Theodora am Theater an der Wien: Multikulti im Wiener Caféhaus

Xl_bild © Monika und Karl Forster

MusikTheater an der Wien im Museumsquartier

Theodora

(Georg Friedrich Haendel)

Premiere am 19.10.2023

besuchte Aufführung: 25.10.2023

Händels wirtschaftliche Erfolge auf den Opernbühnen in London waren – zurückhaltend formuliert – wechselhaft. Oft verblieben ihm erhebliche Schulden aus den Projekten. Davor vermochte ihm auch sein Ruhm als renommierter Staatskomponist nicht zu bewahren. Das war zumindest ein Grund, warum der Komponist in späteren Jahren das Format des Oratoriums bevorzugte. Denn hierbei gab es nur  – eine im Vergleich zur aufwändigeren szenischen Aufführung - konzertante Vorstellung. So auch beim Spätwerk Theodora im Jahre 1750 am Theatre Royal in London. Die Aufführungen war schlecht besucht, auch hier war ihm der wirtschaftliche Erfolg verwehrt. 

Was behandelt die Textvorlage?

Der römische Statthalter Valens verfügt unter Androhung der Todesstrafe, dass jeder Untertan Jupiter opfern muss. Die christlich-römischen Offiziere Dydimus und Septimius protestieren. Theodora will angesichts des christlichen Heilsversprechens lieber in den Tod gehen. Ihre Gefährtin Irene ruft alle Christen zum Gebet zusammen. 

Valens will Theodora als Strafe in die Prostitution zwingen. Didymus und Septimius verhelfen ihr zur Flucht. Didymus verteidigt sich durch den Vorwurf rein willkürlicher und unangemessener Bestrafung durch Valens. Um Didymus zu retten, stellt sich Theodora dem Gericht. Valens verurteilt beide zum Tode. Die beiden wissen, dass sie sich im Jenseits wiedersehen werden. 

Der Chor bekleidet eine wichtige Rolle und nimmt im Verlauf wechselnde Positionen als Heiden oder Christen an, vor allem spiegelt er eine Reihe von typischen menschlichen Eigenschaften wie Neugier, Neid, Bewunderung, Verzückung und Oberflächlichkeit.      

Das Libretto stammt von Thomas Morell, mit dem Händel bereits zuvor zusammen gearbeitet hat. Es werden gesellschaftlich-politische Themen der englischen Gesellschaft erörtert, konkret Fragen der Toleranz und freien Religionsausübung. Auch Händel war persönlich hiervon betroffen. Obwohl er in Italien dazu gedrängt wurde, zum Katholizismus, bzw. in England zum Anglikanismus überzutreten, ist er dem lutherischen Glauben seiner familiären Erziehung ein Leben lang treu geblieben. Daneben thematisiert das Stück Fragen der Trennung von Staat und Kirche, die Rolle der Frau und ihre Selbstbestimmung sowie die Legalität des Selbstmords. 

Und was erleben wir auf der Bühne?

Regisseur Stefan Herheim und sein bewährtes Team (Bühne Silke Bauer und Kostüme Gesine Völlm) versetzen uns mitten ins Café Central, ein Caféhaus von neugotisch-kitschigem Stil, in dem einstmals Wiener Größen der Kunst und Literatur verkehrten, das heute allerdings mehr von den Erscheinungen des overtourism geplagt ist. 

Die Protagonisten der Handlung sind das Personal des Etablissements, die Gäste sind wir: eine bunte, eitle multi-kulti Gesellschaft aus vielen Nationen auf der Jagd nach kurzweiliger Zerstreuung unter dem Motto Kein Witz mir zu blöd. So kann der Chor übergangslos die Position wechseln und auf der Suche nach einem vermuteten, archetypischen Opfer oder Täter Sympathien oder Antipathien empfinden; oder in einer subjektiv empfundenen Überbeanspruchung der social media-Aufmerksamkeitsspanne einfach einschlafen. 

