Wagners Ring in Dresden: Der Herr der konzertanten Ringe mit der Dresdner Philharmonie

Xl_89e2fea9-47c5-48b5-83ac-a7a0d1be0fa3 © Markenfotografie

Richard Wagner Der Ring des Nibelungen konzertante Aufführung Dresdner Philharmonie

Kulturpalast Dresden 

Das Rheingold 30.09.2022

Die Walküre 2.10.2022

 

Es gibt gegenwärtig eine Vielzahl neuer Inszenierungen des Ring des Nibelungen, die an Opernhäusern szenisch herausgebracht wurden oder gerade entstehen:  Deutsche Oper Berlin, Staatsoper Berlin, Staatsoper Stuttgart, Oper Zürich, Theater Coburg, Saarbrücken und Braunschweig. Auch Bayreuth hat diesen Sommer eine neue Realisierung umgesetzt. In Sachsen zeigt die Oper Leipzig eine Version und auch die Semperoper hat vor Ort einen Ring im Repertoire.  

Warum also jetzt in schwierigen Zeiten und bei zurückhaltenden Publikumszuspruch noch zusätzlich eine konzertante Aufführung?

Es liegt daran, dass sich hier die Wege eines Dresdner Traditions-Orchesters mit Marek Janowski schneiden, der seit über die 45 Jahren maßstäbliche Produktionen dieses Zyklus in Deutschland und Frankreich mit größtem Erfolg realisiert hat, meistens konzertant.  

Das traditionsreiche Orchester der Dresdner Philharmonie feierte sein 150-jährigen Geburtstag 2020. Das Ensemble hat seit den 60er Jahren mit so führenden Chefdirigenten wie Kurt Masur, Herbert Kegel, Peter Weigle, Michel Plasson, Rafael Frühbeck de Borgos und Michael Sanderling jeweils langfristig zusammengearbeitet.

Mit Marek Janowski verband das Orchester gleich zwei Arbeitsperioden: zunächst von 2001 bis 2003 und dann wieder seit 2019 bis heute. 

Janowski gilt als ein Orchester-Erzieher mit den Attributen der Unerbittlichkeit, wenn es um die Erzielung eines klaren, klassisch-präzisen Grundklangs des Orchesters geht. Durchhörbarkeit, Präzision und kammermusikalisches Spiel werden ohne Kompromisse in hoch-konzentrierten Proben erarbeitet. Darauf aufbauend wird die für Janowski so bezeichnende Klangbalance entwickelt. Das geht oft nicht ohne blood, sweat and tears.

Es heißt, der Maestro kann sehr eigenständige, auch autoritäre Charaktereigenschaften ausprägen, die heute nicht mehr als zeitgemäß gelten. Dabei pflegt er auch sich selbst gegenüber oft ein unausgesprochenes, (über-)hohes Maß an kritischer Selbsteinschätzung. 

Die Musiker achten diesen strengen Lehrmeister hoch. Aber Janowski stellt nicht nur höchsten Anforderungen, er setzt sich immer auch für seine Orchestermitglieder mit Nachdruck ein, z.B. bei Genehmigung weiterer Planstellen oder einer Verbesserung der Gehälter. 

So hatte es sich auch konkret in Dresden zu Beginn seiner ersten Schaffensphase 2001  verhalten. Die Stadt Dresden hatte dem Orchester und Janowski zudem ein neues Konzerthaus in Aussicht gestellt. Als die Stadt dann jedoch nichts unternahm, um diese Pläne in die Realität umzusetzen, verließ der Maestro Dresden vorzeitig. Janowski hatte auf  Enttäuschungen auch anderenorts schon durch vorzeitigen Weggang reagiert. 

Erst 2017 wurde mit der Wiedereröffnung des Dresdner Kulturpalastes schließlich auch der neue Konzertsaal eröffnet. Der lange gehegte Wunsch des Orchesters wurde also schließlich erfüllt. 

Als alle weiteren Konstellationen passten – und die Musiker erneut für ihn votiert hatten - kehrte Janowski schließlich 2019 noch einmal nach Dresden zurück. Er widmete sich seit dieser Zeit bereits konzertanten Opernaufführungen: Il Tabarro, Cavalleria rusticana, Fidelio, von denen oft Tonträger-Aufnahmen gemacht wurden. 

