Dosierte Wucht in Lady Macbeth von Mzensk in Paris

Xl_81024c28-1317-4c7f-ae4f-1029a87f1f9e © Dietmar Uhlig

Die ersten Töne elektrisieren. Im verdunkelten Raum der Opera Bastille ist die Bühne mit einem grauen Vorhang verdeckt und eine Videoprojektion von zwei im Wasser treibenden Frauenkörpern begleitet die musikalische Einleitung. Musik und Bild zeichnen markig die Dramatik und die finale Tragödie des Werkes voraus. Ingo Metzmacher am Pult des Orchesters der Opéra national de Paris gilt als Spezialist für expressive zeitgenössische Moderne und beweist auch hier wiederum seine Klasse. Dmitri Schostakowitsch Werk zeigt sich beeinflusst von verschiedenen Stilentwicklungen am Ende der Romantik. Mit seinen ausgereizten Harmonien, seiner schwer lastenden orchestralen Instrumentierung, wie ein Beil fallende Fermate bilden expressionistische Stilmotive, daneben bringen leichte schwebende Stimmungsbilder die Einflüsse des französischen Impressionismus und folkloristische tänzerische Elemente bilden spätromantische nationalistische Anbindungen. Ingo Metzmacher arbeitet an jeder Note, jedem Instrumenteneinsatz, überlässt nichts dem Spiel, achtet auf die Dosierungen der Lautstärke und variiert bis ins letzte Detail. Das gross besetzte Blech wird dazu noch ergänzt auf den seitlichen Logen postiert und so bringt er erst recht den riesigen Raum der Opera Bastille zum schwingen. Dem musiktheatralischen Überguss kann sich dann keiner mehr entziehen.

 

Die Spannung und Aufdringlichkeit von Musik und Geschichte war sicherlich auch die Absicht des Komponisten, der sich zeitlebens sehr schwer mit seinem eigenen Anspruch an seine Aufgabe tat. Mit seiner Darstellung des Klassenkampfes setzt er gesellschaftspolitische Aussagen, in der Darstellung des inneren Seelenlebens seiner Charaktere zeichnet er psychologische Diagramme und Kämpfe bis zum Zerreissen. Beides sind unerschöpfliche Quellen für eine realitätsbezogene und emotional aufgeheizte musikalische Aufarbeitung. Die Oper Lady Macbeth traf den Nerv der Zeit und war deshalb auch bei seiner Uraufführung und danach sehr erfolgreich bis der Diktator Stalin sich das Werk höchst persönlich anhörte und schaute. Der Rest ist bekannt. Das Werk wurde von den politischen Stellen verurteilt und verpönt, der Komponist zog sich schwer getroffen und verunsichert in die innere Isolation zurück. Auch der Regisseur Krzysztof Warlikowski trägt den Ruf eines Spezialisten für die Darstellung expressiver Frauenrollen und gesellschaftskritischen Werken. Insbesondere aber auch als Erneuerer des Theater in Sinne Shakespeares. Eine kräftige Bildsprache und ausgefeilte Personenführung geht mit diesem Ruf einher. Die Bühnen- und Kostümbildnerin Malgozata Szczesniak arbeitet und unterstützt ihn mit ihren subtilen kreativen Schöpfungen, die vordergründig ästhetisch schwer lastende Anklagen verpacken. So lassen die Beiden die Handlung in einem Schlachthof spielen. Hell ausgeleuchtet, steril weiss gefliesst sind die Bühnenwände, ein beweglicher transparenter Container in der Mitte zeigt die persönlichen Räume von Katerina Ismailova in vollkommen ungeschützter Privatsphäre. Ein Abbild der gesellschaftlichen Rolle der Frau, dem Willen und der Begierden des Mannes schutzlos ausgeliefert. Zu Beginn werden ein paar frisch geschlachtete Schweinhälften aufgehängt zur weiteren Verarbeitung hereingefahren. Der Chor in weissen Mänteln und Haube macht sich adrett an die Arbeit. Alles wirkt sauber und wohlgeordnet aber der Zerfall fängt leise an zu brökeln und das Chaos entwickelt sich unaufhaltsam ebenso wohlgeordnet. Dabei spielen die Lichtregie von Felice Ross wir auch die Videos von Debis Guégin eine wichtige Rolle. Im blutroten Kleid und Anzug wird geheiratet, die Bluttat bleibt aufdringlich präsent, auch wenn noch ausschweifend gefeiert wird lastet sie über Serguei und Katerina. Weniger überzeugend wirkt die Umsetzung im letzten Bild. Statisch aufgereiht dunkel eingehüllt die Athmosphäre des Zuges der Sträflinge. Die Sinnhaftigkeit des omnipräsenten Containers in der Bildmitte hierbei nicht klar erkennbar. Die finale Verzweiflungstat entzieht sich dem Betrachter, erst die Wiederholung der einleitenden Videos und die auflösende Musik führen zur Handlung zurück und berühren.

 

 

Diese kräftige Bild- und Musiksprache wird greif- und sichtbar lebendig durch das unglaublich intensive und hemmungslose Spiel der Sänger. Wiederum ein starkes Zeugnis, welche Anforderungen die heutigen Künstler an ihre Rollendarstellung erfüllen müssen. Neben dem perfekten Gesang werden schauspielerische Gewandheit und gestische Ausdruckskraft gefordert in allmöglichen Stellungen. Ausriné Stundyte lässt sich uneingeschränkt auf des vom Regisseur gewünschte Bild der Katerina Ismailova ein und schlüpft in das selbstgewählte Schicksal hinein. Die Verzweiflung, das Aufbegehren, die Enttäuschung, die Hoffnung und die Liebe, alles spielt sich in den drei Stunden ab und alles bekommt die feine persönliche Nuance von ihr. Über allem steht ihr kräftiger Sopran, eine satte Färbung unterstreicht die dramatische Würze und scharfe Expressivität ohne Bruch in den Registern. Serguei bleibt vom Regisseur mit Cowboyhut und Stiefeln als einfacher Charakter gezeichnet und im Bild des benutzten Weiberhelden mit viel Hose runter und rauf mit wenig Selbstreflektion verhaftet. Pavel Cernoch gelingt es trotzdem besonders durch seine stimmliche Präsenz Sympathien zu erobern. Dmitry Ulyanov punktet als lüsterner Schwiegervater und gewaltätiger Patriarch mit seiner mächtigen Basstimme, die auch lyrisch fein geschliffene Melodien singen kann. John Daszak kann spielerisch in der Rolle des hilflosen verklemmten Sohnes nur wenig Akzente setzen. Die zahlreichen Nebenrollen sind allesamt ausgezeichnet besetzt und überzeugen in ihrer darstellerischen Arbeit. So wird der Abend zu einem wahrlich unter die Haut gehenden Familiendrama und seelischen Leidenskrimi. In der unpersönlichen Ästethik wird die Tristesse gelungen pointiert gezeichnet. Das Publikum zeigt sich begeistert und beeindruckt.

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