Unverzagt über das Moor ... Der Komponist Steven Heelein im Gespräch

Xl_heelei © Moosburger

Perpetuating Music

Gespräch mit Steven Heelein - die katholische Kirche als zunächst zufällige Inspitartionsquelle

Steven Heelein ist seit 2012 Dozent an der Hochschule für katholische Kirchenmusik & Musikpädagogik (HfKM) Regensburg und unterrichtet dort in den Fächern Komposition und Chorleitung sowie seit 2015 Professor für Dirigieren (Schwerpunkt Chorleitung) an der Hochschule für evangelische Kirchenmusik (HFK) Bayreuth.

Heelein bezeichnet seine Berufungen in der Reihenfolge: Komponist, Hochschullehrer und Organist

Kannst Du Dich noch erinnern, welche Deine ersten wichtigen Begegnungen mit der Musik waren? „Ja, sehr gut sogar. Ich war damals etwa acht Jahre alt. Unsere Familie lebte in einem sehr kleinen Ort, in dem es kulturelles Leben eigentlich nur rund um die Kirche gab. Und die Begegnung mit den Ritualen der katholischen Kirche war dann meine Initialzündung. Es gab da alles Mögliche, was mich unmittelbar faszinierte: die Dramaturgie des Gottesdienstes, die Bilder an den Wänden, die Texte der Messe, und auch Musik. Ich bin dort immer wieder alleine hingegangen. Das war einfach schön. Ich habe schnell begonnen, Texte aus den Messen auswendig zu lernen und deren sakrale Bedeutung zu verinnerlichen.  

Im Laufe der Zeit kamen doch sicher andere schöne Ablenkungen dazwischen? Ja, aber eher am Rand. Kirche und Gottesdienst standen sehr im Zentrum meiner Beschäftigung. Nach dem Unterricht für die Erstkommunion wurde ich auch Ministrant. Um andere Welten dieses Orbits zu erkunden, habe ich bald auch ein Kirchen-Hopping gemacht. Ich ging einfach in umliegende Dörfer und hörte mir dort das Orgelspiel an. 

Dann startet sicherlich bald der erste Unterricht auf der Orgel? Nein, tatsächlich habe ich mich zunächst ganz alleine mit den musikalischen Elementen auseinandergesetzt. Zu meinem zehnten Geburtstag bekam ich – ohne dass daran eine bestimmte Erwartung geknüpft war – ein Keybord geschenkt. Ich habe damit dann ausprobiert und die Kirchenlieder nachgespielt, die ich im Gottesdienst hörte. Nach einiger Zeit habe ich dann auch herausgefunden, wie das mit den Dur-/Moll-Klängen und dem Dreiklang funktioniert und gewissermaßen freihändig meine ersten eigenen Liedbegleitungen entwickelt.  

Das war dann immer noch im eigenen Zimmer? Nur ganz am Anfang. Als der Organist unsers Ortes wegzog, fragte er mich, ob ich nicht seine Aufgabe in den Gottesdiensten übernehmen wolle, - es sprach sich schnell in meinem kleinen Heimatort herum, dass ich Keybord spielte. Und tatsächlich funktionierte das. Ich war wie im Rausch. Zunächst durfte ich nur an den Werktagen die Orgel spielen, aber schon rasch hatte ich mich mit meinem neuen Selbstbewusstsein auch bei den anderen Kirchen im Umfeld beworben und durfte dort sogar immer öfter auch an den Sonntagen spielen.  

Und gab es denn nie einen formalen Unterricht?  Fast nicht – aber im Ernst: ich habe mich dann bei meinem späteren Lehrer Martin Seiwert beworben. Das war zunächst skeptisch und wollte erst einmal sehen, was ich denn da an der Orgel spielen könne. Er wollte mich erst aus dem Orgelbuch spielen lassen, da ich aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht richtig Noten lesen konnte, spielte ich ihm eben vor, was ich so normalerweise spielte. Er wollte es erst nicht glauben, ließ mich aber vorspielen und hat mich dann aber doch als seinen Schüler akzeptiert.

