Laster Lust und Liebe- viele Bilder für Manon in Bordeaux

Xl_ccb2680f-f212-4711-bbab-c0198ad8430b © Eric Bouloumi

Bordeaux sucht in den letzten Jahren eine Transformation zur Kultur- und Weinmetropole, um so seinen Tourismus weiter anzukurbeln. Im 2016 fertiggestellten utopisch anmutenden Musse du Vin wird die Geschichte der Stadt und des Weines anschaulich und mit modernster Technik präsentiert. Eine Weinprobe inklusive. Am Ufer der Gironde entlang vorbei an umgebauten Lagerhallen gelangt der Besucher zur Altstadt, die vom Grand Theatre, dem prachtvollen Opernhaus der Stadt, dominiert wird. Mit seiner Eleganz und Grosszügigkeit war es auch ein Modell für das noch prächtigere Paris Opernhaus. Der künstlerische Leiter des Opernhauses Marc Minkowski ist seit Jahren für seine Interpretation von Barockopern, auch auf Originalinstrumenten bekannt. Hier in Bordeaux umfasst sein Schaffen ein breites Spektrum.

Jules Massenets Oper gilt als Meisterwerk der französischen Oper des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Die Tragedie lyrique Manon fusst auf der Geschichte von Abbe Prevost über den Chevalier des Grieux und dem unsteten, lustvollen Mädchen Manon Lescaut, eine 16 jährige Lolita, auf dem Weg ins Kloster, wo sie allerdings nie ankommt. Die Rolle bzw die Prägung der Titelheldin ist der wesentliche Gestaltungsindikator für die Regie. In Bordeaux stellt der Franzose Olivier Py ein klares Bild der jungen Manon voller Gier und Begierde dar. Flink und locker lässt sie sich auf das Abenteuer mit dem jungen des Grieux ein, um ihrem Schicksal eine Wende zu geben. Dabei steckt sie hier bereits mit ihrem munteren ebenso verkommenen Cousin unter einer Decke, der in Paris ein zwiespältiges Etablissement führt. Macht und Luxus treiben sie, auch nachdem sie des Grieux vom Eintritt ins Klosterleben abbringt. Reif stellt sie sich ihrem Schicksal, ohne Reue oder Angst. Stringent setzt Olivier Py diese Deutung um und setzt dabei auf eine bildreiche Inszenierung mit viel Aktion. Pierre Andre Waltz liefert ihm dazu eine eindrucksvolle leuchtende Bildsprache mit seinem beweglichen und rasch veränderbaren Bühnenbild, sowie effektvollen Kostümen. Gleich zu Beginn befinden wir uns in einem modernen Vergnügungsviertel mit entsprechenden Lichtreklamen. Ausschweifend ist das Leben in den Clubs, das in die Strasse getragen wird. Das Spiel mit den Geschlechtern inklusive. Schnell wechselt das Ambiente, indem die einzelnen Bilder meist von der Seite unterschiedlich auf die Bühne geschoben werden. Ein grosser Gittervorhang schafft für einzelne Bilder die nötige Intimität. Cabareteinlagen erinnern an die grossen Pariser Revuen. Dabei darf die nackte Haut nicht fehlen. Olivier Py bewegt sich an der Grenze zur Geschmacklosigkeit, aber er beherrscht dieses Spiel mit der nötigen französischen Ästethik. Es wird nicht langweilig im prachtvollen Opernhaus von Bordeaux, wenn diese Geschichte des jungen Liebespaares ausschweifend erzählt wird. Dazu tragen auch die vielen kleinen Details auf der Bühne bei. Die Sänger werden gefordert und kräftig zum Mitspielen angehalten. Die Amerikanerin Nadine Sierra hat die Rolle der Manon übernommen und möchte gerne sexy und verführerisch wirken. Aber irgendwo bleibt sie gefühllos und leer übrig. Stimmlich fehlt ihr das Spiel mit der Färbung und den Nuancen. Es bleibt eintönig gefühllos. Dazu gesellen sich Defizite in der klaren Intonation in der Höhe. So ist es Benjamin Bernheim als des Grieux überlassen, die Gefühle der Zuhörer und Zuschauer zu gewinnen. Stimmlich zeigt er sich in Höchstform und zieht geradezu unbegrenzt seine Melodien in allen Lautstärken, Lagen und Emotionen. Sein Tenor zeigt Kraftreserven, Leichtigkeit und ein samtenes Timbre, dass er immer wieder in neue Schattierungen bringt. So wird seine Darstellung des jungen naiven sowie geläuterten des