Wagners konzertanter Ring des Nibelungen - Die Dresdner Philharmonie und die Erstürmung des Gipfels

Xl_a7b522f2-74a8-4900-a3c9-8b49b94a0a69 © Oliver Killig

Richard Wagner Der Ring des Nibelungen Götterdämmerung konzertante Aufführung Dresdner Philharmonie 15.10.2022

Kulturpalast Dresden 

Wagners konzertanter Ring des Nibelungen - Die Dresdner Philharmonie und die Erstürmung des Gipfels

Schon in der Walküre sieht Göttervater Wotan sein Ende unausweichlich voraus, im Siegfried zerschlägt sein einstiger Hoffnungsträger ihm den eigenen Speer, das Symbol seiner Macht. In der Götterdämmerung schließlich verrät Siegfried in einer von Hagen gesponnenen Intrige seine ihm in Liebe ergebene Brünnhilde, um diese für Gunter als Frau zu gewinnen. Brünnhilde wird von Hagen zur Rache getrieben, in deren Vollzug Hagen Siegfried erschlägt. Brünnhilde folgt Siegfried ins Feuer, das ihn nach seinem Tode aufnimmt. In ihrer Liebe für Siegfried und ihrem Mitgefühl für ihren Göttervater Wotan, überträgt sie die Flammen auf alle Götter, die darin vergehen. Das von Alberich verfluchte Rheingold gelangt aus dem Feuer zurück in den unschuldigen Ur-Zustand auf dem Grunde des Rheins. Der Kreislauf des vierteiligen Riesenwerkes ist geschlossen. Es kann von Neuem beginnen. 

Es ist wichtig, sich die Handlung zu vergegenwärtigen, um die Bedeutung des spezifischen Orchesterklangs dieses Werkes einzuordnen. Die Klangstruktur dieser nach-Tristan Partitur ist gekennzeichnet durch schwarz-graue, fahle, verhangene Töne – ganz entsprechend der Handlung, die über weiteste Strecken keine Hoffnung mehr zulässt. Der Tonsatz verdichtet sich weiter, aber fast ausschließlich in dunkel-grundierten, nach innen leuchtenden Farbmodulationen. 

Die symphonisch-orchestrale Form tritt stark in den Vordergrund. Beispiele sind nicht nur die oft aufgeführten Orchesterstücke wie Siegfrieds Rheinfahrt und Trauermarsch, sondern u. a. auch die unwirklichen Szenen der Nornen, der verschattete Dialog Alberich – Hagen und nicht zuletzt der Verzweiflungsausbruch Waltrautes, einer Schwester Brünnhildes. Immer wieder aufscheinende Feuergluten, zunächst noch gezähmt, später alle Welt verzehrend, durchziehen magisch-bedrohlich das gesamte Klangspektrum. Die Figuren agieren wie im Halbschatten ihres Bewusstseins und ihrer Mission. 

Noch mehr als in den vorangegangenen Werken tritt das Orchester in Vordergrund. Um die musikalische Innenspannung dieses zugleich längsten Werkes im Zyklus aufrechtzuerhalten, bedarf es bei allen Musikern eines höchsten handwerklichen Könnens und einer ausgeprägten Souveränität im Spiel. Es gilt nicht nur, die langen Entwicklungslinien der einzelnen Akte hör- und erlebbar zu machen, vielmehr benötigen die Musiker auch im Kollektiv eine hohe Reife des Zusammenspiels, um die dunkel-getönten Farbwelten wirkungsvoll und voller Spannung auszuleuchten. Kein Orchester kommt ohne eine Vielzahl von Proben und einer langjährigen vertrauensvollen Zusammenarbeit untereinander zu einem so überzeugenden Ergebnis, wie man es hier erleben konnte.     

Wieder beweisen die grandiosen Blech- und Holzbläser des Orchesters die beispielhafte Beherrschung ihres Fachs. Insgesamt gelingt dem gesamten Orchester ein grandioses Zusammenspiel mit einem nachgerade unendlichen Spektrum an fein-abgestuften, klug gestalteten und wirkungsvoll dargebotenen Klangwelten.        

Catherine Foster beherrscht wie immer souverän ihre Partie, doch klingt sie in diesem Teil der Tetralogie nachdenklicher, vielleicht gebrochen angesichts Brünnhildes Einsicht, weder als liebende Frau ihrer Liebe leben noch den Untergang der alten Welt der Götter aufhalten zu können. Aber Catherine Foster kann zugleich auch die Ahnung hörbar machen, dass der von ihr initiierte Weltenbrand eine unbestimmte Chance des Neubeginns birgt. Denn mit dem Liebesmotiv, das zum ersten Mal in der Walküre erklingt, als Brünnhilde hoffnungsfroh das Leben Sieglindes retten kann, schließt das Riesenwerk ab. 

Jochen Schmeckenbecher, der stimmlich-gestisch ausdrucksstärkste Sängerdarsteller dieses Rings weiß selbst auch in denjenigen Passagen, in welchen er seinen Sohn Hagen bereits wie aus dem Jenseits anraunt, seine zerstörerische Präsenz wirkungsvoll zu demonstrieren.       

Marina Prudenskaya gibt eine verwundete, verzweifelte Waltraute, deren Appell an die Schwester so anrührend wie ahnungsvoll-vergeblich klingt. 

Rúni Brattaberg kann als einziger sein Zerstörungswerk positiv aussingen. Der nicht zu tief liegende Bass beherrscht mit dem Ausdruck von Gewalt und Unerbittlichkeit in einschüttender Weise das Geschehen. 

Vincent Wolfsteiner als Siegfried beweist erneut seine Standkraft in dieser mörderischen Partie. Auch in seinen letzten Momenten nach Hagens Todesstoß vermag er die Erinnerung an seine Brünnhilde noch mit formschönem Tenor und innigem Ausdruck vorzutragen. 

Michael Kupfer-Radecky und Regine Hangler als Geschwisterpaar Gunther und Gutrune runden als hilflose Opfer Hagens die Gruppe der Sängerdarsteller überzeugend ab. 

Der MDR-Rundfunkchor sowie Mitglieder des Chors der Oper Leipzig unter der Leitung von Eberhard Friedrich tragen ganz erheblich zu der unwirklichen Gewalt-durchtränkten Atmosphäre unter Hagens Führerschaft bei.   

Der größte Applaus für die große Zahl der Mitwirkenden ist die lange, stumme Ergriffenheit des gesamten Auditoriums unmittelbar nach dem Schlussakkord. Danach gibt es stehende Ovationen für Orchester, Sänger und Maestro Janowski, vor dem sich auch seine Musiker verneigen. 

Dieses gelungene, gewaltige Projekt wird die Reputation der Dresdner Philharmonie in der Stadt, regional und international noch einmal erheblich steigern. Zur Götterdämmerung waren nicht wenige internationale Gäste angereist.

In Dresden schließen sich damit mehrere Kreise. Janowski wird - bevor seine Amtszeit als Orchesterchef endet - noch Beethovens 9. Symphonie, einem Strauss-Programm sowie Bruckners 5. Symphonie dirigieren, bis für das Orchester zu Beginn der nächsten Spielzeit mit einer neuen Leitung ein neues Kapitel aufgeschlagen wird. 

Nach diesem künstlerischen Riesenerfolg kann man sich als Gast in Dresden gar nicht vorstellen, dass ein anderes Orchester vor Ort sich so bald an Wagners Ring des Nibelungen  herantraut.

 

Achim Dombrowski, Hamburg

 

Copyright: Oliver Killig

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