Beethoven innen und aussen - Igor Levit entzaubert und verzaubert

Xl_3c61b1ea-3694-4ca7-9d5b-22ac53492cc8 © Helmut Pitsch

Lila, pink, grün blau - bunt ist das Corona Leitsystem in der Berliner Philharmonie und bringt jeden Besucher locker mit Abstand an seinen Platz in dem grossangelegten Berliner Konzertsaal. Die Beschränkungen durch die Pandemie erfordern individuelle Konzepte für jeden Veranstaltungsort, die phantasiereich entwickelt werden. Nach Salzburg spielt Igor Levit nun auch in Berlin, seinem aktuellen Wohnort, seinen gefeierten Beethovenzyklus aller 32 Klaviersonaten, auf acht Abende verteilt, im Rahmen der Berliner Festspiele. Bedauerlicherweise darf der grosse Saal nur sehr spärlich mit grossen Abständen zwischen jedem Besucher besetzt werden. So besteht nur für wenige die Möglichkeit dieses aussergewöhnliche Konzert eines aussergewöhnlichen Pianisten zu besuchen. Igor Levit ist in Russland geboren, kam als Kind nach Deutschland und wurde früh als ausserordentliches Talent erkannt und gefördert. So ist er jetzt mit knapp 30 Jahren bereits ein anerkannter und gefeierter Pianist, der zahlreiche internationale Preise gewonnen hat. Seit 2019 ist er Professor für Klavier an der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover. Viel Aufmerksamkeit erhielt er auch für sein engagiertes Handeln während des Lockdowns, indem er täglich Konzert aus seiner Berliner Wohnung ins Internet übertrug. Einige Kollegen kritisierten die gratis Aktion, die Musikfreunde waren froh in den düsteren Zeiten Musik auf höchstem Niveau zu erleben. Anspruchsvoll ist sein für das Spiel gewähltes Tempo, sicherlich im Sinne des Komponisten, der überbordende Gefühlsausdrucksweise im Spiel ablehnte und deutsche Klarheit bevorzugte. Sportlich kann der Ansatz bewertet werden, aber die Präszision im Anschlag und in der Melodieführung und insbesondere in der feinsten Ausgestaltung jedes einzelnen Tones lässt die hohe Qualität und die absolute Beherrschung des Instrumentes erkennen. Immer wieder werden Vergleiche seines Spiels mit anderen Pianisten gemacht, aber es geziemt sich ihn in seiner Ausnahmestellung in der Beurteilung seines Spiels zu belassen. Seine Konzentration, seine Identifikation mit dem Werk entlädt sich in einer knisternden Spannung im grossen Raum. In den kurzen Pausen zwischen den Sätzen zeigt sich die Anstrengung für den Künstler, der wie ein Sportler nach einer erbrachten Höchstleistung die Hände sinken lässt und gleichzeitig ehrfurchtsvoll vor der nächsten Aufgabe die Konzentration einsammelt. Immer wieder verbirgt er sein Gesicht in den Händen und wischt sich zur Entspannung über die Haut. Immer wieder entlockt er jedem einzelnen Satz der gespielten Sonaten Nr. 5 c moll op 10, Nr. 19 g moll, Nr. 20 G Dur und Nr. 22 F Dur neue Hörerlebnisse, ziseliert feinste Tonspiele und Harmonien aus der Partitur. Wie ein Zauberer gestaltet er noch in kleinsten Trillern oder Läufen Variationen von Lautstärken oder Färbung. Es ist diese absolute Beherrschung des Instrumentes mit einem Schuss Virtuosität ohne übertriebene Ausbrüche oder Gestik die dem Zuhörer unter die Haut gehen. Zuletzt dringt er in jede harmonische Ritze der berühmten Sonate Nr. 23 f moll op 57 auch Appassionata genannt. Der Beiname die "Leidenschaftliche" entstand erst bei der Herausgabe einer vierhändigen Fassung 1838, aber gibt die gefühlte Klangwelt in dieser Vielfalt von musikalischen Eingebungen in Melodien, Rhythmen und Harmonien wieder, die zu wahren Eruptionen führen. Eruptionen, die Igor Levit bis an den Ausbruch herausreizt, aber nicht wirklich ausbrechen lässt. Immer wieder hält er sachte die Welt zusammen und ladet so die Spannung auf. "Nach Appassionata kann ich nicht so nach Hause gehen" eröffnet der Künstler seine kurze Einführung und Überleitung zu seiner Zugabe. Aber dies spiegelt die gefühlte Welt im Raum genau wieder. Ferrucio Busoni ist ein weiterer Komponist, der für den Künstler eine persönlich bedeutende Rolle spielt. Ursprünglich wurde das zu hörende Werk 1909 als Orchesterstück komponiert und von Gustav Mahler uraufgeführt. Es ist dem Gedenken an die Mutter gedacht und "Des Mannes Wiegenlied" tituliert. Eine später gestaltete Klavierfassung durch Busoni selbst wurde in dem Zyklus "Elegien" aufgenommen. Ruhig fliessend verweben sich elegisch schmelzende Melodien und Harmonien. Ein leiser Hauch von Aufgehen in eine sphärische Unendlichkeit lässt sich spüren, impressionistische Züge verfeinern die Klangwelt und versetzen die Zuhörer willkürlich in entspannte Meditation. Wiederum grosser Beifall.

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