignen sich für das Repertoire, auch wenn vieles nicht unbedingt dem Text entspricht und logisch wirkt.

Es ist die musikalische Interpretation, die an diesem Abend uninspiriert und blutleer wirkt.  Edward Gardner wird 2024 Musikdirektor der Oper Oslo und hat bereits an zahlreichen Opernhäusern als Gastdirigent gewirkt. Er setzt auf Dramatik und Spannung, die er mit überbordender Lautstärke zu definieren scheint. Zu wenig fragil und gefühlsbetont ist sein Dirigat an diesem Abend. Die feingliedrig, subtil lyrischen Momente der Partitur kommen nicht zum Erblühen. Zuwenig unterstützt er die Sänger und gibt auch dem Orchester kaum Einsätze, was zu Unsicherheiten und Unstimmigkeiten führt. Eifrig muntert er zu beherztem Crescendo und kräftigen Forte an. Dies fordert Yonghoog Lee zu beeindruckendem Einsatz. Er verfügt über eine robuste Stimme mit sicheren Höhen. Die Piani und fein ausgesungenen Melodien bleiben an diesem Abend im Innenraum des Halses stecken und lassen sich nicht formen. Immer wieder rettet er sich in das Forte, mit dem er punktet aber auch sich und das Publikum anstrengt. Seine sprachliche Intonation ist an diesem Abend der sängerischen Konzentration geopfert. Die lyrischen Momente und Duette schlummern. Schauspielerisch bietet er auch wenig.

Dies macht es Ailyn Perez schwer Gestalt und Ausdruck mit ihm als Liebespaar zu generieren. Dafür präsentiert sie den Glanz und die Qualität ihres reinen und höhensicheren Soprans in ihrer großen Szene im vierten Akt, den sie zum Höhepunkt des Abends werden lässt . Stimmig, anmutig unschuldig erzählt sie von der Weide, ehrfürchtig gläubig gelingt ihr Gebet.

Gerald Finley singt wie bereits in der Premiere einen herrlich fiesen Jago. Sein schauspielerischer Einsatz ist nochmal gestiegen und scheint erste Höhenprobleme zu kompensieren. Evan LeRoy Johnson ist wieder ein bewährter Cassio, der mit einer gut ausbalancierten und präsenten Rollenbesetzung überzeugt. Nadezhda Karyazina ist eine farblose Emilia, die auch von der Regie wenig bedacht wird.

Viel Beifall mit einigen Bravi im nahezu ausverkauften Haus

Dr. Helmut Pitsch

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