Neid der Opernwelt - Deutsche Oper Berlin triumphiert mit DIE WALKÜRE

Xl_walk_re_123_hfschlichtlundgrenstemme © Bernd Uhlig

Deutsche Oper Berlin

Die Walküre

Musik von Richard Wagner

Premiere am  27. September 2020

Mit allem Sehnen und Daumendrücken hat es schließlich geklappt. Die Deutsche Oper Berlin konnte – nachdem Das Rheingold als geplanter Start des so lang erwarteten neuen Ring des Nibelungen noch der Pandemie zum Opfer gefallen war - schließlich mit Die Walküre eine in dieser Zeit wohl einzigartige, vollumfängliche Produktion von Wagners erstem Abend des Ringzyklus auf die Bühne stemmen, um die sie die Opernwelt beneidet, von Bayreuth ganz zu schweigen. Eine solche voll besetzte Aufführung war nur möglich geworden durch die Spende eines Sponsors, der die morgendlichen Corona-Tests bezahlt hat, so dass das gesamte Team an den Nachmittagen proben konnte.

In diesem Teil der Tetralogie erleben wir den Gott-Menschen Wotan, der im Bewusstsein seiner sich geschaffenen Macht den Preis erkennt, den er und die Menschheit dafür zahlt. Durch ein aus der Weltesche gebrochenen Speer, in dessen Schaft Wotan die Gesetze seiner Herrschaft schreibt, ist die Welt aus ihrem natürlichen Gleichgewicht geraten. Alle Versuche Wotans, dieses Gleichgewicht bei gleichzeitigem Erhalt seiner Macht wiederherzustellen, müssen scheitern. Wen er liebt, muss er verlassen, oder töten. Im Zentrum des Werkes stehen diese bittere Erkenntnis des Gott-Menschen und seine Verzweiflung.     

Der Regisseur Stefan Herheim bleibt seiner Handschrift treu. Wie in seinem legendären Parsifal in Bayreuth bildet die Szene ein Geschehen auf verschiedenen, oft gleichzeitig oder miteinander verwoben dargestellten Ebenen, ab. Ausgangspunkt bildet ein Einheitsbühnenbild für den gesamten Abend. Für den sich wiederholenden Kreislauf des fortwährenden Fluchtzustandes, der Obdachlosigkeit und Unbehaustheit in einer aus den Fugen geratenen Welt stehen die fortwährend in drangvoller Enge über die gesamte Bühne gestapelten Koffer, wie zurückgelassen und verloren von Menschen, die ins Ungewisse streben, ohne ihr Ziel zu kennen. Immer wieder irrt eine Schar flüchtender Menschen in Angst und Schrecken durch die Szenerie.   

Die Mitte der Bühne ist beherrscht von einem großen Konzertflügel, der wie ein Magiezentrum für eine Fülle von Erscheinungen dient, wenn zum Beispiel aus ihm ein Leinenvorhang in variierenden Formen und mit wechselnden Projektionen wächst, einmal die Weltesche verkörpernd, sodann den besungenen Wonnemond und schließlich die Erscheinung des Wölflings, über den in den Erzählungen Siegmund und Sieglindes erzählt wird. Auch Siegmunds Schwert steckt statt in der Esche Stamm tief in der Struktur des Flügels. 

Die Elemente des von Herheim und Silke Bauer gestalteten Bühnenbilds meiden jedwede feste Aufbautenstruktur. Je spielerischer, provisorischer und unaufwändiger im arte povera Stil, desto besser. Allerdings setzt die Videokunst von William Duke und Dan Trenchard ganz wesentliche Akzente. Ein klarer Kontrapunkt zu vielen konkreten Raumgestaltungen oder abstrakten Scheiben anderer Realisierungen des Werkes.      

Der Flügel dient aber auch als dynamischer Angelpunkt und Kraftzentrum für das Vorantreiben des Geschehens. Immer wieder spielen einzelne Protagonisten auf ihm, um die Handlung voranzutreiben. Das kann eine der Walküren sein – dann ist es eher eine episodische Auflockerung - oder Wotan selbst, der zu Beginn des zweiten Aktes in Unterwäsche aus der Erden Tiefe von Erda aus dem Souffleurkasten steigt, um unmittelbar mit der Partitur der Walküre vermeintlich die Kontrolle des zukünftigen Geschehens zu übernehmen. Am Ende schließlich erlebt man zu Füßen des Instruments die sich in Verzweiflung windende Sieglinde, deren Kind mit Hilfe von Mime/Richard Wagner mittels Durchschneiden der Nabelschnur mit den Splittern von Siegmunds Schwert geboren wird.  

Wie schon in vorangegangenen Produktionen des Regisseurs entfächert sich ein Bilderbogen intelligenter, sich szenisch überblendender, atemlos jagender Bildwelten, die nur ein hyperaktives, fieberndes, gewissermaßen durch die Ängste der Flucht geprägtes Unterbewusstsein hervorbringen kann. 

