Gelebt, geliebt, gelitten – packendes Opernerlebnis Werther in Innsbruck

Xl_werther-2161 © Birgit Gufler

Jules Massenet Werther - Tiroler Landestheater am 9.1.2022

 

Gelebt, geliebt, gelitten – packendes Opernerlebnis Werther in Innsbruck

Cinematographisch  setzt der Regisseur Thaddeus Strassberger seine Neuinszenierung von Jules Massenets Oper Werther am Tiroler Landestheater in Innsbruck um. Zur Ouvertüre streift Charlotte durch einen einfachen Vorstadtbungalow und sucht ihre versteckten Briefe des vor zwei Jahren umgekommenen Titelhelden. Die Tragik der verschmähten Liebe sitzt tief in ihr. Die Wunde dessen Selbstmords schmerzt. Dann setzt die Rückblende und ihre Geschichte um die erzwungene Heirat mit Albert und die verdrängte Liebe zu dem Außenseiter Werther ein. Thaddeus Strassberger entwarf auch die Bühne. Eine typisch amerikanische Vorstadt, ein einfacher holzverkleideter Bungalow mit Vorgarten in dem Kinder spielen, die Familie mit Freunden grillt und auch ab und an ein Bierchen trinkt. Auch der Blick ins Innere bis ins Schlafzimmer wird geboten. Dies alles im Stil der sechziger Jahre. Michael D. Zimmermann kleidet die Protagonisten realistisch in Karohemden und Jeans, Lederjacken und bunten Kleidern. Klassische Filmszenen werden immer wieder auf die Hauswand projiziert. Auxch die üppige Weihnachtsbeleuchtung darf nicht fehlen.

Doch das Idyll trügt und wir erleben die puritanische spiessige Gesellschaft der Vorstadt in gleißendem Tageslicht und die Ausgrenzung des jungen Rebellen Werther. Selten erlebt der Zuschauer auf der Opernbühne eine so ausgefeilte und geschickt dosierte Personenregie. Der Abend wird packend und plastisch offen gestaltet. Werther findet sein Ende neben dem Unfallwrack seines Pick up, mit dem er zuvor gegen eine Straßenbeleuchtung gedonnert ist. Wie aus dem jenseits verfolgt er Charlotte, die seinen toten Körper auf der Straße umarmt und nun endlich seine Liebe offenbart. 

Die epische gefühlvolle Musik des französischen Komponisten untermauert das intensive optische Erlebnis und dank der ausgezeichneten sängerischen Leistungen bleibt diese in der Wahrnehmung ebenbürtig. Lukas Beikircher spielt mit dem Orchester des Tiroler Landestheater ruhig und ausgeglichen, forciert kaum in der Lautstärke sondern arbeitet die durchschlagenden Melodien und harmonischen Details heraus. Den Sängern bietet er gestalterischen Freiraum und klangliche Stütze.

Jon Jürgens verinnerlicht die charakterliche Ausprägung Werthers dieser Neuinszenierung und sein Tenor ist in bester Form. Die entflammende stürmische Begeisterung für Charlotte, die jugendliche Coolness mit seinem aufgewühlten Inneren, die aufkeimende Verzweiflung bis zum Selbstmord arbeitet er in feinen farbigen Nuancen stimmlich heraus. Mit weichem Timbre versprüht er in der Mittellage romantische Legati , mühelos erreicht er auch die Spitzentöne der Partie. Camilla Lehmeier mimt die besonnene pflichtbewußte Charlotte, die am Ende doch ihren Gefühlen freien Lauf lassen muss. Reizvoll klingt ihr nicht übergroßer aber flexibler Sopran, der geschmeidig Melodiebögen und Tonsprünge formt. Annina Wachter bleibt als Sophie im Hintergrund. Alec Avedissian läßt sich zu Beginn für stimmliche Schwächen ansagen, tritt aber als Albert sicher und präsent auf, auch in der sängerischen Leistung. Joachim Seipp als Baelli  wirkt stimmlich herausgefordert und unrund, bevor er den zweiten Teil des Abends stumm im Rollstuhl verbringt.

Der Kinderchor des Landestheaters frischt mit einer bestens einstudierten Darbietung den wirkungsvoll beklemmenden Abend auf.

Große Begeisterung und viel Applaus vom Publikum.

Dr. Helmut Pitsch

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