Begehrt, berauscht, geköpft – Vivaldis „Juditha triumphans“ bei den Innsbrucker Festwochen

Xl_emilie_renard__abra___sophie_rennert__juditha___chor___lorrie_garcia__ozias__vorn____birgit_gufler © Birgit Gufler

Antonio Vivaldi Judita triumpfans Festwochen Alter Musik Innsbruck 25.8.2023

Begehrt, berauscht, geköpft – Vivaldis „Juditha triumphans“ bei den Innsbrucker Festwochen

Biblisches Setting, eine starke, kühl berechnende Frauenfigur, ein verliebter, dem Alkohol verfallener Machthaber und eine ganze Menge musikalischer Erotik. Nein, die Rede ist nicht von Richard Strauss‘ Salome, sondern von Juditha triumphans, Antonio Vivaldis einzigem erhalten gebliebenem Oratorium. Alessandro De Marchi hat dieses Juwel venezianischer Kirchenmusik nun bei den Festwochen der Alten Musik in Innsbruck präsentiert – als glanzvollen Abschied nach 14-jähriger Festival-Intendanz.

Erzählt wird die alttestamentarische Geschichte von Judith: Die schöne, reiche und fromme Witwe begibt sich mutig ins Lager der Assyrer, die Judiths Heimatstadt Betulia umzingelt haben. Dort verdreht sie dem Feldherren Holofernes den Kopf, enthauptet ihn im Schlaf und rettet so – natürlich mit Gottes Hilfe – ihre Stadt aus den Klauen der Feinde. Ein beliebtes und insbesondere in der Malerei häufig aufgegriffenes Motiv – von Botticelli über Cranach, Caravaggio und Gentileschi bis hin zu Gustav Klimt und Franz von Stuck. Eine ganz besondere Bedeutung bekam das Sujet für die Venezianer im Jahr 1716. Im Juli hatten die Türken die strategisch wichtige Insel Korfu besetzt, und erst dank einer Allianz mit dem Heiligen Römischen Reich war es möglich, die Insel von den Besatzern wieder zu befreien. In der Folge wurde Judith zu einer Art Staatsallegorie für Venedig, und eine Oratorienadaption des Stoffes war quasi die logische Konsequenz. Vivaldi griff dabei auf ein Libretto von Giacomo Cassetti zurück, der die Story in passable lateinische Verse verpackt hat. Da es – anders als etwa bei den Passionen J. S. Bachs – keinen testo, d.h. keinen Erzähler, gibt, entwickelt sich die Handlung ganz aus dem Dialog der Personen. Cassettis Libretto liest sich wie eine Oper auf Latein.

Und als Oper wird Juditha triumphans in Innsbruck auch auf die Bühne gebracht. Das Bühnenbild (Massimo Checchetto)ist schlicht: Mehr als eine lange Tafel, ein paar Stühle und Sitz-Quader, die im Lauf des Stücks immer wieder umgestellt werden, braucht es nicht. Das wirkt entschlackt und zeitlos. Ebenso die edlen ein- bis zweifarbigen Kostüme, die gleichermaßen antike wie barocke Elemente aufgreifen. Wie bereits bei der Uraufführung 1716 ist der Cast komplett weiblich – Vivaldi hatte das Oratorium für die Musikerinnen des Waisenhauses Ospedale della Pietà komponiert. Interessanterweise verzichtet Kostümbildner Tommaso Lagattolla darauf, die Hosenrollen Holofernes, Vagaus und Ozias optisch als Männer auszuweisen. Auch diese Protagonisten sind offenbar Frauen und tragen Frauenkleider, schulterfrei und mit Mieder. Dass mit Judith & Holofernes sowie mit ihren Untergebenen Abra & Vagaus also offenbar zwei lesbische Liebespaare auf der Bühne stehen, schafft in dieser modernen Interpretation ein interessantes Potenzial, das aber letzten Endes ungenutzt bleibt: Zu abstrakt agieren hier die Personen, sodass es letztlich keine Rolle spielt, ob sich da Mann und Frau oder zwei Frauen (oder zwei Männer) küssen. Insgesamt ist die Regie von Elena Barbalich recht distanziert. Hektische Bewegungen und extreme, überschwängliche Gesten werden kaum eingesetzt, und auch die Personenführung der Choristinnen im Hintergrund ist eher statuarisch, wodurch sich ein deutlicher Kontrast zur gefühlsgeladenen Musik ergibt. Besondere Wirkung hat es da, wenn die Sängerinnen auf die Laufsteg-artige Vorbühne heraustreten und so dem Publikum ganz nahekommen. Der Funke kann so unmittelbar überspringen – ein sowohl in dramaturgischer als auch in akustischer Hinsicht sehr glücklicher Einfall! Weniger geglückt ist leider die Idee, die Hauptbühne nach hinten einzurücken: Das erschwert es den Sängerinnen, aus dem Bühnenhintergrund heraus zu artikulieren, und so manche Koloratur-Passage kommt kaum noch im Parkett an.

