Staatoper unter den Linden - Die Welten von Tristan und Isolde

Xl_tristan_reh_287 © Monika Rittershaus

Ganz in die Gegenwart einer supermodernen und luxuriösen Yacht im ersten Akt und eines ebenso teuren Umfeldes gesellschaftlicher Repräsentation im zweiten Akt versetzt uns Regisseur und Bühnenbildner Dmitri Tcherniakov in seiner Neuproduktion von Wagners Tristan und Isolde an der neueröffneten Staatsoper unter den Linden in Berlin.

 

Es ist die Welt Tristans, der mit seinen wie Geschäftspartner wirkenden Männerfreunden in lässigen, aber umso teurer wirkenden Kostümen von Elena Zaytseva die Besatzung des Schiffes und einer modernen, abgeschlossenen, scheinbar mächtigen, zumindest reichen Gesellschaft darstellen.  Diese Männerhelden begegnen sich ausschließlich in der Haltung der fortwährenden gegenseitigen (Selbst-)Bestätigung und des Schulterklopfens.

 

Im dritten Aufzug brechen die Bilder. Tristan ist aus seiner Welt des äußeren Scheins ausgestoßen worden. Er hat das luxuriöse Umfeld bei Marke (das Umfeld einer scheinbaren Macht) durch seinen Verrat verlassen müssen. Eine sichtbare physische Verwundung trägt er nicht. Er hat jedoch jetzt psychisch keinen Halt mehr und fällt zurück auf die frühe Prägung durch das Elternhaus, auf die Eindrücke und das unmittelbar erfahrene Leid der bei seiner Geburt sterbenden Mutter. Das Bühnenbild zeigt einen schäbigen Raum in den 50er Jahren, so jedenfalls der Kleidungsstil der als Tristans Vater und Mutter eingeführten Statisten. Alle scheinbare Selbstsicherheit ist verflogen. Tristan hat keine Persönlichkeitsstruktur ausgebildet, die ihn nach dem Verlassen seines alten gesellschaftlichen Umfeldes prägt und stützt.

 

Isolde ist dabei immer Außenseiterin. Nie legt sie Mantel und edle Handtasche wirklich ab, nie ist sie heimisch. Nur Tristan ist sie bedingungslos zugewandt. Seine Wunde will sie schließen, ihr Mitleid bedingungslos zu seiner Heilung verwenden. Es gelingt ihr nicht. Der Ausdruck der Sehnsucht, den beide Partner zum Ausdruck bringen, lässt sie gleichwohl nicht zusammenkommen. Die physische Wunde konnte Isolde einmal heilen, die psychische Verletzung, die Tristan seit jeher mit sich trägt, die ihn auf immer Kind sein lässt, kann sie nicht erreichen. Eindrucksvoll wird die Distanz des Paares durch Tristans kindisches Umherspringen in der großen Liebesszene im zweiten Akt gegenwärtig; die erhabenen Worte der Vereinigung der Liebenden scheint er nicht zu verstehen und empfinden zu können. Weiterhin gibt es einige sehr wenige schwarz-weiße Videoeinblendungen des Paares von Tieni Burkhalter, die beide Protagonisten in einer atmosphärisch-melancholischen Distanz zueinander gleichsam schweben lässt. Auch die Lichtregie von Gleb Filshtinsky unterstützt diese unwirkliche Atmosphäre.

 

Tcherniakov verlegt also die Handlung in die Gegenwart und zeigt typische Situationen wie wir Menschen heute in ihrem sozialen und gesellschaftlichen Verhalten beobachten können. Er zwingt uns damit, Tristan und Isoldes Sehnsucht, ihr Unvermögen, ihre Einsamkeit wie in unserer Gegenwart zu empfinden und nicht als historisierendes Drama. Damit nimmt Tcherniakov auch in Kauf, dass Brüche und Rätsel der Handlungsvorlage in unserer Empfindung noch verschärft werden. Dennoch ermöglicht dieser Versuch dem intensiven Betrachter sehr wirkungsvoll die Annäherung an die Kernbotschaften des Stoffes in der heutigen Zeit.

 

Grandios die gesamte musikalische Umsetzung der Produktion! Mit Anja Kampe als Isolde steht eine der führenden Protagonistinnen unserer Zeit auf der Bühne. Ihr Ausdrucksspektrum erscheint grenzenlos. Ihre Textverständlichkeit ist an jeder Stelle gegeben und die großen Gesangsbögen, wie zum Beispiel in der Schlussszene, kommen erschütternd zur Wirkung. Ihr zur Seite steht mit Andreas Schager ein Tristan, der keinerlei Ermüdungserscheinungen kennt. Seine imposante Stimme fühlt sich im forte am wohlsten und selbst die mörderischen Höhepunkte der Fieberphantasien scheinen mühelos in der Kehle zu liegen. Schager rundet seine Leistung durch schonungsloses Spiel und unermüdlichen, bühnenwirksamen Einsatz ab. Boaz Daniel und Ekaterina Gubanova als Kurwenal und Brangäne sind heute auf den Bühnen der Welt nicht zu schlagende Sängerdarsteller ihrer Partien. Auch sie scheinen keine Ermüdung zu kennen, auch sie singen und spielen mit überzeugender Hingabe und auf dem Höhepunkt ihrer sängerischen Laufbahn. Stephen Milling überzeugt mit seinem gewaltigen Bass im zweiten Aufzug, während er im dritten Akt wegen einer aufziehenden Erkältung viel Stimmkraft herausnehmen musste.  Das Sängerensemble wurde durch den Melot von Stephan Rügamer und den sympathischen Steuermann des Adam Kutny als Mitglied des Internationalen Opernstudios der Staatsoper auf hohem Niveau abgerundet. Die Herren des Staatsopernchores unter der Leitung von Raymond Hughes wurden ihren Aufgaben gerecht.Bleiben Daniel Barenboim und die Staatkapelle Berlin. In den über 20 Jahren ihrer intensiven Zusammenarbeit haben Barenboim und die Staatskapelle wiederholt auch sämtliche Repertoireopern von Richard Wagner erarbeitet, so auch den Tristan. Die Feinheit und Durchhörbarkeit der Orchesterstimmen, insbesondere auch die Abstufungen bei den Holzbläsern sind heute nicht zu toppen. Die eher breite Tempowahl mit den wie selbsttragenden, nie forciert wirkenden, endlosen melodischen Bögen weisen eine natürliche Spannung auf, die den Zuhörer nie aus dem Bann lassen.

 

Diese eigentlich erste große Produktion im renovierten Haus der Staatsoper Unter den Linden demonstrierte die künstlerische Weltklasse dieses Hauses auf das Eindrucksvollste. Die durch die Umbauten am Hause verbesserte Akustik gab dem Ereignis den angemessenen Rahmen und stellte ihre Wirkung unter Beweis. Begeisterte Zustimmung für alle Sänger und die am Schluss auf der Bühne erscheinende Staatskapelle mit Daniel Barenboim. Beim Regieteam schieden sich die Geister. Viele Bravorufe kämpften mit einer nicht zu kleinen Buh-Partei.

 

Achim Dombrowski

     

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