Wie kam es dann zum Komponieren? Es gab zunächst gewissermaßen unmerkliche und dann immer bewusstere Schritte. Ganz am Anfang schrieb ich sporadisch eigene Melodien auf. Ohne Plan und Ordnung – das Schreiben an sich machte mir auch Spaß. 2004 habe ich dann in einem Fernsehbeitrag von Stockhausens Oper Licht, u. a. mit dem spektakulären Helikopter-Streichquartett gehört. Und überheblich und enthusiasmiert, wie man so als junger Student nunmal ist, wollte ich so was Verrücktes auch probieren und merkte überrascht, wie schwierig das doch ist. Ich hatte letztendlich die Herausforderung technisch und künstlerisch-philosophisch noch gar nicht verstanden.

Aber wie kam es dann zum Durchbruch?  2005 durch Franz Hummel, den wichtigsten Menschen, den ich in meiner musikalischen Ausbildung kennenlernen durfte. Hummel ist selbst Pianist und Komponist und sagte immer: „Komponieren kann man nicht lernen. Du musst tief in Dich hineinhören und auf das vertrauen, was Du in Dir trägst.“ Für mich war diese Phase der Zusammenarbeit und des Lernens außerordentlich ermutigend und kreativ: ich habe mich erstmals in einer ganzen Reihe von unterschiedlichen musikalischen Formen ausprobiert: Klaviersonate, Streichquartett, auch meine erste Symphonie habe ich damals geschrieben – vieles davon habe ich mittlerweile verworfen. Seine kritische Anregung hat mir dabei sehr geholfen: im allgemeinen hat er viel gelobt und gute Ideen propagiert, aber er konnte mit einer traumhaften Hellsicht „Künstlichkeiten“, weniger authentische und verkopfte Passagen erkennen und nachhaken, was ich da genau sagen wollte.

Wie erklärst Du Dir die Wirkung dieses Lehrers? Franz Hummel war in einer ganz tiefen, gewissermaßen originalen Musikalität aufgewachsen. Er beschäftigte sich in einer bodenständigen aber überaus musikalischen Dorfgemeinschaft in Bayern schon als Kind mit Elementen der Kompositionstheorie. Klavierunterricht hatte er bei Elly Ney und sein erstes Klavierkonzert präsentierte er ganz unbekümmert und furchtlos Richard Strauss, der sich dann auch tatsächlich tief auf die Komposition eingelassen hat und sich mit ihm darüber auseinandersetzte. Trotz der Schallplattenaufnahmen für die Deutsche Grammophon Gesellschaft und vieler Reisen kehrte er immer in sein Dorf zurück und liebte das Leben in seiner Heimat. 

Bei Deinen Kompositionen wird Deine ausgeprägte Handwerklichkeit hervorgehoben – was bedeutet in diesem Sinne Handwerklichkeit für Dich selbst und warum ist sie wichtig?  Wird das so hervorgehoben, ja? Das sogenannte kompositorische Handwerk sind für mich die Werkzeuge, die man durch eigenes Musizieren und Erfahrung nutzt, um das, was man musikalisch ausdrücken möchte, auch umzusetzen. Das ist aber kein fester Begriff, nach dem Motto, lerne dies und du kannst das. In meinen Stücken zeigt sich für mich immer erst im Nachhinein, welche handwerkliche Technik ich verwendet habe. Oft und oft weiß ich auch gar nicht, was ich ausdrücken möchte. Wie soll ich dann dafür eine Technik aus dem Hut zaubern? Diese ganzen technischen Begriffe – die leider so beliebt sind, weil sie in einer Weise Sicherheit und Objektivität suggerieren – sind für mein künstlerisches Selbstverständnis unerheblich. Was ich aber wichtig finde, das Stück muss für die Musiker eines Ensembles oder Orchesters spielbar sein. Damit meine ich nicht unbedingt komfortabel, sondern eher, dass sich die künstlerische Idee mit dem technischen Aufwand decken muss. Ich hatte in meinen Anfängen z. B. von den Streichern eine Nutzung des Bogens verlangt, die u. U. die Instrumente angegriffen und beschädigt hätte. Zudem zeigte es sich mir, dass diese Anweisung nicht gedeckt war mit der künstlerischen Intension des Stückes. Selbstverständlich hat das Ensemble protestiert – und das war gut so. Eine wichtige Erfahrung, die ich verinnerlicht habe. 

