Markige Charaktere in Andreas Kriegenburgs Wozzeck in München

Xl_8b30cedc-605f-4674-9a79-76ab82a08380 © Winfried Hösl

Alban Berg Wozzeck Nationaltheater München 26.11.23  

Markige Charaktere in Andreas Kriegenburgs Wozzeck in München

Die soziale und menschliche Beklemmung ist allgegenwärtig und das Schicksal des Titelhelden geht unter die Haut. Andreas Kriegenburg hat 2008 in seiner Neuinszenierung des sozialkritischen Werkes Wozzeck von Alban Berg starke aussagekräftige Bilder in Zusammenarbeit mit seinem Bühnenbildner Harald B Thor geschaffen. Ein Guckkasten, streng nach innen verjüngt, hängt schwebend von der Decke und wird für verschiedene Szenen an die Bühnenrampe bewegt. Es ist die einfache heruntergekommene Bleibe von Wozzeck und Marie. Ihr Sohn schläft auf Stühlen, die einzige Einrichtung im trostlosen matt gelben Raum. Dazu spielen einzelne Szene auf der leeren Bühne davor, der Boden mit Wasser aufgefüllt, dessen Oberfläche sich immer wieder durch die Ausleuchtung im Raum, an der Hausdecke spiegeln.

Die Zeichnung der einzelnen Charaktere ist durch die Kostüme von Andrea Schraad und die Maske überzeichnet, um die Tristesse zu nähren. So steckt der Hauptmann abstossend fett mit hängenden Brüsten in einem Bodysuit, der Arzt in einem sadomaso Lederkorsett. Die Handwerksburschen sowie der Chor in hellbraunen Anzügen mit unwirklichen hochgezogenen Schultern und dicken Nacken. Die Detailarbeit der Regie gipfelt in einer ausgeklügelten Personenführung. 

Am Pult zaubert Vladimir Jurowski einen ebenso spannungsgeladenen gefühlsgezeichneten musikalischen Abend. Er ist bekannt für klare Strukturen, strenge Rhythmen und expressive Interpretationen. Straff im Tempo, abwechslungsreich in Volumen und Ausgestaltung achtet er auf die Sänger und führt diesen einen bildgetreuen Rahmen. Das Orchester folgt aufmerksam ihrem Generalmusikdirektor und bringen eine Vielfalt an Stimmungsbildern. Die Polyphonie am Beginn der Zwölftonmusik wird klug im Dirigat herausgearbeitet und zum Klingen gebracht. Das Orchester spricht ebenso eine klare Sprache wie die Regie und steigert die Aussage des Werkes.

Peter Mattei lässt sich als Titelheld wegen einer Erkältung kurzfristig stimmlich durch den gefeierten Charakterdarsteller Georg Nigl vertreten, steht aber stumm mit Mundmaske auf der Bühne und spielt. Nigl kreiert in seinem Gesang vom Bühnenrand in ausgefeilter Technik eine innige markige Auskleidung der Rolle. Marlis Peterson ist eine kokette, feminine Marie, die ungestillten Erlebnisdrang spürt aber Reue zeigt. John Daszak ist ein sperriger Tambourmajor, dessen Begehren an Marie nicht zu lüstern wirken. Wolfgang Ablinger Sperrhacke überzeugt als fieser Hauptmann, der lieblos mit seinen Untergebenen umgeht. An zwei Stöcken mit überbordender Fettleibigkeit nimmt er großen Raum ein. Auch er ist gern in ausgefallenen Charakteren auf der Bühne und weiß die lebendig zu gestalten.

Jens Larsen verleiht dem Doktor einen monsterhaften Zug. Eingehüllt in langer Unterhose mit Lederstreifen, kleinem Haarbüschel am kahlen Kopf mimt er den gefühllosen Sadisten. Tansel Akzeybek ist frisch aufgenommen im Ensemble der bayerischen Staatsoper und erfreut mit einer gekonnt in die Satire schweifenden Umsetzung als Andres. Felix Beilheim beschließt als Mariens Junge den glanzvollen Opernabend mit heller feiner Knabenstimme.

Mit großer Begeisterung wird das herausragende Werk der Moderne vom Publikum angenommen, die Mitwirkenden werden für ihre sehr guten Leistungen gefeiert.

Dr. Helmut Pitsch

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