Carmen in Hamburg: Angst und Scheitern am Klischee

Xl_df126437-fc8f-4565-b9e3-bfcd5f22b844 © Brinkhoff/Mögenburg

CARMEN
(George Bizet)

Premiere am 17.09.2022

Staatsoper Hamburg

Die Premiere der neuen Carmen Produktion an der Hamburgischen Staatsoper ist die 1111. Aufführung des Werkes überhaupt am Haus. Klingt wie Karneval. Sieht auch so aus.

Der Regisseur Herbert Fritsch macht es wie immer. Seine ihn peinigende Angst vor den Klischees der großen Themen des Musik- und Sprechtheaters lassen ihn mutig diesen Stier bei den Hörnern packen. Alle beteiligten Darsteller auf der Bühne staksen immer wieder im kantigen Trippelschritt, wiegen sich in gelegentlichen Hüftschwüngen und anderen grell-ermüdenden Gesten vor einem quietsch-bunten Bühnen- und Kostümbildgemisch. Nicht zu vergessen eine Maske von karikierender bis extrem stilisierender Gesichtsdeutung so etwa der Stierkämpfer Escamillo in einer Art chinesischer Mandarin Verkleidung. Auch Toreros in Strapsen dürfen nicht fehlen. Die Bühne kreiert der Regisseur selbst, die Kostüme stammen von José Luna, der sich in den exaltierten Stil des Regisseurs einzuordnen weiß. 

Dabei werden die realen oder vermuteten Klischees lediglich auf immer diese selbe Weise in selbst-referentieller Art neu zusammengestellt und formieren sich auf einer anderen Ebene als egozentrische Fritsch-Klischees neu. Das wars.

Die Inhalte werden nicht aufgegriffen, sondern lediglich verneint. Fritsch äußert sich selbst dazu im Programmheft: „Mit den religiösen Symbolen, die mein Bühnenbild zu Carmen bestimmen ist keine Aussage verknüpft, keine Moral.“ und „Schlagworte wie Freiheit und Gerechtigkeit sind extrem ausgehöhlt (...) und bewirken nichts mehr“.  

Keine Hinterfragung, kein Ausbruch, kein Wagnis nirgends, nur manierierter Stillstand, der keine Einblicke gewährt, der die Figuren und Themen im Zweifel herabsetzt. 

Die Masche ist für den Regisseur nun schon seit Jahren erfolgreich. Nimmt man die Die Banditen Produktion in Bremen aus dem Jahr 2011 als Ausgangspunkt dieses Modells, konnte Herbert Fritsch nunmehr seit über 10 Jahre ein Geschäftsmodell auf dem Sprech- und Musiktheater entwickeln und in Gang halten. Alle Achtung – das muss man erst mal schaffen. Was sich beim Aufschlag mit einer Offenbach Operette noch neu und witzig ausnahm, ist inzwischen zur Endlosschleife verkommen, die nun auch jedem Werk aus Schauspiel oder Oper übergestülpt wird. Nächste Station: Der Fliegende Holländer im Dezember in der ersten nach-Kosky-Spielzeit an der Komischen Oper Berlin. Na dann!  

Aus Sicht der Intendanten kalkuliert man mittlerweile klug, dass die Farbgewalt von Bild und Kostüm, die verkrampfte Komik des Ensemble-Auftritts immer für amüsierte Hingucker und Lacher gut genug ist, die eine oder anderer Eintrittskarte in diesen herausfordernden Zeiten mehr verkauft wird, und die Reaktion von Publikum und Kritik in einem genau kalkulierbaren Maß zwischen Amüsiertheit und maßvollem Protest verläuft. So kann man einen Pluspunkt für sein lebendiges Theater einheimsen, denkt man. Künstlerisches bedeutendes oder gewagtes Theater sieht anders aus. 

Im Programmheft werden derweil zur wissenschaftlich-intellektuellen Untermalung mit Blick auf eine übergroße Madonnenfigur auf der Bühne, bzw. den Wandel der Frauenrolle der Carmen raumgreifende Erläuterungen und Spekulationen von Professorinnen der Kunst und Kunstgeschichte abgedruckt. 

