Opera Incognita überzeugt - Eine Produktion geht ins Wasser ohne hineinzufallen

Xl_oi_dido_lucrecia_c_misha_jackl-7676 © Misha Jackl

Wieder einmal kehrt Opera Incognita an das Müller sche Volksbad mit einer neuen Produktion zurück. Der verträumte Jugendstilbau, ein architektonisches Juwel, entspricht dem Anspruch des künstlerischen Teams aussergewöhnliche Opern an aussergewöhnlichem Ambiente in aussergewöhnlichen Inszenierungen aufzuführen. Die gespielten Werke sollen eine szenische und musikalische Herausforderung an das etablierte, aber auch junge Publikum sein. Durch die enge langjährige Zusammenarbeit des Regisseur Andreas Wiedemann und des Dirigenten, Komponisten und Kirchenmusikers Ernst Bartmann entstehen immer wieder höchst kreative, eindrucksvolle Schöpfungen, die mit und von einem engagierten, talentiertem Team aus jungen Musikern und Sängern ausdrucksstark und überzeugend umgesetzt werden.
Dabei verstärken die Aufführungsorte die stimmungsvolle Wirkung. Das hat sich in den letzten Jahren herumgesprochen und die Veranstaltungen bereichern das Kulturleben und geniessen Kultstatus. Die Karten sind hochbegehrt und zumeist durch die Größe des Veranstaltungsortes stark beschränkt. So auch wieder für diese aktuelle Produktion.

Das Jugendstilbad wird zur antiken Therme und Eventlocation des hedonistischen alten Roms. Zwei britische Opern aus unterschiedlichen Epochen, aber mit historischem Bezug werden zu einem integrierten Kunstwerk. Dido und Aeneas von Henry Purcell beschreibt die Liebestragödie der griechischen Mythologie zwischen der unseligen Dido, der Königin von Karthago und Aeneas, dem gestrandeten trojanischen Helden, der einen Auftrag der Götter erfüllen muss und dafür seine Liebe zu Dido opfert, die sich im Schmerz in Tränen verzehrt. Benjamin Brittens "The rape of Lucretia" widmet sich der Geschichte der tugendhaften keuschen Lucretia, welche vom eifersüchtigen Tarquinius, dem Prinzen von Rom vergewaltigt wird und letztlich von der Schande gebrochen Selbstmord begeht. Zwei Frauenschicksale die Stoff für eine Oper und von der Regie kunstvoll ineinander gewoben wurden, dass es optisch harmonisch stimmig und musikalisch berührend wirkt. Am Beginn steht Benjamin Brittens The Rape of Lucretia und die beiden Erzähler führen das Publikum ein. Die Etrusker beherrschen Rom unter der Führung Tarquinius Superbus. Collatinus, einer seiner Generäle, und seine Geliebte Lucretia veranstalten ein Gelage für dessen Sohn Tarquinius Sextus, Prinz von Rom. Zu seinen Ehren wird ein Singspiel über Aeneas, dem Gründer Roms und seiner Liebe zu Dido aufgeführt. Hier folgt die Handlung nun der Oper Henry Purcells. Dido die Königin von Karthago bespricht mit ihren Freundinnen auf der kunstvollen Beckenbrüstung ihre Liebe zu Aeneas, der auf der Flucht an Land gespült wurde und obwohl er ihre Liebe erwidert von den Göttern zum Aufbruch gerufen wird. Wasser spielt in der Geschichte eine Rolle und das gibt es im vollen Becken des Volksbads genug. Hoch steigen die Wände zur kunstvollen Kuppel hinan, die kleinen Wellenbewegungen spielen mit ihrem Spiegelbild an den Wänden im Lichtschatten. Auf der Galerie, um das Becken und im Becken wird gespielt, geschwommen, gesprungen und vor allem gesungen.

Die jungen Sänger werden in dieser Produktion gefordert, aber das Aussergewöhnliche scheint sie zu beflügeln. Es ist auch die Nähe zum Publikum, welches dichtgedrängt auf zwei engen Stuhlreihen bis nah ans Wasser postiert ist. Für beide ein ungewohntes Gefühl mit dem besonderen Etwas, wie zumeist bei den Produktionen von Opera Incognita. Nachdem Dido die letzte Träne das Abschieds vergossen hat, kehren wir an den römischen Hof und zu Britten zurück. Die Musik der beiden britischen Musikgiganten verzahnt sich ohne grosse Brüche. Wie Rezitative wirkt der Sprechgesang der Erzähler und reiht sich in die barocke Tradition ein. Polyphonie und Dissonanzen verpackt er geschickt in schlichte melodiöse Ummantelungen. Keine Wucht liegt in der Musik sondern subtile themenartige Andeutungen bilden facettenreich die musikalische Schilderung des furchtbaren Verbrechens, das geistvoll heraufbeschworen wird. Wild und Bewegungsreich gestaltet sich der aussichtslose Kampf und die Vergewaltigung im Wasser. Und noch einmal kehrt Purcell zurück und Lucretia und Dido sind vereint im Selbstmord. Das junge Sängerensemble und der kleine aber stimmstarke Chor vereinnahmen in den nahezu drei Stunden das Publikum.

Frauke Mayer hat bereits in anderen Produktionen von Opera Incognita mitgewirkt. Hier schenkt sie den beiden Heldinnen Leben mit ihrem hellen, reinen Mezzo, der auch Kanten und Kraft zeigt, aber auch weiche sichere Koloraturen. Vanessa Fasoli und Franziska Zwink beeindrucken mit jungen, nuancenreichen technisch bestens ausgebildeten Stimmen in jeweils verschiedenen Rollen. Herfinnur Arnjabal gestaltet Aeneas und Junius mit warmen Bariton. Ernst Bartmann hat am Pult alles fest im Griff. Das kleine Orchester nähert sich der Barock- als auch der zeitgenössischen Musik selbstbewusst und den akustischen Verhältnissen geboten. Auf der Empore sitzend erfüllt der Klang das Gebäude ohne missgeleiteten Widerhall oder Überfluss. Das Tempo ist hierfür bewusst langsam gewählt. Der Spannung tut dies keinen Abbruch und das begeisterte Publikum überschwemmt die Künstler mit klatschendem Lob. Eine Bestätigung und Aufforderung das intelligente Konzept in aussergewöhnlichen Inszenierungen fortzusetzen.

Helmut Pitsch

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