Nun verbindet Janowski ein ganz besonders leidenschaftliches Verhältnis mit Richard Wagners Ring des Nibelungen. Bereits ab 1976 als Generalmusikdirektor in Dortmund hat er eine erste Erarbeitung der Tetralogie umgesetzt. Dann kam die berühmte Schallplattenaufnahme mit der Staatskapelle Dresden Anfang der 1980er Jahre, begleitet von öffentlichen, konzertanten Darbietungen. 1986 und 1992 folgten in Paris die Aufführungen mit dem Orchestre Philharmonique de Radio France; 1988-1990 in Köln mit dem Gürzenich Orchester.Schließlich führt er 2012/13 mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin alle zehn Wagner Opern auf, inclusive des Rings – alle konzertant. Janowski hat also mit den meisten Klangkörpern, denen er langjährig vorstand, den Ring konzertant zu Gehör gebracht – und zwar ausnahmslos mit großem Erfolg und nachhaltigem Reputationsgewinn für die Orchester.

Gleichzeitig hat sich Janowski früh vom Opernbetrieb ferngehalten. In gewisser Weise war er dazu von berufener Stelle ermutigt worden. Kein geringerer als DDR-Regisseur und Felsenstein-Schüler Joachim Herz soll ihm gegenüber schon ganz früh geäußert haben, dass man ja eigentlich gar keine Inszenierung brauche „...wenn man dieses Werk so dirigiert wie Sie, Herr Janowski.“ 

Nur einmal noch spät ist der Maestro sich ‚untreu‘ geworden: in Bayreuth 2016 hat er eine szenische Realisation, ausgerechnet den Castorf-Ring, in der Nachfolge von Kirill Petrenko begleitet. Er gibt zu, dass er fürchtete, dass dies seine letzte Chance für eine Arbeit auf dem Hügel gewesen sei - „... weil die sonst nicht mehr anrufen ...“ – und er selbst immerhin auch schon im Alter von 77 Jahren stand.

Für ‚sein‘ Orchester der Dresdner Philharmonie und den Dirigenten ist es also jetzt nachgerade eine Pflicht und Herausforderung, sich gemeinsam gegen Ende der laufenden Zusammenarbeit, dem Ring des Nibelungen  – natürlich konzertant – zu widmen. Das Orchester spielt dabei alle diese Partituren jeweils zum ersten Mal komplett.  

Und wieder entfaltet sich ein Orbit von magischem Orchesterklang mit hoher Präzision und vielfältigen Farben. Der Spielfluss ist flüssig, durchsichtig und hat kinematographische Wirkung, nicht nur bei den Orchesterzwischenspielen oder -überleitungen. Die infame Wucht der Ambosse kontrastiert wirkungsvoll mit den deklamatorisch fein abgestuften Dialogszenen und den Gesängen der Rheintöchter. Die Philharmonie müsste eigentlich diese Werke im Laufe der Jahre erneut aufführen, denn jedes Ring-Orchester bleibt immer auch Werkstatt, in der man sich immer neue Klangwelten erschließen und sich dabei optimieren kann.  

Und übrigens nur konzertant: in der Inszenierungsgeschichte der Tetralogie hat es in den letzten Jahrzehnten viele Perspektiven gegeben: zum Beispiel die Ästhetik und das gesellschaftliche Bewusstsein der 68er Generation in Kassel mit Walhall im Pop-Land ab 1970, Patrice Chereau im Jahrhundertring 1976 in Bayreuth oder Götz Friedrich im legendären Zeittunnel ab 1984 an der Deutschen Oper Berlin. Weiterhin – in neuerer Zeit - die Ring-Quartette mit unterschiedlichen Regie-Teams für jeweils alle vier Teile des Werkes, darunter auch aus rein weiblicher Sicht mit vier Regisseurinnen in Chemnitz 2018. 

Man kann beim intensiven Zuhören feststellen, dass die konzertante Version gewissermaßen nur eine erneute Perspektivenverschiebung ist, bei der man einmal nach all den Ansätzen und Abstraktionen der Bühne eine rein auf den Klang fokussierte Umsetzung erlebt. Zumindest wenn ein die Werke zum ersten Mal komplett spielendes Orchester auf dem hier erreichten Level aufsetzt.  

Die Dresdner Philharmonie erschafft einen gewaltigen und vielgestaltigen Klangorbit, dem man gewissermaßen bei der operativen, physischen Erschaffung durch alle beteiligten Musiker zusehen kann. Das allein ist schon spannend. Aber gleichzeitig erfüllt das Ensemble durch die kluge Arbeit mit der Leitmotiv-Struktur der Partitur auch die Rolle des Chores in der griechischen Tragödie, der die Handlungen kommentiert und beeinflusst. Dazu kommt eine Wahntraum-Deuterei im Geiste Siegmund Freuds.  