Gibt es weitere Beispiele in Deinem Lernprozess? Ein anderes Beispiel in meinen Anfängen war mein Versuch, ein Orchester zu bitten, eine Passage „... so etwas violett ...“ zu spielen. Die ziemlich liebevoll vorgetragene Reaktion des Konzertmeisters, die ich erhielt war so etwa: „Lieber Steven: wir können leiser oder lauter, schneller oder langsamer spielen, aber violett leider nicht...“ Ich musste selber lachen und habe das Erlebnis unmittelbar verinnerlicht.

Du machst ausdrücklich einen Unterschied zwischen Handwerklichkeit und philosophischen Gehalt.  Ja, technische Grenzen dürfen einer Umsetzung und der Spielfreude eines Ensembles bei meinen Kompositionen in diesem Sinne nicht im Wege stehen. Das gilt nicht in gleichem Maße für die philosophischen Aspekte meiner Kunst. Hier muss ich im Einzelfall auf der Erarbeitung auch ggf. Widerspruchs, bzw. auf der Konfrontation oder Überwindung einer Grenzüberschreitung bestehen, weil sie letzten Endes Teil des künstlerischen Ziels und Inhalts ist.       

Dein Entwicklungsweg klingt sehr folgerichtig und klar ... War er ja aber nicht immer und auch schon gar nicht immer einfach. Die Schwierigkeiten, die ich in meinen Anfängen hatte, haben, denke ich, die meisten in diesem Berufsfeld. Unbekanntheit, deswegen wenige Aufführungen. Hinzu kommt die dem Künstler angeborene Egozentrik, die einem viel verbauen kann, vermischt mit einer Prise Megalomanie und den höchsten philosophischen Ansprüchen. Gepaart mit Unerfahrenheit in der Umsetzung der eigenen Ideen hat man es erst einmal schwer. Enttäuschungen und Verunsicherungen gehören zum Metier, das ist auch Teil meines Lebens, natürlich bis heute. Grundsätzlich aber kann ich mich weiß Gott nicht über meine Vita beschweren. 

Wie entwickelst und findest Du neue Ideen für Kompositionen? Die Ideen finden mich, so empfinde ich das. Aber für eine gewisse Zeit habe ich mir – teilweise zusammen mit Freunden – auch alternative künstlerische Ausdrucksformen gesucht, die Aktionskunst mit lebenden Modellen – da hatten wir dann gleich etwas zu sehen und etwas sehr Sinnliches, gewissermaßen zum Anfassen. Danach lechzt man ja als junger unaufgeführter Komponist. Da konnte man für einen Moment hemmungslos auf Intuition setzen und mal gleich ein Ergebnis sehen. 

