Manfred Trojahn Orest - Griffige zeitgenössische Musikdramatik auf der Bühne der Wiener Staatsoper

Xl_orest_124639_nigl_johansson__002_ © Wiener Staatsoper

Zusammengekauert wirr im Geiste liegt Orest auf dem Boden. Die Bühne wirkt wie das bedrückende  Innere eines Schneckenhauses, ein geschwungener Gang verjüngt sich nach hinten ansteigend. Grau und schmucklos sind die Wände wie in einem Gefängnis, in dem sich der Titelheld in seinen Gedanken nach dem Mord an der Mutter befindet.  Marco Arturo Marelli führt Regie in dieser Neuinszenierung des 2011 uraufgeführten Werkes von Manfred Trojahn und ist auch für Bühne und Licht verantwortlich. Das Musiktheater in sechs Szenen folgt dem Geschehen nach dem Ende der Elektra von Richard Strauss, Der Text stammt vom Komponisten selbst und fußt auf dem gleichnamigen griechischen Epos von Euripides als auch den Dionysos Dithyramben von Friedrich Nietzsche. Manfred Trojahn schuf eine hochdramatische Version der griechischen Mythologie und verpackt die Ereignisse rund um das Epos des trojanischen Krieges in eine kompakte knapp eine Stunde dauernde Oper. In der Geschichte findet er genug Stoff über Ehre, Rache, Verzweiflung, familiäre Zwiste und inhaltsreiche Charaktere.

Ein lauter Schreckensschrei eröffnet die Musik, geflüsterte gehauchte mitunter geschriene Orest Rufe folgen. Den Helden verfolgen seine Gedanken an die Ermordung seiner Mutter Klytämnestra. Diese erscheint auch und schwebt durch den Raum, bis es Orest gelingt sie durch eine Tür gedrängt wieder auszuschließen. Die Streicher stiegen flirrend ein und heizen die Wahnsinnsszene weiter auf. In einer Vision erscheint ihm der streitbare Gott Apollo, Auftraggeber des Mordes an Klytämnestra und kündigt die Rückkehr seines Onkels Menelaos mit Helena, der Schwester seiner Mutter Klytämnestra an. Orests Gedanken schweifen zu Helena und ihre auslösende Rolle für den furchtbaren mörderischen trojanischen Krieg. Apollo verwandelt sich zu Dionysos und verschwindet auf einer goldenen Schaukel nach oben gezogen in göttlichem Licht.

Rasch und dicht gedrängt folgen die Ereignisse aufeinander. Dem Zuschauer wird höchste Konzentration abgefordert. Dazu spielt Trojahn mit dem gesamten Werkzeugkasten der Kompositionslehre. Hochromantische Orchesterstellen in Harmonien gebettet lösen sich mit sphärischen Akkorden ab, tonale und atonale Verschachtelungen füllen die dramatische Verdichtung.

Im Pelz und langem geschlitzten Kleid kommt Helena mit kleinem Gepäck auf die Bühne. Immer noch blond ist ihre gepriesene Schönheit schon verblichen. Sie trifft auf Elektra und die beiden geraten in Streit über Helenas Opfer am Grab der Schwester. Helenas Tochter, die schöne und reine Hermione wird als diplomatische Lösung für die Erfüllung Helenas Wunsch bestimmt. Orest wird von einem Gericht zu Tode verurteilt und Menelaos drängt ihn zur Flucht. Elektra heizt die Szene an und fordert noch mehr Blut mit ihrer Macht über den willenlosen Orest. Dieser ermordet Helena aber zur Ermordung Hermiones kommt es nicht mehr. Orest erwacht aus seinem Wahn, Apoll erscheint und spricht ihn von jeder Schuld frei. Orest sagt sich von Apoll los und folgt Hermione ans Licht, Sinnbild für seine Freiheit.

Die musikalische Umsetzung der aktuellen Wiederaufnahme obliegt Michael Boder, der auch die Neuinszenierung im Frühjahr 2019 an der Wiener Staatsoper dirigierte. Stimmgewaltig und mächtig läßt er das Orchester aufspielen. Die monumantale Orchestrierung begleitet nur selten den Gesang. Orchester und Sänger stehen sich gleichberechtigt gegenüber. Die meist als Sprechgesang gestaltete Stimmführung der Sänger lässt er im Wechselspiel mit den vielschichtigen klanglichen Auskleidungen der Orchestereinsatze sehr markant und abgesetzt wirken. Georg Nigl hat sich in seiner Gesangskarriere auf ausgeprägte schwierige Charaktere zeitgenössischer Opern spezialisert. Auch seinen Orest stellt er mit viel Seele und Ausdruck dar. Dazu verleiht er dem wirren vom Schicksal Getriebenen einen lyrischen Stimmklang. Den Wahnsinn in seiner Reue verpackt er in wohldosierte Ausbrücke und verkrampft sich zu meist  innerlich. Es ist beeindruckend wie er zwischen den Schwankungen wechselt,  seinen Texten entsprechend nuanciert seine Gefühlsregungen verleiht. Daniel Johansson gestaltet einen mächtigen Apollo und lässt stimmlich seinen Heldentenor erklingen. Kräftig stemmt sich Ruxandra Donose als Elektra dagegen, bleibt im Spiel aber hölzern. Laura Aikin lehnt ihre Helena mit einem Schuss verblichener Marilyn Monroe an, stimmlich einwandfrei. Statisch ist die Rolle der Hermione von der Regie gestaltet, die Audrey Luna versucht gewichtiger auszufüllen. Im blauen Kleid strahlt sich als unbefleckte Unschuld und Heldin, die den erwachten Helden den Weg in die Freiheit und Erlösung zeigt.

Auffallend aufmerksam folgt das gut besuchte Haus diesem bildreichen Abend und spendet am Ende den zahlreichen Mitwirkenden viel Beifall.

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