Grieux überzeugend echt und mitleidsvoll. Alexander Duhamel bleibt ebenso einseitig als Lescaut und setzt wenig Akzente, auch wenn seine Stimme sicher ist. Mehr Pfeffer zeigt Daniel Bigourdan in der Rolle des Guillot. Erfrischend und gesanglich überzeugend die lockeren Damen Olivia Doray, Adele Charvet und Marion Lebegue als Pousette, Javotte und Rosette. Marc Minkowski hat viel Reputation mit seinem Barock Ensemble auf Original Instrumenten erarbeitet. Umso überraschender sein Dirigat dieses hochromantischen Werkes. Viel Tempo und Kraft setzt er an. Keine emotionalen Ausschweifungen. Er urteilt, er verurteilt somit musikalisch die Titelheldin. Es liegt kein Mitgefühl drinnen. Liebe ist spürbar aber sie ruht im Moment und umgarnt den Chevalier des Grieux dessen Ehrenhaftigkeit und Ehrlichkeit der erlebte Gegenpol zur oberflächlichen lasterhaften Manon wird. Er setzt Akzente, er setzt eine musikalische Bildsprache, die überzeugend klar und einfach ist. Unaufdringlich, frisch und klar fliesst seine Interpretation, greift die Bildsprache von Oliver Py auf und ist immer präsent. Eine gelungene einheitliche Sprache zwischen den beiden ist spürbar. Marc Minkowski entschärft obszöne Szene mit seinem entwaffend ehrlichen Dirigat wie in der barocken Opernszene, die der Regisseur kunstvoll zum lasterhaften Ballet wachsen lässt. Das Publikum folgt gespannt der Erzählung und bedankt sich mit grosszügigem und herzlichen Beifall, der vor allem Benjamin Bernheim und Marc Minkowski gilt. Ernster und pietätsvoller gestaltet sich der Konzertabend zu Joseph Haydns Oratorium "Die sieben letzten Worte des Erlösers am Kreuze". Als Concert Medidation mit Video Projektion angekündigt ist dies ein Versuch für ein neues Konzertformat, um auch weitere Besuchergruppen anzuziehen. Ursprünglich als Quartett komponiert, schuf Haydn selbst weitere Fassung bis hin zu einer Chor Orchesterfassung. passend zur Passion übernimmt nun das Orchestre National Bordeaux Aquitaine unter der Leitung von Pierre Dumoussand eine Orchesterfassung mit Erzähler, hier Marina Hands als Erzählerin. Vor jedem Satz bzw jedem Wort liest sie aus einem Buch eine dem Sinn entsprechende Textpassage verschiedener französischer Literaten vor. Sehr philosophisch, zum Teil mahnend muten diese Texte mit ihrer dunklen mystisch gefärbten Stimme. Allerdings geht viel Effekt durch die Eintönigkeit des Vortrages und das vom Blatt lesen verloren. Da hilft leider auch nicht die ausgezeichnete, bestens vorbereitete musikalische Interpretation durch das Orchester. Dieser Haydn ist gewaltig, mächtig, gütig und sensibel. Ohne Pathos sondern als Mission feiert Dumoussad mit den Musikern jedes einzelne Wort, jede einzelne Note trägt hierzu bei. Hinter dem Orchester ist ein Triptychon in Form eines mittelalterlichen Altares aufgebaut. Die drei Flächen dienen der Projektion der Videoinstallation. Die langatmigen Bilder zeigen Gesichter, eist mit Kopfhörern und Szenen aus der Altstadt Jerusalems. Es ist Winter, es regnet und alles ist in grau gehalten. Der Bezug zu den Worten ist nicht erkennbar, lediglich zum Schauplatz und den Nachkommen der Bevölkerung, welche dem Schauspiel der Kreuzigung beigewohnt haben. Die langatmigen Bilder tun nicht weh, stören nicht übermässig, tragen aber auch zu einer ,meditativen Wirkung wenig bei. Die Kraft, die Aussage dieses Werkes dringt durch die Unmittelbarkeit, Gefühlsebene der Musik in den Zuhörer ein. Den Stimmungen, Melodien und Harmonien kann sich keiner entziehen. Ergriffen und entmachtet ruht der grosse Konzertsaal des neuen Auditoriums in meditativer Ruhe.

Draussen vor dem Konzertsaal zeigt sich das bewegte, dynamische Leben der sympathischen Grossstadt, welche vom ehemaligen bedeutenden Handelshafen einen Teil seines Weges zur Kulturstadt zurückgelegt hat.

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