
Jacques Offenbach Contes d‘Hoffmann Litauische Staatsoper Vilnius 25.4.2025
Offenbach reich bebildert in Vilnius erzählt
Jacques Offenbach verstarb 1880 mit dem nahezu vollendeten Manuskript seines größten Erfolges, der Oper Les Contes d’Hoffmann - Hoffmanns Erzählungen in der Hand. Die phantastische Oper basiert auf drei Erzählungen des gefeierten romantischen Dichter E. T. A. Hoffmann, die im Libretto von Jules Barbier drei unterschiedliche Lieben des Helden, des Dichters Hoffmann selbst, wiederspiegeln sollen. Das unvollendete Werk erhielt viele Versionen, erst 1907 wurde der Versuch eines „definitiven“ Originals in Paris veröffentlicht.
1925 erlebte die weltweit beliebte Oper seine Erstaufführung in Litauen. Im Januar 2024 feierte eine Neuinszenierung durch den italienischen Regisseur Frederico Grazzini an der litauischen Nationaloper in Vilnius Premiere. Sein Landsmann Andrea Belli gestaltet die Bühne als schmucklose große Halle, ein Theatervorhang an der hinteren Bühnenwand lässt es als leere Theaterbühne erscheinen. Eine Bank und ein schwarzes Brett für Ankündigungen an der rechten Seite und ein von der Decke herunterfahrendes Basketball Netz sind die wenigen Utensilien. Hoffmanns Studenten bringen ein paar Stühle für das Vorspiel in der Weinstube Lutter und Wegener mit, die drei amourösen Eskapaden Hoffmanns finden in drei Guckkästen statt, die durch den Vorhang hereingeschoben werden.
Olimpia ist eine sexbesessene große schlanke Blondine im knallgelben Minikostüm, das sie im koketten Strip ablegt. Im fleischfarbenen glänzenden Bodysuit ist ihre Nacktheit mit imposanten Brüsten versteckt. Antonias Krankheit wird bereits im Krankenhausumfeld behandelt. Die Begegnung mit Giulletta findet in einem zwielichtigen Sado maso Etablissment statt, Giuletta mit Peitsche und Latex Kostüm, ihre Freier hinter einer Glaswand, die zum Spiegel mutiert. Insgesamt ist die Personenregie von Grazzini gewagt ins ironisch sexistische triftend, seine vier Bösewichte sind sarkastisch überzeichnet, die Diener charmant humorvoll. Passend hierzu hat Valeria Donata Bettella bunte Kostüme geschaffen, mehrere Zeitepochen seit der Entstehung des Werkes abbildend.
In der Besetzung hat man sich in Vilnius für vier Sängerinnen entschieden, die die weiblichen Hauptrollen verkörpern. Olympia wird von Monika Pleskyte sehr anschaulich mit regen Körpereinsatz locker verlockend gespielt. Die dümmliche blonde Puppe gelingt ihr auch stimmlich mit strahlenden Höhen und etwas verlaufenen Koloraturen. Die psychisch leidende Antonia wirkt munter bei Viktorija Miskunaite mit kräftiger etwas schmetternder aber ebenso sicherer Stimme. Gut verpackt mit eigener Note Lina Dambrauskaite, die anrüchig mit den Männern spielende Giuletta, eine moderne Kurtisane im Sexshop. Ihr Sopran lässt viele Farben im Ausdruck zu. Zuletzt erscheint Stella in großer Abendrobe, Austeja Zinkeviciute macht sie zum gefeierten Star mit menschlichen Zügen.
Jean-Francois Borras ist ein vielbeschäftigter und international gefragter Tenor. Als Franzose liefert er die vokal aussagekräftigste und verständlichste Leistung als Titelheld. Sein Hoffmann ist ein verträumter bis naiver junger Mann, der seine Abenteuer im Trenchcoat wie im Vorbeigehen erlebt ohne wirklich in die Geschehnisse um seine Geliebten einzudringen. Oder ist der Ansatz des Regisseurs nur ein Traum, eine bildreiche Vorstellungswelt, wie auch schon öfters erlebt. Borras Tenor sitzt fest in der Mitte, gleitet eng in die Höhe, in der er sich zu feinen Bögen öffnet. In der Tiefe bleibt er präsent und dunkel. Jelena Kordic begleitet ihn ergeben, aber auch bestimmend als Muse Nicklausse. Ihr gelingen mühelos männlich lässige Züge und mit langer Mähne mutiert sie rasch zur emanzipierten Frau, die Hoffmann umgarnt. Ihr Mezzo hat Farben und Volumen, in der Breite mit Abstrichen.
Die Rollen des Bösewichts Lindorf, Coppelius, Doctor Miracle und Dapertutto gelingen Lindas Mikalausdas bestens im Spiel und Gesang. Dabei bleibt er meist streng, warnend mit erhobenen Zeigefinger und versteckt kaum seine Schadenfreude. Frantz, Andres, Cochenille und Pitichinaccio sind bei Koselinus Rafailas Karpus gut mit seinem natürlichen Sinn für Komik aufgehoben. Auch die vergnüglichen Ideen der Regie setzt er engagiert um. Stimmlich ist er ein solider Charaktertenor mit Flexibilität
Das muntere Geschehen hält nicht immer den Spannungsbogen, den auch Martynas Stakionis am Pult musikalisch nicht durchgängig halten kann. Das Orchester der litauischen Nationaloper überzeugt mit harmonisch ausgefüllten Klang, sicheren Solisten und weichen Streichern. Den Sängern gestaltet der Dirigent orchestralen Corpus als Unterlage für die romantischen Melodien.
Großer Beifall für alle Beteiligten.
Dr. Helmut Pitsch
30. April 2025 | Drucken
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