Tod in der Datscha live in den sozialen Medien

Xl_804466b9-b29c-4e69-a52e-277d732b0120 © Clemens Heidrich

Denis & Katya

Philip Venables 

Premiere und Deutsche Erstaufführung am 26. Februar 2022

Besuchte Aufführung am 27. Februar 2022

Staatsoper Hannover

Die Staatsoper  Hannover zeigt eine neue, unter die Haut gehende Medien-Oper mit Jugendlichen und tödlichem Ausgang

Eine wahre Geschichte: zwei 15-jährige Jugendliche – Denis & Katya  aus der russischen Stadt Pskow hauen ab und verstecken sich in der Datscha der Eltern. Sie haben Alkohol, Waffen und das Internet. Später taucht die Mutter des Mädchens auf und auch die Polizei. Nach drei Tagen sind die Jugendlichen tot. Die Umstände werden nie aufgeklärt. 

Die Aktionen der Jugendlichen bis zum ungeklärten, tragischen Ende verfolgt eine große mediale Gemeinde am Netz in jedem Detail und in abstoßendem Voyeurismus. Das gilt auch für die nachlaufende journalistische, sogenannte Aufarbeitung des Falles. Der Fall hat weltweit einen Aufschrei hervorgerufen. 

Die Oper ist auf Anregung des Regisseurs Ted Huffman zusammen mit dem Komponisten Philip Venables als Auftragswerk der Opernhäuser von Philadelphia, Montpellier und des Music Theatre Wales entstanden. 

Die notwendigen Ressourcen sind gering. Dem Komponisten ist es wichtig, dass sein Werk an möglichst vielen und verschiedenartigen Aufführungssorten umgesetzt werden kann. Es gibt zwei Solisten, vier Celli und ein gewisses technisches Equipment.

Die Sänger von Denis und Katya müssen in dem rund einstündigen Werk in Sekundenbruchteilen ununterbrochen ihre Rollen wechseln, dasselbe gilt für ihre Ausdrucksformen, die übergangslos zwischen Sprechen, Singen und Sprechgesang wechseln. 

In den darstellerischen Kurzformaten berichten sie entweder sachlich und nachgerade über-korrekt – wie aus Polizeiberichten  über die Detailgeschehnisse der Aktionen oder vertreten wiederholt bestimmte Personen im Umfeld wie die Journalisten, den Freund des Jungen etc. Die mitunter nur sekundenschnellen Szenen folgen übergangslos und sind jeweils lediglich durch einen mechanisch-akustischen Erkennungston voneinander getrennt.

Die Kunst der Stoffbehandlung und des Spiels liegt darin, dass die Darsteller den unterschiedlichen Charakteren trotz der Kürze der Äußerungen zumindest in Ansätzen charakterisierende Eigenschaften geben können, die der Zuschauer wiedererkennen kann, aber sofort wieder aus dem Auge verliert angesichts der medial bedingten, ewig fortschreitenden Szenenfolge. 

Man kann sich als Betrachter selbst testen, wie lange man in diesem andauernden Wechselbad versucht, den menschlichen Ausprägungen oder Gefühlen der Personen zu folgen und die Menschen zu erkennen, oder wann man schließlich in der zermürbenden Bilderflut aufgibt und in Gleichgültigkeit endet wie die Journalisten, die entweder hinten auf einer Leinwand in ihrem sachlichen Mail-Austausch oder durch eiskalt-kalkulierende anonyme, stimmliche Äußerungen vom Band abgespult werden. 

Der Zuschauer bekommt auf diese Weise die zerstörerische, nerv-tötende Mechanik der sozialen Netzwerke und der elektronischen Kommunikation unmittelbar physisch und psychisch vermittelt. Das geht unter die Haut.             

Die entseelte Haltung des Journalismus, dessen Geschäftsmodell auf der Darstellung und Analyse des Geschehens basiert wird letztlich bei dem Versuch entlarvt, die für die Mediengemeinde existierende Faszination des Geschehens durch solcherlei Äußerungen wie „... irgendwie wie Romeo und Julia ...“ zu umkreisen. 

Beide Solisten kommen aus dem Opernstudio der Hannoveraner Oper: die Mezzosopranistin Weronika Rabek und der Bariton Darwin Prakash. Zusammen mit dem Regisseur Ted Huffman hat dieses kleine Team eine hoch emotionale Szenenfolg entwickelt, die unmittelbar berührt und verstört. Die Zerstörung menschlicher Kommunikation und Empathie wird durch die elektronischen, un-sozialen Medien schmerzhaft verdeutlicht. 

Wie schon auf ganz anderer Ebene in Brüssel mit der theatralen Umsetzung eines 800-seitigen, amerikanischen Roman-Epos The Time of our Singing gelingt es Huffman unausweichlich erscheinende gesellschaftliche Zusammenhänge zu fokussieren und auf den Punkt zu bringen.  

Die vier mitwirkenden Cellisten kommen vom Niedersächsischen Staatsorchester Hannover: Marion Zender, Reynard Rott, Gottfried Roßner und Kilian Fröhlich und begleiten die Handlung, teilweise elektronisch unterstützt.

Ganz am Schluss, in den letzten Minuten der Aufführung, entsteht dann so etwas wie eine elegische, langsamere Stimmung, die überhaupt erstmals den Raum für Konzentration und Empathie ermöglicht. Im Hintergrund sieht man eine aus einem Zugfenster auf eine Leinwand projizierte russische Landschaft vorbeiziehen. Dazu hört man Reflektionen der Hinterbliebenen. 

Es ist zu hoffen, dass die Produktion an möglichst vielen Schulen für Jugendliche, nicht nur in Hannover gezeigt werden wird.

Das Werk wird in Kürze auch in der Oper von Amsterdam herauskommen. 

Das Publikum im Ballhof,  der kleineren Spielstätte des Staatsschauspiels in Hannover applaudiert lange den Mitwirkenden dieser eindrücklichen und  beklemmenden Produktion.

Achim Dombrowski

 

Copyright: Clemens Heidrich

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