
Götterdämmerung
(Richard Wagner)
Staatsoper Unter den Linden, Berlin
Aufführung am 3.10.2025
In der Premiere dieser Produktion des Ring des Nibelungen Unter den Linden 2022 wurde an vier Tagen einer Woche die fast ein Jahr lang vorbereitete Tetralogie auf die Bühne gehievt. Viel schon ist zur Konzeption des Regisseurs Dmitri Tcherniakov zusammen mit seinem Team Elena Zaytseva (Kostüme), Gleb Filshtinsky (Licht) sowie Alexey Poluboyarinov (Videokunst) gesagt und geschrieben worden.
Wenn man nur der Götterdämmerung als letztem Baustein beiwohnt, will es scheinen, dass die Inszenierung sich nachgerade provokant an die Seite der leidenden Charaktere stellt, mit-leidet im innigsten Sinne. Die Widersprüche des Riesenwerkes werden nicht geglättet. Die Wege des Verfalls, der Vereinsamung werden in allem Leiden entfaltet. Sie führen ins Nichts, in den Untergang. Hier gibt es keine Flucht oder Verzauberung durch den Mythos. Die Tragik wird ungeschönt ausgespielt. Das steht in gewisser Weise quer zur Geschlossenheit der Musik.
Die Szene spielt im Hier und Jetzt, in einem nicht näher bezeichneten Forschungsinstitut, das sich der Erforschung und Behandlung der menschlichen Psyche widmet. Dort taumeln die Protagonisten machtlos dem von ihnen selbst provozierten Schicksal und ihrem Ende entgegen. Sie hören nicht auf Warnungen, sie entgehen ihren Schwächen nicht. Keine Forschung kann die Spezies retten. Die Erforschung der menschlichen Seele erscheint gar wie ein tragischer Widerspruch in sich selbst: dem Menschen ist nicht zu helfen.
Brünnhildes Schicksal wird bewegend entwickelt. Wenn sie mit Siegfried im Vorspiel erwacht, findet sie sich in genau der spießigen, bürgerlichen Welt mit all ihren Rahmensetzungen, Küche aus Fertigbauteilen und Duschbad wieder, der sie ursprünglich entgehen wollte.
Eindrucksvoll kontrastierend werden die Charaktere Brünnhildes und ihrer Schwester Waltraute gegenüber gestellt. Hier die liebende Frau – dort die distanzierte, kühle Walküre, die den Untergang Wotans erlebt.
Siegfried ist Brünnhilde ein einfacher, irgendwie liebenswerter Partner, den sie als ehedem gefühllose Göttertochter rückhaltlos und bedingungslos liebt. Diese Verbindung ist ihr ganzes Sein. Siegfrieds Verrat nimmt ihr den Glauben an Liebe und Welt. In einer letzten Vereinigung legt sie sich auf den toten, aufgebahrten Mann.
Zu Siegfrieds Trauermarsch wird das Personal der untergehenden Welt sichtbar: um seine Leiche versammeln sich noch einmal alt, schwach, gebrechlich und gespenstisch wie Lemuren die Figuren, die Siegfried auf seinem Weg begegneten: Mime, Alberich, die Rheintöchter, die greisenhaften Nornen, Erda und ganz zuletzt ein nicht mehr zu erkennender, gealterter, verfallener Wotan. Der Gott ist auch bei Brünnhildes Schlussmonolog auf der Szene, so dass sie die an ihren Vater gerichteten Worte in seiner Anwesenheit direkt an ihn richtet.
Brünnhilde lässt das so macht- und sinnlose Institut (und seine Strukturen) untergehen. Im Hintergrund und vor der schwarzen Bühne werden unvertonte Worte der Dichtung zur Götterdämmerung von Richard Wagners projiziert. Darin erkennt Brünnhilde aus trauernder Liebe den Untergang der Welt. Alleine und einsam zieht sie weiter. Von jedweder Wiedergeburt erlöst. Weißt Du wie das wird?
Ein tief-schwarzes Ende. War Richard Wagners zuletzt komponiertes Ende gar von mehr Hoffnung geprägt?
Die meisten Sänger-Protagonisten haben schon bei der Premiere 2022 mitgewirkt.
Anja Kampe als Brünnhilde in Kostüm und Geste einer modernen Frau vermag die Riesenpartie stimmlich mit großer Erfahrung und kluger Einteilung ihrer Kräfte bravourös zu meistern. Ihr zunehmend durch den erlittenen Betrug und die Brechung ihrer Person verhaltenes Spiel steht im Gegensatz zu den gewaltigen stimmlichen Bögen, die sie u.a. im Schlussgesang zu leistet.
Der Siegfried Andreas Schagers ist ein Erlebnis eigener Art. Die Stimme scheint nachgerade erst bei großem Volumen so richtig ins Leuchten zu kommen und sogar noch Flexibilität zu gewinnen. Seine Spielfreude wird jedem konzeptionellen Anspruch der Regie gerecht. Er wandelt gekonnt auf der feinen Linie von jungenhafter Schlichtheit und gefährlicher Tumbheit.
Der Hagen von Mika Kares bildet mit kernigem Bass und herausragend klarer Diktion ein dunkel-funkelndes Zentrum der musikalischen und darstellerischen Urgewalt dieses Endzeit-Bildes.
Noch nicht in der Premiere dabei war die Waltraute von Marina Prudenskaya. Sie weiß ihre stimmliche Bestform in ein zurückgenommenes Spiel der genervten Schwester Brünnhildes zu disziplinieren, die die menschliche Liebe nicht nachvollziehen kann. Sie tritt gestisch so desillusioniert auf, dass sie selbst nicht an die Wirkung ihrer Worte vor Brünnhilde zu glauben scheint – ganz im Gegensatz zur Leidenschaftlichkeit der Musik.
Lauri Vasar gibt einen stimmlich höchst präsenten, darstellerisch bis zur Lächerlichkeit schwachen Gunter. Clara Nadeshdin überzeugt ebenso als Gutrune.
Auch der Alberich von Jochen Schmeckenbecher war in der Premiere noch nicht dabei. Seine brillante Stimmbeherrschung und blendend klare Diktion machen seinen fast nackten Auftritt zu einem erschütternden Erlebnis.
Der Staatsopernchor mit Dani Juris brilliert in Klangschönheit und abgestuften Tönen.
Die Staatskapelle Berlin hat sich ihren Chef nach dem Rücktritt von Daniel Barenboim seinerzeit selbst gewählt – und sie ist damit auch eine Verpflichtung eingegangen, den von Thielemann gestellten, hohen Anforderungen gerecht zu werden. Und das ereignet sich in beispielloser Weise. Die Durchsichtigkeit und Wandlungsfähigkeit des Tons bei dieser Mammutpartitur und nicht zuletzt die spezifische Unterstützung der Sänger sind atemberaubend. Das Geheimnis dieser Zusammenarbeit kann man nur bedingt in Worte fassen. Glücklich, stolz und erschöpft steht das Orchester im nicht endenden wollenden Schlussapplaus mit allen anderen Protagonisten auf der Bühne.
Achim Dombrowski
Copyright: Monika Rittershaus
06. Oktober 2025 | Drucken
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