Falstaff in Luzern ein Ritter von trauriger Gestalt mit Pep wider die bürgerliche Ordnung

Xl_img_1159 © Ingo Höhn

Schweizer Bürger Idyll im Guckkasten auf der Bühne des Opernhauses Luzern. Das Orchester sitzt zum Grossteil unter der Bühne und der Zuschauer im kleinen Theater ist dem Geschehen ganz nah. 50iger Möbel zieren das Bühnenbild von Natascha von Steiger, das den Blick in das Wohnzimmer einer kleinen Wohnung freigibt. Im Hintergrund erheischt man noch einen Blick in die Küche, daneben führt eine Tür ins Bad. Strassenlärm und Vogelgezwitscher wird zu Beginn in die Vorstadtwelt eingespielt. Da erscheint der Ritter Falstaff in Ganzkörperunterwäsche, die Rüstung draufgeschnallt mit einem Kopfpolster unter dem Arm. Er wirkt wie ein Fremdkörper, wie eine gespentische Wiedergeburt in der Neuzeit in dieser Neuinszenierung des Hausherrn Benedikt von Peter. Für seine ausgefallenen Interpretationen ist er in den letzten Jahren zu einem viel beachteten Regisseur der neuen Garde geworden. Mit Bedacht zeichnet er Personen und deckt subtile Schwächen der Gesellschaft auf. Auch hier setzt er uns wieder seine kritische Brille auf und lässt uns klar erkennen wie, oftmals brutal, die bürgerliche Gesellschaft mit Aussenseitern umgeht. Ein solcher Aussenseiter ist sicherlich Sir John Falstaff, Benedikt von Peter geht weiter und würdigt ihn als Prinzip "Widerständig, widerlich, ohne Scham". Er verkörpert Lust und Unmässigkeit, das sündige Leben und ist so das Gegenteil der auf Ordnung bedachten bürgerlichen Gesellschaft, insbesondere im Bezug zur Schweizer biederen Gesellschaft. Sein Falstaff kriecht in die bürgerliche Geborgenheit, benutzt das Sofa für ein Nickerchen, vermüllt die ordentlich aufgestellte Wohnung und schmarotzt sich durch. So auch in seinem Begehren an vermögenden Frauen. Wie schon in seiner gefeierten Inszenierung von La Traviata ist dieser Falstaff auch der einzige Charakter auf der Bühne, der sich wiederum durch das gesamte Theater bewegt und so verdeutlicht, dass er überall erscheinen kann, um unsere Ordnung auf den Kopf zu stellen. Die Weiber und andere Bürger von Windsor agieren unkenntlich in schwarz mit schwarzer Kugelmaske auf dem Kopf von den Rängen, werden zur breiten Masse, die sich am Schicksal des gemeinsamen Opfers delektiert. Claudio Otelli verkörpert den schrulligen Gesellen meisterhaft und stellt sich gegen die Anfeindungen. Gleichsam schlurft er durch sein schräges pennerhaftes Dasein. Stimmlich agiert er brummig kräftig und lässt feine Höhen vermissen, aber es passt in diese Zeichnung des Helden. Jason Cox setzt einen feinen eleganten Herrn Ford dem entgegen und singt akzentuiert wohl intoniert. Mit Diana Schnürpel als Mrs Alice Ford und Rebecca Krynski Cox als Mrs Meg Page hecken zwei wohl ausgewählte Stimmen ihren Plan aus und heizen das muntere Treiben an. Magdalena Risberg als Nannetta befindet sich im wohlklingenden Liebestaumel mit Diego Silva als Fenton, zwei frische sichere Stimmen. Bestens vorbereitet präsentiert sich der Chor und Extrachor des Luzerner Theaters. Alle führt routiniert und bestimmt Clemens Heil am Pult, der Musikdirektor des Hauses. Die Partitur der letzten Oper Verdis ist spritzig schnell, Parlandi und ariöser Gesang wechseln sich fortwährend ab, Tempiwechsel inklusive. Clemens Heil hält durchweg die Spannung, virtuos und romantisch, im Volumen wohldosiert und das Orchester aufmerksam und spielfreudig. Verdis Abschied und krönender Schlussgesang "Alles in der Welt ist Spass" übernimmt am Ende das Stimmungsbild und führt das Publikum in die heile Welt der bürgerlichen Ordnung zurück und es wird begeistert applaudiert.

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