Die Passagierin neu in München Nie Vergessen - Ein Aufruf aktuell wie je

Xl_45b3663f-eb96-4b02-a902-96f193050490 © Wilfried Hösl

Mieczyslaw Weinberg Die Passagierin Bayerische Staatsoper München 13.3.2023

Die Passagierin neu in München: Nie Vergessen - Ein Aufruf aktuell wie je

Wir blicken auf die Balkonfront eines modernen Kreuzfahrtsschiff, die Passagiere vertreiben sich bunt gekleidet gelangweilt die Zeit. Bühne und Kostüme von Rainer Sellmaier -Langsam nimmt die Handlung Fahrt auf. Anne Lisa Franz, zusammen mit ihrem frisch angetrauten Ehemann Walter auf dem Weg nach Brasilien, meint Marta, eine ehemalige Haftinsassin des KZ Auschwitz, wieder zu erkennen. Ihre Erinnerungen an ihre Zeit als KZ Wächterin und Handlangerin des NS Regimes erwachen. Mit wenig Reue aber mit Angst durchsetzt folgt das bildreiche Geständnis gegenüber ihrem Ehemann in den nächsten zwei Stunden. Der fürchtet um seine Karriere ohne Mitgefühl.

Tobias Kratzer unternimmt in seiner Regie den Versuch, die Rückblenden im Ist zu gestalten. Er verzichtet auf die Haftkleidung, kahlgeschorene Köpfe, Bilder die oft genug die unfassbaren Greuel des NS Regimes auf die Bühne bringen. Es ist hier die Musik, die unter die Haut geht und die Gefühlswelt der Zuhörer aufwühlt. Nach der Pause wechselt der Betrachter ins Innere des Schiffes, in den Speisesaal mit vier langen gedeckten Tafeln. Die belanglose Kreuzfahrtgesellschaft mischt sich mit der KZ Welt. Schiffsoffiziere in ihren eleganten weißen Uniformen werden zu brutalen Haftwächtern, Frauen in dunklen langen Kleidern zu Haftinsassinnen.

Durch die Verschmelzung der Erzählebenen der Romanvorlage von Zofia Posmysz wird der Handlungsstrang sehr dicht. Nicht immer einfach ist es der Handlung zu folgen, viel Aktionismus lenkt mitunter ab. Es gelingt aber Kratzer die Spannung aufzubauen und zu halten. Dies auch mit starken Momenten der Personenführung. So in der Szene des Wiedersehens von Marta mit ihrem Verlobten und der Verweigerung Almosen der Aufseherin anzunehmen.

Die Musik trägt mannigfaltige Züge, implementiert Volkslieder, Jazz und große Symphonik. Leitmotive kennzeichnen die Darsteller und psychologischen Handlungsebenen. Weinberg, 1919 jüdischer Abstammung in Warschau geboren, emigrierte vor den deutschen Truppen nach Moskau und zählt dort zu den politisch verhafteten Gedenkkomponisten zur Verherrlichung des kommunistischen Systems, dem er sich ideologisch nie unterwarf. Die finale Botschaft des nicht Vergessens ist auch eine persönliche, wurden auch aus seiner Familie einige Mitglieder Opfer der Shoah.

Der Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper Vladimir Jurowski gilt als Botschafter moderner Musik und ist mit seinen jüdisch russisch ukrainischen Wurzeln auch dem Werk verbunden. Mit Präzision gibt er klare Zeichen an die Musiker und Sänger. Mit Bedacht moduliert er Lautstärke und Rhythmik im Tempi. Nuanciert arbeitet er musikalische Stimmungsbilder heraus, beherrscht wird das Leid und Brutalität des Regimes dargestellt. Die Instrumentierung lässt ein farbenreiches Klanggebilde zu, die Farbpalette wird weit ausgenutzt. Die Wirkung der expressiven Komposition ist in der Gebanntheit des Publikums ablesbar. Der Schlussapplaus trägt erlösende Züge nach der eindringlichen Arie an das nicht Vergessen und Vergeben.

Das internationale Sängerensemble zeichnet sich durch hohe darstellerische Fähigkeiten aus, gesanglich ist klare Intonation gefordert. Sophie Koch ist eine kühle, nahezu naiv anmutende Lisa, die ihre Macht als Aufseherin sichtlich verinnerlicht und regimetreu ihr Verhalten nicht hinterfragt. Überzeugend schlüpft sie routiniert in die Rolle und das fragwürdige Verhalten. Ihr ebenso naiver wie skrupelloser Ehemann Walter wird von Charles Workman galant und glatt dargestellt. Die Marta von Elena Tsallagova erhält eine stolze edle Note, engelsgleich klar strahlt ihr Gesang in dem erdrückenden Leid. Jacques Imbrailo verkörpert Tadeusz in einer feinen Mischung aus streitbarer Held und in sich gefallene Verzweiflung. Auch die zahlreichen Nebenrollen sind bestens besetzt und zusammen mit einem Großaufgebot an Statisten wird die szenische Darstellung zu einem durchdringenden Erlebnis.

Betroffenheit im Publikum macht sich breit, mit Bedacht schwillt der Beifall an und drückt ehrliche Begeisterung aus.

Dr. Helmut Pitsch

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