Barocke Pracht mit bester künstlerischer Improvisation in München

Xl_la_calisto_2023_d.visse_c_w.hoesl © Winfried Hösl

Francesco Cavalli La Calisto Bayerische Staatsoper 22.3.2023

Barocke Pracht mit bester künstlerischer Improvisation in München

Zum Glück ein seltenes Erlebnis und zum Glück eine meisterhafte Lösung professionell und in vorbildhafter Kollegialität minutenschnell gefunden.

Da stockte dem Publikum der Atem als Teresa Iervolino, die Danae in der mittlerweile als Kult zu bezeichnenden Inszenierung von Francesco Cavallis Oper La Calisto durch David Alden sich auf der Bühne am Bein verletzte und die Vorstellung unterbrochen werden musste. Während das Publikum noch hitzig diskutierte und die Sängerin bereits im Krankenhaus weilte, feilte das Haus an der Rettung des Abends. Nachdem der Gong die Zuschauer wieder in den Zuschauersaal gerufen hatte, erklärt Serge Dorny, Intendant des Hauses, die Fortsetzung mit neu verteilten Rollen, indem sowohl Mary Bevan, die Interpretin der Titelrolle als auch der Countertenor Aryeh Nussbaum Cohen, der Interpret des Endimione die Rolle der Danae von Iervolino übernahmen. Vom Bühnenrand gesungen, erschien die choreopraphische Abendspielleiterin in der Rolle der Danae auf der Bühne, mit ihren Handbewegungen an indische Göttinen erinnernd. Der Abend war gerettet und für alle eine besondere außergewöhnliche Erfahrung.

2005 war die Premiere dieser Neuinszenierung als Schlußpunkt eines umfangreichen Barockopernzyklus, den der britische Starregisseur David Alden für die Bayerische Staatsoper über mehrere Jahre verantwortete. Die Handlung fußt auf einer Erzählung aus den Metamorphosen des römischen Dichters Ovid, der die munteren, lüsternen Versuche des Gottvaters Jupiter(Giove) um die Gunst der an das Keuschheitsgelübde gebundenen Nymphe Calisto zum Inhalt hat, wie auch die eifersüchtige Wachsamkeit seiner Gattin Juno (Giunone), die die Widersacherin in eine Bärin verwandelt. Am Ende kann der ertappte Ehemann das bittere Schicksal der Unschuldigen nur mehr mit der Erlösung als ewiges Sternbild des großen Bären abmildern.

Modern, farbenfroh gut durchgestylt ist die Bühne von Paul Steinberg, mit einer Deckenkonstruktion von vielen Halbkugeln als Lichtkegel, die am Ende den Sternenhimmel der verzauberten Titelfigur, das Sternbild des Bären, darstellen. Immer wieder werden verschiedene Möbel auf die Bühne geschoben, um den Handlungsort ohne Unterbrechung neu zu gestalten. Üppig schräg und witzig sind die modernen Kostüme von Buki Shiff. Ein Blickfang ist der Hirtengott Pan mit seinen hohen, den Hufen nachempfundenen Schuhen und langem weißem Schafwollmantel. Satirino mit seinen Schaffellhosen, nackten Oberkörper und ebenfalls Hufschuhen erinnert an barocke Gemälde.

Dazu führt David Alden die zahlreichen handelnden Personen geschickt mit viel Bewegung und Gestik durch die Handlung, gespickt mit ansprechend lustigen Einfällen. Beladen aber nicht überladen ist so die einfache antike Handlung durch die Vielfalt kurzweilig und sehr unterhaltsam.

Francesco Cavalli zählte zu Lebzeiten zu den erfolgreichsten und viel gespielten Opernkomponisten als Zeitgenosse von Monteverdi. Im Gegensatz zu diesem sind Cavallis Opern für die Unterhaltung eines breiten Publikums angedacht, gespielt von einem klein besetzten Orchester, aber nicht minder die musikalische Qualität und Aussagekraft. Diese erarbeitet vorbildlich Christopher Moulds am Pult der Musiker des Bayerischen Staatsorchester verstärkt durch das Monteverdi Continuo Ensemble. In Großbritannien besteht eine gut ausgebildete Tradition in der Aufführungspraxis barocker Opern, deren Qualität die Besucher in der Bayerischen Staatsoper in dieser Wiederaufnahme erleben können. 1651 fand die Uraufführung dieses Werkes statt aber die Frische und Direktheit der musikalischen Dialoge und Verzierungen lassen keine Längen aufkommen.

Dazu begeistern die Sängern und Sängerinnen mit ihrem – zum Teil gefährlichem – lebendigen Einsatz auf der Bühne. Mary Bevan verbindet eine elegante unaufdringliche Bühnenpräsenz mit einer klaren frischen Sopranstimme, die geschickt eine sichere volle Mittellage mit einer zarten Höhe verbindet. Farbenreich stellt sie sich ihren Gefühlen und Emotionen zwischen Begehren und Disziplin. Dagegen stellt Milan Siljanov, Ensemblemitglied der Bayerischen Staatsoper, einen kühnen Verführer in seinem Rollenbild des Gottes Jupiter dar, der geschickt in seine Verkleidungen schlüpft. Mit seiner grauen Strähne im Haar ist er ein leuchtender Bass Bariton, der weich und leicht seine Melodieläufe auch in sportlicher Geschwindigkeit intoniert. Roberta Mameli gibt ihr Debüt am Haus als misstrauische Göttin und Gattin des abtrünigen Jupiters. Sicher und geschmeidig schmückt sie die Töne aus, mehr Emotion und Dramatik könnte die Ausgestaltung der Rolle vertragen.

Auch Aryeh Nussbaum Cohen gibt sein Hausdebüt überzeugend als gefühlvoller, dezent farbenreicher Endimione, der auch noch als Danae teilweise einspringt. Sein Counter hat Schmelz und bleibt locker in den Höhen, im Spiel wirkt er hölzern.

Seine vielseitige Begabung stellt eindrucksvoll Dominique Vesse in seinen drei unterschiedlichen Auftritten nachhaltig zur Schau. Ist er als Natura unter seiner Maske statisch, steigert er als verdruckster, schelmenhafter Satirino den Unterhaltungswert des Abends. Schon äußerlich ein Gag versteht er es seine Rolle zwischen Klamauk und Ernsthaftigkeit brillant zu balancieren. Dazu zeigt er die Flexibilität seiner Stimme mit ausgezeichneter Technik. Als Furia und Teil der Coro der göttlichen Nymphen ist er nochmals zu erleben.

Ebenso gefallen Nikolay Borchev als Mercurio und Anthony Gregory als Pane mit einer überzeugenden sängerischen und darstellerischen Leistung.  Mark Milhofer kann als prüde innerlich glühende Linfea auch sein komisches Talent ausleben. Im roten Lackmantel und Stöckelschuhen bewegt er sich ebenso sicher wie sein Tenor die widersprüchlichen Gefühle der Nymphe ausdrückt.

Viel Beifall und Begeisterung beim bestens gelaunten Publikum, die Bayerischen Anhänger der Barockoper sind im Glück.

Dr. Helmut Pitsch 

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