Dabei sind die Solistinnenpartien im Grunde ausgezeichnet besetzt. Insbesondere bestechen die unterschiedlichen Stimmfarben, die perfekt zu den Rollen passen – fast könnte man meinen, Vivaldi hätte die Partien genau diesen Sängerinnen in die Kehle komponiert. In der Titelrolle brilliert Sophie Rennert und zeigt dabei alle stimmlichen Facetten, die ihre Rolle fordert. Furioser Glanzpunkt ist ihre dramatische Arie Agitata infido flatu, in der sie gegen das harmonische Dickicht und die intensive Chromatik des Orchesters ihre Koloraturfähigkeit unter Beweis stellt, v.a. auch in ihren improvisierten Läufen im Rahmen von Solokadenzen. Andere Arien verlangen dagegen intime, lyrische und warme Töne sowie eine stimmliche Anpassungsfähigkeit. Besonders eindrücklich meistert Rennert dies in ihren Arien Veni, veni me sequere fida und Quanto magis generosa, in denen ihre Stimme mit den doch so verschiedenen obligaten Begleitinstrumenten Chalumeau und Viola d’Amore förmlich zu verschmelzen scheint. Kein Wunder, dass ihr Antipode Holofernes davor auf die Knie fällt und ihr sofort erliegt. In seiner Verliebtheit wird der glaubhaft von Anastasia Boldyreva verkörpert. Ihr kraftvoller Mezzosopran verfügt über ein düsteres, maskulines Timbre und eine eindrucksvolle Tiefe. Während die Tempowahl ihrer Arien nicht immer überzeugt – etwas zu langsam erscheint die Arie Sede, o cara –, überzeugt ihre stimmliche Charakterzeichnung umso mehr. Pastoral-sanft legt sie beispielsweise die Arie Nox obscura tenebrosa an lässt diese Liebesarie fast wie ein Wiegenlied klingen.

Die Rolle von Abra, Judiths teuer Dienerin und Gefährtin, die im Oratorium ebenfalls als Witwe dargestellt wird, übernimmt Emilie Renard. Ihre Stimme klingt hell und sehr klar, was gut zur Rolle passt. Sie ist eine wichtige seelische Stütze für Judith und hilft ihr, den Mordplan durchzuführen. Besonders virtuos gestaltet sie ihre letzte Arie Si fulgida per te propitiae caeli fax, zu der sie nach vollbrachter Tat mit Judith aus dem feindlichen Lager flieht. Ihr steht auf Seiten der Assyrer der Eunuch Vagaus gegenüber, verkörpert von Arianna Vendittelli. Vagaus ist Knappe des Holofernes und im Lager gewissermaßen „Mädchen für alles“. Cassetti und Vivaldi haben diese Nebenrolle mit erstaunlich vielen, sehr unterschiedlichen Arien bedacht. Ob er in der virtuosen Arie Quamvis ferro, et ense gravis die verschiedenen charakterlichen Facetten seines Herrn preist, ihm in Umbrae carae, aurae adoratae einen angenehmen Schlaf wünscht oder in O servi, volate zu viel instrumentalem Gezupfe und Geklapper (die Arie wird nur von Cembali, Cello-Pizzicati und vier (!) Theorben begleitet) das Festmahl vorbereitet – Arianna Vendittelli bewegt sich stets mit Leichtigkeit durch diese spannende Rolle und hebt sich als einzige Sopranistin von den tieferen Partien der übrigen Protagonisten ab. Am anderen Ende der vokalen Skala befindet sich dagegen Lorrie Garcia. Mit ihrer tiefen, streckenweise fast tenoral klingenden Altstimme verleiht sie der (leider sehr kleinen) Rolle des Hohepriesters Ozias eine eindrucksvolle Mystik. Zum Solistinnenensemble gesellt sich der Coro Maghini (Einstudierung: Claudio Chiavazza). Auch er besteht nur aus Frauenstimmen (die Tenor- und Basspartien wurden zu Vivaldis Zeit vermutlich nach oben oktaviert, so auch in Innsbruck) und überzeugt durch rhythmische Präsenz und vollstimmige, dabei aber in den Koloraturen immer bewegliche Tongebung.

Getragen werden die Sängerinnen vom Innsbrucker Festwochenorchester unter dem scheidenden Alessandro De Marchi. Um die immensen Besetzungsanforderungen der Partitur stemmen zu können, ist es auf weit über 30 Personen angewachsen. Immerhin verlangt Vivaldi für die vielen Arien in geradezu verschwenderischer Großzügigkeit immer neue Begleitinstrumente, u.a. Trompeten, Pauken, Blockflöten, Oboen, den Klarinetten-Vorläufer Chalumeau, eine Mandoline, vier Theorben sowie einen fünfstimmigen Gambensatz. All die – teilweise sehr virtuosen – instrumentalen Anforderungen meistern die Mitglieder des Orchesters bravourös. Insgesamt überzeugt das Orchester v.a. durch ausgewogenen Klang und rhythmische Prägnanz und Präzision, obgleich De Marchi weniger zupackend aufspielen lässt als in den vorangegangenen Opernproduktionen – vielleicht eine Reaktion auf das geistliche Sujet?

Das Publikum dankt gleichwohl mit begeistertem Beifall und Standing Ovations. Besonderen Applaus erhalten Konzertmeisterin Olivia Centurioni für ihre wunderbaren Violin- und Viola d’Amore-Soli und natürlich Alessandro De Marchi, der durch das Ende seiner Intendanz in Innsbruck eine nicht leicht zu schließende Lücke hinterlassen wird.

Stefan Fuchs

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