Orfeo reloaded mit Elektronik heftig umstritten in Bayreuth

Xl__b2a4527_bayreuth_baroque_orfeo_villazon___clemens_manser___ © Clemens Manser

Claudio Monteverdi L'Orfeo Bayreuth Baroque 13.September 2023

Orfeo reloaded mit Elektronik heftig umstritten in Bayreuth 

Der Vorhang ist längst gefallen, im Publikum kocht noch ein Streit zwischen Befürwortern und Gegnern der außergewöhnlichen Gestaltung von Claudio Monteverdis Orfeo, jenem Frühwerk der Operngeschichte. Meinungsfreiheit versus gutem Benehmen werden zum Streitthema aufgebrachter Zuschauergruppen. Oper lebt und konträre Meinungen halten sie lebendig. Das junge Festival Bayreuth Baroque unter der Intendanz von Max Emanuel Cencic hat die Produktion von Phomigx / Christos Tsenes in Zusammenarbeit mit dem Megaron, dem Konzerthaus der griechischen Hauptstadt Athen als zweite szenische Opernproduktion als Deutschlandpremiere in das Programm aufgenommen. Musikalisch ist es eine Transkription des Werkes, alte Musik mischt sich mit Live- Elektronik und führt zu einem neuartigen Hörerlebnis dieser Favola musica aus 1607. 

Die tragische Geschichte um die Liebe des sagenhaften mystischen Sängers Orfeo und der durch einen Schlangenbiss geröteten Geliebten Euridice ist hinlänglich bekannt. Durch seinen betörenden Gesang erweicht er die Götter und Wächter der Unterwelt, um seine Geliebte zurück zu gewinnen. Kaum gelingt das Wiedersehen verliert er diese durch den verbotenen Anblick derer. Viel Aufsehen erregt die bizarre Ausgestaltung des Finales, welches das Ende Orfeos dramatisiert. Seine Gesangskunst wird von Euridice angeklagt und sein geköpftes Haupt unter einem hysterischen Ausbruch in eine Pappkiste verpackt.  

Monteverdis Musik malt in kräftigen Farben Freud und Leid, pathetisch werden die Gefühlswelten ausgedehnt in der frühbarocken Harmonie geschildert. Klassisch in der Original Barockmusik verhaftet beginnt der Abend mit den irdischen Freuden der Hochzeitsfeier des Liebespaares. Hierzu zeigt der Regisseur Thanos Papakonstantinou auf leerer hell ausgeleuchteter Bühne die tanzende Landbevölkerung in Frack und strengen schwarzen langen Kleidern.  Euridice im weißen Hochzeitskleid und Orfeo in beigem langen Talar bereits als Büßer dargestellt feiern ausgelassen. Die tragische Nachricht vom plötzlichen Tod der Braut versetzt alle in Schrecken und beendet jäh die heiteren Töne. Elegische Leidgesänge bestimmen den Fortgang. Kaum nähert sich Orfeo mit seinem betörenden Leid- und Bittgesang dem Tor der Unterwelt mischen sich elektronische Klänge in die klassische Musik. Der Gesang wird technisch verstärkt und verzerrt. Dunkler Nachhall und sphärische Auskleidung leiten zum fremdartigen bedrohlichen Unbekannten über. Mystisch raumausfüllend verstärkt die Techno Untermalung gekonnt das dunkle Verborgene und Unbekannte zu definieren. Die Differenzierung der beiden Welten ist klar gezeichnet und erweitert das Hörerlebnis mit ungewohnten aber harmonisch klingenden Gegensätzen.

Markellos Chryssikoshat das intelligente musikalische Konzept entwickelt und leitet den Abend vom Graben aus. Er spielt selbst verschiedene Tasteninstrumente, um die Klangpallette auszukleiden. Das Orchester ist zweigeteilt, barocke Originalinstrumente und moderne elektronische sitzen sich gegenüber. Gekonnt gelingt es ihm die diversen Instrumente zusammenklingen zu lassen. Er zeigt dabei sein Gespür und Verständnis für die ausufernde Vielfalt und reizt diese aus. Dabei kann es auch mal laut werden und die Welt der monochromen Barockwelt vergessen lassen. Aber dies ist gewollt und ist auch das Außerordentliche dieses Gestaltungskonzeptes, welches seine Wirkung nicht verfehlt aber von hartgesottenen Barockfans nicht goutiert wird, wie am Ende deutlich wurde.

Ein erlesen ausgewähltes Starensemble wurde für die Umsetzung ausgewählt und es gibt dabei auch ein Wiedersehen mit Rolando Villazon, der ja seine Karriere als Startenor vorzeitig mit Stimmproblemen beenden musste. Sein schauspielerisches Talent wurde immer sehr gewürdigt und kommt auch an diesem Abend voll zum Einsatz. Seine Freude wieder auf der Bühne zu sein ist spürbar. Mit Verve kleidet er die Gefühlswelt Orfeos aus, er laßt das Publikum mitleiden und betören, wie er dies auch gegenüber der Götterwelt schafft. Stimmlich ist die Partitur zumeist in der Mittellage gehalten und so zeigt er keine Probleme in der Intonation, wenn auch die Anstrengung erkennbar ist.

Myrsini Margariti fügt sich als Euridice mit Geschick und einer kräftigen trockenen Stimme ein. Barocken Zauber der Gesangskunst vermitteln Theodora Baka als Musica und Yannis Filias als Pastore sowie Lenia Safiropoulou als Speranza. Marios Sarantidis reitet als Caronte im ausgedunkelten Bühnenhintergrund. Sein voluminöser Bass wird durch die elektronische Verstärkung noch durchdringender und dunkel. Ähnlich effektvoll unterstützt wird das musikalische Zusammenwirken der eleganten Stimmen von Maria Palaska als Proserpina und Timos Sirlantzis als Plutone. Savina Yannatou vermittelt einen authentischen Baccante.

„Einen dichten und fesselten Opernabend“ verspricht das Programmheft, der nicht in vollem Umfang eingetreten ist. Das Projekt bzw die Produktion beinhaltet aber viele spannende und würdigende Einfälle und baut der frühen Opernwelt eine Brücke in die Moderne. Das Werk erlebt eine neue Fülle und interessante Ausdruckswelt. Die konträren Reaktionen sind sicherlich verständlich und untermauern die Ernsthaftigkeit der Produktion.


Dr. Helmut Pitsch

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