
Sofia: „Tannhäuser“ – Premiere am 26. Juni 2025
Emotional mitreißend
Nach einer selbst in Europa und zumal auf dem Balkan einzigartigen Produktionsserie von acht Werken des Bayreuther Richard Wagner-Kanons seit 2010, darunter gleich zwei kompletten „Ring“-Inszenierungen (2013 und 2023), hat sich der Generaldirektor der Sofia Oper und Regisseur Prof. Plamen Kartaloff dieses Jahr zu Beginn des III. Wagner-Festivals den „Tannhäuser“ vorgenommen. Das heißt also, dass die Nationaloper Sofia nun bis auf die „Meistersinger von Nürnberg“ alle Werke des Bayreuthers Kanons im Repertoire hat and auch immer wieder spielt.
In mittlerweile 15 Jahren ist in Sofia dabei ein beachtliches Wagner-Ensemble entstanden, anfangs instruiert von dem der Sofia Oper sehr verbundenen und 2017 verstorbenen deutschen Musikpädagogen, Pianisten und Opernstudienleiter Prof. Richard Trimborn. Weitere Größen des bulgarischen Opernlebens sowie Wagner-erfahrene Sänger aus Westeuropa machten danach weiter.
Das Ergebnis zeigte sich auch wieder an diesem Abend. Die „Tannhäuser-Premiere und zugleich Premiere des III. Wagner-Festivals der Sofia Oper 2025 wurde nämlich ganz wesentlich auch durch die Leistung der bulgarischen Sänger zu einem großen Erfolg. Martin Iliev, hier seit langem bewährt als Siegmund, Siegfried und Tristan, wuchs in der Emotionalität der Darstellung des Titelrolle über sich hinaus. Er konnte diesen Anspruch auch mit tenoralen Qualitäten belegen, wobei die ganze Gebrochenheit der Figur eindrucksvoll zum Ausdruck kam. Ihm auf Augenhöhe begegnete Tsvetana Bandalovska, die mit einem stärkeren dramatischen Aplomb als noch von ihrer Sieglinde der vergangenen Jahre gewohnt die Elisabeth sang und mit großer Empathie für Tannhäuser spielte. Höhepunkte der Aufführung waren das Zusammentreffen zwischen beiden zu Beginn des 2. Akts nach einer emphatisch gesungenen „teuren Halle“ durch Bandalovska, sowie die Romerzählung von Iliev im 3. Akt, die er zu einer wahrlich unter die Haut gehenden musiktheatralischen Existenzfrage werden ließ. Das hat man so intensiv kaum je erlebt!
Gabriela Georgieva, als durchschlagskräftige Ortrud des „Lohengrin“ im Vorjahr noch in bester Erinnerung, sang die Venus mit hoher dramatischer Intensität, szenisch in der hier gespielten Zweiten Dresdner Fassung aber etwas zurückhaltend. Petar Buchkov war ein würdiger Landgraf Hermann und Atanas Mladenov ein wie immer schönstimmiger und einnehmender sowie hochmusikalischer Wolfram. Emil Pavlov gab einen guten Walther von der Vogelweide mit kraftvollem Tenor und Stefan Vladimirov einen grimmigen Biterolf. Angel Antonov als Heinrich der Schreiber und Angel Hristov als Reinmar von Zweter ergänzten mit dem lieblich singenden Jungen Hirten von Maria Pavlova das komplett aus Bulgaren bestehende Sängerensemble.
Regisseur Kartaloff sieht den „Tannhäuser“ als ein Drama unserer Tage, nicht nur als Parabel über Sünde und Vergebung. Für ihn ist Tannhäuser ein Mann, der in einer von Extremen zerrissenen Welt nach Ernsthaftigkeit und Freiheit sucht. Im Venusberg zeigt der Regisseur die Welt als ein rituelles Theater der Lust und Begierde. Man sieht kein Ballett, sondern pantomimenartige Darstellungen und Andeutungen von mythologischen und symbolischen Figuren wie Leda mit dem Schwan, Psyche und Eros, Helena und Paris, die Verführung der Europa, Dionysos, wie er alle in eine ekstatische Orgie versetzt, etc. Das ist sehr bildmächtig, zumal wenn Venus und Tannhäuser auf einem von einem weiblichen und einem männlichen Zentaur gezogenen Wagen hereinfahren. In Purpurrot verhüllt dient er dann zu ihrem langen Duett. Weniger überzeugend sind die im Hintergrund in rötlichem Licht aufgeblasenen Plastikhüllen, die den Venusberg andeuten sollen und bei Tannhäusers Ruf nach Maria in sich zusammensacken.