Größer kann die Perspektive auch szenisch nicht werden und die begeisterte Publikumsreaktion betätigt das.

Dabei ist es bedauerlich, dass keine Text-Übertitelung angeboten wird. Wer da nicht mitten im Konzert mit Brillenputztuch, beleuchteter Lupe und Reclam-Textheft agiert, wird gerade bei den großen deklamatorischen Monolog- und Dialogszenen, z.B. Wotans Bekenntnissen im zweiten Akt der Walküre, den Auseinandersetzungen vieler Beteiligter im Rheingold etc. um die Chance gebracht, die sprachlichen Kernaussagen textlich genau zu verfolgen. Denn so gut die Sänger durchwegs auch deklamierten, bleibt Wagners Stabreim ohne eine Textvorlage schwierig zu vermitteln. Außer natürlich, man hätte den Text zuvor auswendig gelernt...   

Bei den Sängern sorgen Christian Elsner, Jochen Schmeckenbecher und Marina Prudenskaya für eine Kontinuität zu den Aufführungen und Tonträgerdokumenten mit dem Rundfunk- Sinfonieorchester Berlin 2013, wo sie bereits mitgewirkt haben. 

Egils Silins gibt einen nachdenklichen und grübelnden Wotan, dessen Gedanken von vornherein ganz klar die Katastrophe zunächst erahnen, dann ganz klar vor sich sieht. Man hat den Eindruck, dass viele Erkenntnisse gleichsam beim Gesangsvortrag erst entstehen. Die hoch-disziplinierte, perfekte Deklamatorik wirkt dabei wie die Zügelung seiner Verzweiflung und Wut. 

Christian Elsner als zwielichtiger, intriganter Loge singt mit außerordentlicher Wendigkeit und ausdrucksstarkem, formschönem Tenor. Er ist derart mit der Rolle musikalisch und sprachlich zusammengewachsen und verfügt über eine solche perfekte Ausdruckskraft, dass man das Gefühl hat, er nähme dem Dirigenten während der Aufführung für kurze Momente unmerklich den Stab aus der Hand, aber natürlich nur ganz kurz.   

Jochen Schmeckenbecher kann nicht anders als seinen zurückgestoßenen, hassenden und verzweifelt-fluchenden Alberich auch voll darstellerisch auszuspielen. Ob konzertante Aufführung oder nicht – hier singt und spielt ein verzweifelter Albe um sein Verderben – eine gewaltige Leistung.     

Catherine Foster muss als Brünnhilde geboren worden sein. Sie wird ihrem Ruf als eine der führenden Vertreterinnen der Rolle auch in Dresden mehr als gerecht. In Auftritt und Stimmführung weiß sie in jedem Moment, wie sie ihren Sopran einzusetzen hat, welche Reserven wann und wie klug zum Einsatz geführt werden müssen, um auch noch den höchsten Anforderungen der Partie gerecht zu werden. Äußerlich ist ihr keinerlei Anstrengung anzusehen, mimisch spielt sie die Rolle wie in einer szenischen Umsetzung.  

Emily Magee als Sieglinde trägt all den Ausdruck der stillen Unterdrückung und Hoffnung, bzw. der überschwänglich-glücklichen, zukünftigen Mutterrolle in ihrem Sopran. Ihr Ausruf „O hehrstes Wunder“ im dritten Akt der Walküre verweist nicht nur durch die musikalische Motivstruktur, sondern vor allem auch durch den unbändigen, stimmlich-überwältigenden Ausdruck der Sängerin auf das den gesamten Zyklus musikalisch krönende Liebesmotiv.   

Vincent Wolfsteiner als Siegmund hat ein ungemein passendes Timbre, um die junge und wilde Verzweiflung des verfolgten Siegmund zu stemmen. Seine Wälse-Rufe, die Winterstürme, aber auch die verletzlichen Momente in der Todverkündung lassen keine Wünsche offen.    

Tareq Nazmi gibt dunkel gefärbte Fasolt- und Hunding-Portraits von bedrohlicher Statur.

Etwa sechs Stunden reine Musik sind verklungen, einige  Sänger werden auch in den zwei noch folgenden Teilen Siegfried und Götterdämmerung mit rd. acht weiteren Stunden Musik wieder zu erleben sein – wir werden weiter berichten und die hier noch nicht Erwähnten Sänger darstellen.  

Achim Dombrowski, Hamburg

 

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