Gibt es für Dich Genres, Kompositionsstile oder einzelne Komponisten, die für Dich prägend sind oder dich beeinflussen? Das entwickelt und verändert sich bei mir, wie wohl bei jedem Musiker, in beinahe regelmäßigen halbjährigen Abständen. Konstanten sind aber für mich Hans Werner Henze, Bernd Alois Zimmermann und Wolfgang Rihm. In jüngster Zeit beschäftige ich mich recht intensiv mit Franz Liszt, Anton Bruckner, Jean Sibelius, Morton Feldman und – dem leider viel zu wenig gespielten – Heinz Winbeck. Aber das sind phasenweise Entwicklungen, in denen einzelne Künstler besonders hervortreten, dann wieder etwas in den Hintergrund treten. Ich könnte die Liste beinahe unendlich fortsetzen. Perotin fehlt noch … Sibelius z.B. habe ich anfangs nicht verstanden, ich hatte noch kein Ohr für seine Musik, fühle mich aber heute stark zu den Sinfonien hingezogen. Das zeigt ja, dass nicht Sibelius sich verändert, sondern ich mich (zum Glück) verändere. Auch die Genres treten in meinem Schaffen im Zeitablauf mit unterschiedlicher Bedeutung hervor, verschwinden für eine Weile, kommen in neuer Form wieder.... Es ist in meiner künstlerischen Entwicklung vorgekommen, dass ein bestimmter literarischer Stoff zu einer Oper hervordrängte, künstlerisch gebannt sein wollte, auch wenn noch keine Aufführungsmöglichkeit bei einem Opernhaus gegeben war. Dann kann ich nicht warten, dann muss ich das Werk realisieren.    

Wie benennst Du  dann das zentrale Thema Deiner künstlerischen Auseinandersetzung?  Für mich geht es im Kern um die Hoffnung, den Zuspruch im Glauben, dass wir als Individuen vom Leben getragen werden, und wir Hoffnung haben und sein können. „Ich bin bei Euch“ – dieses Bekenntnis will ich in meiner Musik besingen. Dabei muss der Zuhörer gar nicht gläubig sein. Es sind die Fragen des Mensch-Seins angesprochen. Und die betreffen jeden Menschen. 

Ein Wort von Arvo Pärt beindruckt mich: „Man muss sich als Komponist entscheiden: entweder man rüttelt den Zuhörer auf, oder man tröstet ihn. Für mich steht der Trost im Vordergrund“.

Welche Deiner vielen Preise, Wettbewerbe oder Auftritte waren Dir besonders wichtig?

Gefreut habe ich mich über den Kompositionspreis des Deutschen Musikwettbewerbs, das mit dem Ensemble BRuCH im Gewandhaus Leipzig uraufgeführte Werk „Syrinx“ für Flöte, hohen Sopran, Klavier und Violoncello. Auch die Aufführung meiner Werke im Berliner Kammermusiksaal der Philharmonie erfüllt mich mit Freude

Was wünscht Du Dir für die Zukunft? Vor allem unverzagt bleiben, Hoffnung empfinden beim “blinden Tappen“ über das Moor – denn der künstlerische Prozess bleibt in den Facetten seiner Einsamkeit immer herausfordernd – da hilft es immer wieder, zwischendurch gewissermaßen kurz „etwas Tritt zu fassen“.  

Vor wenigen Tagen wurde bekanntgegeben, dass Steven Heelein beim 20. Internationalen Carl von Ossietzky-Kompositionspreis der Universität Oldenburg der zweite Preis für sein Werk „de profundis“ für Klavier und sinfonisches Orchester zugesprochen wurde. 

Die Vielzahl von weiteren Preisen und Auszeichnungen kann hier nicht wiedergegeben werden. Eine Zeitung titelte: „Schon wieder ein Preis für Heelein“. Die Webseite von Steven Heelein sowie ein eigener youtube-Kanal beinhalteten eine wahre Goldader an Informationen, Live Mitschnitten, Kurzfilmen und Ausschnitten aus Kompositionen. Hier kann man einen Einblick in das Werk und die Bandbreite der Genres dieses Künstlers gewinnen: http://sheelein.de/steven/. Besonders hervorgehoben sei die Komposition Veitstanz, für Solo-Klavier, das den ersten Preis beim TONALi Kompositionswettbewerb 2017 gewann, hier zu sehen mit der wunderbaren jungen Preisträgerin des TONALi-Klavierwettbewerbs, Elisabeth Brauß : https://vimeo.com/178736203

Achim Dombrowski

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