Hinzuerfunden schließlich ist Hundingling – Sieglindes Sohn aus der mit Hunding erzwungenen Ehe als stumme Figur, eine geistig und empathisch begrenzte Persönlichkeit, die nur auf Gewalt zu reagieren scheint und jede Gelegenheit sucht, selbst Gewalt auszuüben. Vor der Vereinigung mit Siegmund ersticht Sieglinde schließlich diese Kreatur. Eine Passage, in welcher Herheim Sieglinde nahe bei Medea sieht.      

Der allgegenwärtige, bizarre Humor nimmt dem überbordenden Werk eine heute schwer verdaubare, auf der Gestik und den antiquierten Bildern des 19. Jahrhunderts beruhenden Bombast. Die Walküren und ihre vergewaltigenden Krieger entstehen neu in einer Art trash comic. Die gefallenen Krieger, denen im Jenseits erotische Freuden versprochen wurden, nehmen sich ihre Walkürenbeute durch Vergewaltigung – weil sie keine andere Art der Annäherung als durch Gewalt kennen – die Walküren selbst scheint es nicht zu stören - #MeToo geht anders. Die Kostüme von Uta Heiseke entsprechen dieser zynischen Zwischenwelt perfekt.

Besonders anrührend jedoch ist die Szene der Auseinandersetzung zwischen Wotan und Fricka zu Beginn des zweiten Aktes, in welcher Wotans Frau Fricka als Göttin der Ehe Wotan zwingt, dem in Inzucht sich Sieglinde zuwendenden Siegmund die Kraft seines Zauberschwertes zu entziehen und ihn dadurch letztlich zu töten. Die im Hintergrund der Szene dem Geschehen lauschenden Flüchtenden erleben in Angst und Unverstand einen Streit, der in seinem Ursprung ihr eigenes Schicksal begründet und weiter beeinflussen wird. Dies nehmen die Mächtigen zwar wahr, beeinflusst oder stört sie jedoch ganz und gar nicht in ihrem Tun... 

Das Bild mit den Flüchtenden wiederholt sich im dritten Akt, wenn Wotan Abschied von Brünnhilde nimmt, die er liebt und verlassen muss. Hier erscheint es weniger sinnvoll, denn während im zweiten Akt eine im Kern machtpolitische Auseinandersetzung in der Kälte einer mechanischen menschlichen Begegnung zu erleben ist, behandelt diese Szene im dritten Akt die Trauer einer liebenden Vater-Tochter Beziehung, die dem unerschütterlichen Machtwillen Wotans unwiderruflich zum Opfer fällt – ein Akt des tiefen persönlichen Schmerzes und Verlustes.  

Aber Bayreuth prägte nicht umsonst den Begriff der Wagner-Werkstatt. Auf Fortentwicklung und gegebenenfalls Anpassungen im Konzept darf man daher auch in dieser Berliner Ring-Produktion gespannt sein.     

Lieblingssängerin des Publikums war Lise Davidsen, die ihre Sieglinde als Rollendebut gab. Ihre ohne Zweifel große Stimme überzeugte, jedoch hat man schon deutlich routiniertere Vertreterinnen ihres Fachs gleichwohl mit einem stimmlich noch jugendlich-überschwänglicheren Duktus gehört. Höchst verlässlich und baritonal timbriert Brandon Jovanovich als Siegmund. Unglaublich differenziert in der Sprachmodulation im zweiten Akt der Wotan von John Lundgren, der am Ende die gewaltige Kraftanstrengung des Parts nicht gänzlich verbergen konnte. Unbestechlich und voll auf der Höhe die bewährte Brünnhilde der Nina Stemme. Auch der unverbrauchte und aggressiv agierende Hunding von Andrew Harris konnte ohne Einschränkungen überzeugen. Eine stimmlich und darstellerisch gewaltige Erscheinung gab die als Fricka debütierende Annika Schlicht.   

Das Orchester der Deutschen Oper Berlin unter seinem Chefdirigenten Donald Runnicles glänzt durch ein ausgewogenes, durch die gemeinsame Schule der Erarbeitung französischer Opern geprägtes Klangerlebnis. Die Tempi werden nicht zu schnell angelegt, die Teile der so wichtigen Sprachmodulation – etwa in Wotans Monolog im zweiten Akt – werden in feinsinnigster Abstufung zu den großen melodischen Spannungsbögen gehalten.      

Mit viel Begeisterung, langem Applaus und vielen braviwerden Sänger, Orchester und Dirigat gefeiert. Dem Produktionsteam schleuderte eine nicht so kleine Fraktion ihre Buhs entgegen. Aber auch das hat sich ja bei Ring-Produktionen schon noch gewandelt.

Achim Dombrowski

Copyright: Bernd Uhlig

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