Entsprechende Lichtprojektionen auf einem Rundhorizont hätten hier sicher mehr gebracht. Und das kann man in Sofia mit Andrej Hajdinjak sehr gut, wie nicht nur der „Tristan“ und der „Ring“ beweisen. Und er war ohnehin auch an diesem Abend für das Licht zuständig. Sven Jonke war für das Bühnenbild mit Kostümen von Maria Ilieva verantwortlich, welches in der 2. Szene des 1. und im 3. Akt zu stark auf beige Tuchbahnen setzte, für die er offenbar ein nicht ganz einzudämmendes Faible hat, wie auch der Sofioter „Parsifal“ zeigt, wo es allerdings als Heiliger Wald überzeugender wirkte. Der Pilgerchor hatte leichte Schwierigkeiten, durch die Tücher zukommen, die an Seilen zu Spitzen hochgezogen wurden.
Das Bühnenbild des 2. Akts bestach hingegen durch eine sehr gute szenische Zuspitzung auf den Sängerkrieg, der hier wirklich einer war. Der jeweils singende Minnesänger stand oben über allen auf einem Podest mit einer Harfe, die übrigens auch glänzend aus dem Orchester klang. Ein metallisch glänzender Rundhorizont ging eine gute Symbiose mit einem bühnenbreiten, kreisrunden und hell erleuchteten Plafonds ein, der die (vermeintliche) Ordnung und mentale Abgeschlossenheit der Wartburg-Gesellschaft markierte. Der hervorragend und intensiv singende Chor der Sofia Oper unter Leitung von Violeta Dimitrova erschien in Grau völlig neutralisiert, wie unmenschlich, mit Masken im dogmatisch konservativen Wartburg-Einheitsdenken, was erst recht eine Zuspitzung der Konzentration auf die Sänger des Wettstreits und Elisabeths Gebaren - mit Applaus für deren Beiträge bis zu Biterolf - und ihr finales Einschreiten zugunsten Tannhäusers erhöhte. Sie steht in dieser Inszenierung schon von Beginn an sichtbar im Gegensatz zur Wartburg-Gesellschaft. Erst als es Ernst wird, fallen die Masken aller, und die Realität bricht hervor – ein starker szenischer Griff Kartaloffs! Auch ansonsten war die Personenregie, wie immer bei ihm, der ja alle Stücke aus der Partitur heraus inszeniert, sehr gut. Er inszenierte hier den unglaublichen und emotional einnehmenden Niedergang des den Sängerstreit zunächst dominierenden Tannhäuser zu einem völlig vernichteten und am Boden liegenden Sünder. Die Romerzählung setzte im 3. Akt dann einen weiteren Höhepunkt, stimmlich wie darstellerisch mit einer enormen Leistung von Martin Iliev, aber auch im Zusammenspiel mit Atanas Mladenov als Wolfram. Im Finale unterstrich der Regisseur dramaturgisch, dass Tannhäuser nicht durch göttliche Gnade, sondern durch innere Transformation erlöst wird und eine Vergebung nicht durch (päpstliche) Autorität, sondern allein durch persönliches Leiden, Erwachen und die Liebe Elisabeths erfährt. So wirkt das spirituelle Ende, bei dem beide in eine helle imaginäre Zukunft schreiten, auch viel intensiver als ein ähnliches neulich in der Wiener Produktion von Lydia Steier. Kartaloffs „Tannhäuser“ endet nicht in Verzweiflung, sondern in szenisch nachvollziehbarer Hoffnung!
Constantin Trinks dirigierte das im Wagner-Fach immer besser werdende Orchester der Sofia Oper mit gekonnter Hand und viel Liebe zum Detail. Dass bisweilen zu lange (wohl auch premierenbedingte Umbau-)Pausen entstanden, war nicht ihm anzurechnen. Besonders störend war der zu lange musiklose Vorlauf nach der Ouvertüre mit szenischer Vorbereitung des Venusbergs. Da sollte die Musik, wie von Wagner komponiert, doch sofort weitermachen, auch um die aufgebaute Dynamik und Spannung zu halten. Trinks gelang mit den Musikern eine sehr detailliert aufgefächerte Ouverture, die allerdings etwas an Tiefenwirkung missen ließ. Es wurde offenbar, dass es ihm um das genaue Einhalten seiner musikalischen Vorstellungen geht und er damit die Musiker sehr stringent, um nicht zu sagen eng, führt. Ein Wiener Philharmoniker sagte mir einmal, der große Vorzug von Christian Thielemann sei es, den Musikern zwar genaue Einsätze zu geben, sie dann aber ihren jeweiligen Part nach eigener Intuition und Vorstellung ausführen zu lassen. Damit ergebe sich ein hohes Maß an musikalischer Individualität bei insgesamt guter Ordnung und Gesamtkoordination. Aber das mag „Meckern auf hohem Niveau“ sein. Dieser „Tannhäuser“ war nicht nur vom Regiekonzept her und stimmlich, sondern auch musikalisch ein ganz großer Erfolg für die Sofia Oper, die nun 90 Prozent des Bayreuther Kanons im Köcher hat! Das allein ist schon etwas ganz Besonderes.
Dr. Klaus Billand
04. Juli 2025 | Drucken
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