München - 170 Jahre Tanzkunst vielschichtig beleuchtet – expressiv zum Leben erweckt

Xl_bayerische_staatsoper_nationaltheater_c_felix_loechner © Friedrich Löchner

Ballettfestwoche München Frühjahrsmatinee der Heinz Bosl Stiftung

Bayerisches Nationaltheater 2.4.2023

170 Jahre Tanzkunst vielschichtig beleuchtet – expressiv zum Leben erweckt

Die Ballettfestwoche München ist seit Jahren fester Bestandteil der Tanzkultur und Publikumsmagnet der bayerischen Landeshauptstadt. Die Heinz Bosl Stiftung widmet sich seit den 70iger Jahren mit viel Erfolg und Einsatz der Förderung des Tanznachwuchses. Mit der Gründung des Bayerischen Junior Balletts konnte auch eine wichtige Lücke in der Tanzkarriere des Nachwuchses nach der Ausbildung an der Ballettakademie  an der Hochschule für Musik und Theater geschlossen werden. Alljährlich stellt die Stiftung in zwei Matineen die Entwicklung der jungen Tänzer und Tänzerinnen gemeinsam mit dem Staatsballett in der Bayerischen Staatsoper vor.

Das Zauberschloss von Nainavermittelt die Ballettszenen der Oper Ruslan und Ljudmilla von Michael Glinka, 1842 in St. Petersburg uraufgeführt. 1917 beauftragte das Mariinsky Theater ebendort  Michel Fokine mit einer choreographischen Neugestaltung, welche sich zu einem Standardstück der heranwachsenden Ballettelite entwickelte. In zahlreichen Bildern, Pas de Deux Pas de Quatre und Aufreihungen der gesamten Ballettcompagnie zeigen die Mitglieder der Ballettakademie die klassischen Tanzschritte, Sprünge und Figuren in feinster Ausfertigung und mit großer Fertigung. Ebenso gilt die fröhlich unbeschwerte Choreographie des Dänen Auguste Bournonville (1805-1879) zur Musik von Johan Peter Emilius Hartmann mit dem Titel Ein Volksmärchen zu einem beliebten Klassiker, der immer wieder in der Ausbildung einstudiert wird. Der einflussreiche künstlerische Leiter des königlich dänischen Balletts schöpft aus der neapolitanischen Folklore und kreiert ein munter stimmungsvolles mediterranes Bild mit lockeren Tanzfolgen, markanten Soli und Pas de Deux.

Modernes Tanztheater mit starkem Ausdruck, kantigen eindrucksvollen vom Rhythmus geprägten Tanzformationen und Bewegungen definieren das 1994 uraufgeführte Stück Concertante des Niederländers Hans van Manen zur Musik von Frank Martin. Er zählt zu den bedeutendsten Choreografen und gilt als Erneuer des modernen Ballettstil. Seine Schöpfungen werden weltweit immer wieder erarbeitet, seine gefühlvollen Verbindungen der Elemente Harmonie, Melodie und Rhythmik zu den körperlichen Bewegungs- und dramatischen Ausdrucksformen inspirieren bis heute. In enganliegenden changierenden Kostümen kommt die körperliche Erscheinung und Bewegung gezielt zum Ausdruck, schroff und schnell sind die Bewegungselemente, die Körper gehen aufeinander zu ohne sich zu vereinen. Die Musik ergibt aus rhythmischen Bausteinen eine Melodie die nach vorne drängt ohne zu hetzen.

Nach der Pause erlebt das tanzbegeisterte Publikum einen weiteren Entwicklungsschritt des modernen Tanzes. Neben Musik, mittlerweile immer mehr von der Technik geprägt werden auch gesprochene Worte zur Bewegungsinspiration bis hin zum eigenem Tanzelement. Mit The 6th Sensezeigt David Russo, Dozent an der Ballettakademie der Hochschule für Musik und Theater München,zu einer Musikkollage von Robin Perizonius und ihm selbst, zeitgenössischen Tanz, der Richtung Akrobatik, Technik und psychologischer Expressivität geht. Ohne die Propriozeption, dem 6. Sinn, ist keine körperliche Bewegung möglich, einmal mehr ein Grund und intelligenter Aufhänger ein Tanzstück dieser Tiefensensibilität zu widmen. Ein Sprecher formuliert wissenschaftliche Erläuterungen, die Tänzer und Tänzerinnen sammeln und formieren sich in moderner Trendkleidung. Aus dem Nichts tauchen Bewegungsbilder wie Blitzlichter auf.  Zu Technomusikeinlagen bilden sich schematisch Tanzgruppen mit Tanzschritten an Gymnastikübungen erinnernd. Neurowissenschaft und Körperkonzepte verbinden sich zu einem anschaulichen Lehrstück.

Im der abschließenden Choreopraphie von Jiri Kylian zu der Musik von Gustav Mahler Lieder eines fahrenden Gesellen kehrt die Ballettakademie zurück zu klassischen Tanzformen in die Modernität geführt. Vor einem romantischen Naturbild, ein Weg der aus einer Schlucht in die offenen Landschaft führt, tanzen fünf Paare ineinander fließend ihre Pas de Deux mit verschlungenen Phrasen, emotional geladen mit fordernden Hebefiguren und Sprüngen. Nostalgie ist bewußtes Element der Neoklassik und verbindet sich mit der Melancholie und Trauer der Musik Mahlers. Ruhig und stimmungsvoll klingt dieser gelungene künstlerische Querschnitt durch die internationale Ballettgeschichte aus.

Großer Jubel im ausverkauften Haus, jung und alt ist hin- und mitgerissen. Die Tanzbegeisterung ist ungebrochen.

Dr. Helmut Pitsch

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