Eröffnung der 58. Kunstbiennale in Venedig May you live in intersting times

Xl_img_1428 © Helmut Pitsch
May you live in interesting times - das Thema der diesjährigen Kunstbiennale in Venedig ist vielversprechend und erweckt sofort Phantasien und Fragestellungen. Es ist eine Einladung immer wieder irdisches, nicht nur menschliches Geschehen, in seiner Komplexität und Sensitivität zu überdenken. Dies erscheint besonders in Zeiten der Vereinfachung, des Konformismus notwendig. So will Ralph Rugoff, der Kurator der 58. internationalen Kultur Biennale mit dieser These Künstler ansprechen, welche bereit sind, existierende Gedankenmodelle herauszufordern und das Verständnis von Gegenständen, Bildern, Gesten und Situationen neu zu betrachten. Sie provozieren, sogenannte Fakten neu zu überdenken, indem sie eine neue Betrachtungsweise, eine neue Vernetzung oder neuen Kontext vorschlagen. Die 1894 ins Leben gerufenen Kunstausstellung Biennale hat sich in den 125 Jahren ihres Bestehen zu einer einzigartigen globalen Grossveranstaltung entwickelt, welche alle 2 Jahre die Lagunenstadt über einen Zeitraum von 6 Monaten ins Zentrum der Kunstwelt rückt. Um die 100 Länder beteiligen sich und statten einen "Pavillon" mit Werken ihrer nationalen Künstler aus. So ist eine vielschichtige und unterschiedliche Betrachtungsweise gesichert und die Auseinandersetzung zum Leitsatz in "sportlichem" Wettbewerb richtig in Bewegung gebracht. Dabei rückt der Kunstbegriff in der gebotenen Masse in den Hintergrund oder er bekommt eine neue Kapazität um komplexe Diskussionen zuzulassen. Die Ausstellung in den Pavillons der Biennale in den Giardini und dem Arsenal zeigt Werke von ausgewählten Künstlern in zwei unterschiedlichen Gestaltungen des Themas. Der Besuch beider erfüllt und erschöpft den Betrachter mit meist grossflächigen Bildern, Skulpturen, Installationen, Videos, Performances und Werkzusammenstellungen, deren Interpretation und Zugang zumeist erkundet und erarbeitet werden muss. Die intensive mannigfaltige profunde Ausarbeitung durch die Künstler beeindruckt, überzeugt und regt zum Nachdenken an. Die Mission der Biennale, wie sie Paolo Baratta als Präsident definiert, ist erfüllt. "Den Künstlern eine Plattform zu bieten, so frei wie möglich zum Dialog, zum Nachdenken anzuregen, und dem Besucher eine intensive Auseinandersetzung mit der Kunst zu liefern". Bestechend ist, dass bereits 60% der Besucher unter 26 Jahre alt sind. Die Auseinandersetzung mit der geschichtlichen Vergangenheit aber auch der künstlerischen, die Definition politischer Korrektheit und die Anprangerung der Rassendiskriminierung, insbesondere auch der schwarzen Frauen nehmen bei einem Rundgang als wiederkehrende Themen viel Raum ein. Dies ist auch der Teilnahme zahlreicher schwarzer weiblicher Künstler geschuldet. Ausserordentlich sind die Werke der japanischen Künstlerin Mari Katayama, die ihren eigenen durch krankheitsbedingte Verstümmelungen entstellten Körper in den Mittelpunkt rückt. Die amerikanische Modeschöpferin und Photografin Martina Guiterrez. stellt verschiedene Arbeiten zur Welt der indigenen Frauen in farblich komponierten Portraits aus. Yan Xiuzhen aus China formuliert Zeit- und Gesellschaftskritik in grossen mit gebrauchten Textilien bekleideten Installationen von Gebrauchsgegenständen wie Bücherregalen oder einen überdimensionierten Flugzeugsitz. Die deutsche Hito Steyerl verpackt ihre ökologische Aussage in eine bunte Farbenwelt aus verschiedenen Videoinstallation mit sphärischer Klangwelt verbunden. Ton und Klang als Ausdrucksmittel nehmen gestalterisch mehr und mehr Raum als Gegenstand von Installationen ein und sind verstärkende Ausdrucksmittel. Die Länderpavillons von Chile und Peru setzen sich mit der kolonialen Vergangenheit auseinander, Malta erarbeitet Migration über das Aussterben von Tieren in der Prähistorie und den Irrfahrtenndes Odysseus in der Antike bis zum aktuellen Flüchtlingsthema. Migration und Ausgrenzung verarbeitet Natascha Süder Happelmann, eigentlich Natascha Sadr Haghighian und aus Ungarn stammend, im deutschen Pavillon unter dem Titel Ankersentrum in Anspielung auf die bayerischen Ankerzentren. Eine grosse nackte Mauer trennt von einem symbolischen Wald aus Stahlstangen mit Naturgeräuschen. Renate Bertlmann setzt sich im Österreichischen Pavillon mit der Sexualität und dem Missbrauch kritisch auseinander. Ihr Titel Amo ergo sum sollte nicht wörtlich genommen werden. Ein grosses Feld aus gläsernen roten Rosenblüten auf Seziermessern aufgespiesst verpackt die Aussage in ein verstörend ästhetisches Bild. Ausserhalb der Giardini und dem Arsenale laden weitere Länder und Galerien zu interessanten Begegnungen ein. Im Pallazzo Bembo wird in den letzten Jahren internationale Kunst auf höchstem Niveau präsentiert. Manfred Bockelmann vereinnahmt hier mit einer ausdrucksstarken Installation aus Video, Ton und 15 gezeichneten Mänteln, die Väter der Atombombe symbolisierend. Im Pallazzo Contarini Polignac werden Werke des verstorbenen deutschen Künstlers Günther Förg ausgestellt. Der Pallazzo Querini Stampaglia präsentiert eine gross angelegte Ausstellung von Werken Jörg Immendorffs. Georg Baselitz kuratiert eine Ausstellung seines langjährigen Freundes Emilio Vedova zu seinem 100 jährigen Geburtstag. Es gibt Vieles zu erkunden, zu erleben, zu ergehen und einfach nur zu fühlen auf dieser Biennale. Die Stadt Venedig bietet dazu den einmaligen kunsthistorischen und architektonisch einzigartigen Rahmen. Dr. Helmut Pitsch | Drucken

Kommentare

Loading