Die musikalische Seite fiel erfreulicher aus. 

Zu nennen ist zunächst das umsichtige und kreative Dirigat von Yoel Gamzou. Man kann die Partitur von einer ganz anderen, ungewohnten Seite hören. Gamzou scheut sich nicht, Dynamiken in ungewohnter Form zu realisieren und nebeneinander zu stellen. Da wird schon mal ein wirkungsvoller Auftrumpfer in den bekannten Schlagern wie zum Beispiel dem Vorspiel gesetzt, was auch gelegentlich zu Wacklern zwischen Orchester und Bühne führt. Wichtiger sind aber die fein und nuanciert ausgespielten Passagen wie etwa die Überleitung und die filigrane Begleitung zur Blumenarie. Da gibt es sensible melodische Wendungen der Holzbläser zu hören, die man zuvor noch nie wahrgenommen hat. 

Noch überzeugender die Schluss-Szene, die einmal nicht schon mit einem vokal überdimensionierten Hochdruck-Gesang startet, sondern musikalisch zunächst in ihrer ganzen Schmerzlichkeit und Bitterkeit fast scheu an die Todverkündung der Kartenszene Carmens anknüpft, und sich dann organisch bis zum tragischen Ende entwickelt. Auch hier sind unheimlich-pulsierende Taktfolgen der Holzbläser herausarbeitet. Die gesamte Klangbalance ist ungewohnt und anders ausgerichtet. Das sind kreative, neue Einblicke - und übrigens auch: die erfolgreiche Vermeidung musikalischer Klischees und alter Hörgewohnheiten. 

Immerhin durften die Sängerdarsteller in der Inszenierung – jedenfalls bei fast allen wesentlichen Solo- oder Duoszenen - ungehindert abgestellt an der Rampe singen, so dass sie sich ganz auf ihre Kunst konzentrieren konnten. 

Einen Don Jose ganz eigener Sensibilität und Verletzlichkeit verkörpert der Tenor Tomislav Mužek. Er ist ganz gewiss kein stimmlich hoch-gepowerter Tenor-Strahler, sondern blüht in den sensibel-verletzlichen Momenten mit einer mehr innerlich leuchtenden Stimme auf, die brillant zum Konzept des Dirigats passt.       

Die Micaëla von Elbenita Kajtazi besticht gleichfalls durch ihren zurückgenommenen Sopran, der in sensibler Balance mit dem Orchester geführt wird und in den Höhepunkten anrührend brilliert  - man kann zu dem Schluss kommen, dass Jose und Micaëla eigentlich doch das ideale Paar sind, jedenfalls musikalisch. 

Die Carmen von Maria Kataeva bietet in Stimme und Bühnenausdruck die richtige Mischung für die Partie. Eine weniger extrovertiert-gekünstelte Personenführung und weniger über-stilisierte Kostümierung hätten sie menschlich in ihrer Wirkung womöglich noch überzeugender wirken lassen. Besonders überzeugende Auftritte gelingen im Zusammenspiel mit der Frasquita von Katrina Galka und der Mercédès von Ida Aldrian.

Das weiteres Ensemble bewährte sich gut, so die Schmuggler Remendado und Dancaïro von Jürgen Sacher und Nicolaus Mogg.

Der Chor der Staatsoper Hamburg unter der Leitung von Christian Günther sowie die Alsterspatzen, der Kinder- und Jugendchor der Staatsoper Hamburg unter der Leitung von Luiz de Godoy meisterten die anspruchsvollen Temporückungen des Dirigats mit Bravour und hatten viel Spaß an den bunten Kostümen und dem Getümmel auf der Bühne. 

Es gab sehr laute, teilweise fast aggressive Unmutsäußerungen. Vor allem das Regieteam und weniger stark auch der Dirigent ernteten Missfallen, während die meisten Sänger und die Chöre mit viel Beifall bedacht wurden.   

Achim Dombrowski 

Copyright: Brinkhoff/Mögenburg

| Drucken

Mehr

Kommentare

Loading