Niemand, schon gar nicht die Handlungsträger wissen, ob sie hier menschliche Empathie oder Unterstützung finden, was denn die Betrachtungs-Perspektive der Gäste des Kaffeehauses überhaupt ist und ob es Anschauungen oder gar Werte-Einstellungen zu den verhandelten, immerhin im wahrsten Sinne tod-ernsten Thematiken gibt. 

Jeder bleibt für sich allein und orientierungslos.  

In der Hysterie der immer unkontrollierteren Gefühle gerät die Welt ins Schweben, wenn die Videokunst (Roman Hagenbrock) die ganze Immobilie über die Dächer der benachbarten Häuser hebt. Bei der folgenden, unbändigen Sehnsucht nach höherer Orientierung wird die Immobilie nochmals mobil und die gesamte Deckenkonstruktion senkt sich majestätisch herab, um einen herbei-erträumten Engel in der Gestalt eines jungen Mannes mit wunderschönem (gleichwohl echtem) Feuerschein in den Händen zur Rechten und zur Linken zu zeigen. Er bietet sich ideal zu allgemeinen Bewunderung an. Welche Werte stehen dafür?  Wie lange wird die Anbetung währen?            

Mit diesen Bildern gelingt es Herheim grandios, die Themen Händels überzeugend mit heutigen – gefühlten oder realen – Belangen zu verbinden, bzw. unsere Orientierungslosigkeit zu entlarven. 

Dazu agiert ein spielerisch und musikalisch prachtvoll disponiertes und perfekt aufeinander abgestimmtes Sängerensemble, wie man es in dieser Qualität und Geschlossenheit nur selten erleben darf.  

Bejun Mehta hat in einer weiteren Arbeit als Dirigent eine Gruppe von exzellenten Fachleuten zusammengebracht. Für die einzelnen Protagonisten (und im Einzelfall in Abstimmung mit dem Regisseur) hat er mit den Darstellern (bzw. haben diese selbst) individuelle Kadenzen kreiert, die den Stimmen der Sänger und Sängerinnen, bzw. der spezifischen musikalisch-szenischen Situation gerecht werden.   

Beinahe sollte man die Sängerdarsteller nur kollektiv würdigen, so harmonisch und geschlossen zueinander war deren Auftritt. Der Sopran von Jacquelyn Wagner als Theodora verfügt bei perfekter Stimmführung über eine ruhig-strömende, innigliche Ausstrahlung, die nicht nur die religiöse Überzeugung der Titelfigur glänzend zum Leuchten bringt.   

Der Countertenor Christopher Lowrey als Didymus vermag die schwierige Partie mit äußerlicher Leichtigkeit zu geben und David Portillo als Septimius vermag mit seiner fein-geführten Tenorstimme auch energische Akzente zu setzen, wo dies erforderlich ist.

Evan Hughes‘ schlanker Bass-Bariton brilliert mit äußerster stimmlicher Beweglichkeit als Chefkellner-Tyrann des Caféhauses (alias römischer Statthalter Valens), dabei mit einer darstellerischen Komik, über die nur die Angelsachsen in dieser trocken-kauzigen Form verfügen. 

Julie Boulianne besticht durch ihren samt-weichen und klangschön geführten Mezzosopran als Irene in musikalischer Hochform. 

Über die gesamte Klangpallette überragend sowie mit unbändiger Spielfreude präsentiert sich erneut der Arnold Schönberg Chor unter der Leitung von Erwin Ortner

Dazu parliert ein flexibel, klangschön und mit Witz agierendes La Folia Barockorchester mit Originalinstrumenten. Die Innigkeit des Spiels dieses mitreißenden Klangkörpers versetzt den Zuhörer dann ganz am Ende doch in die Hoffnung, dass die im Werk erörterten Werte existieren und Bestand haben könnten.   

Achim Dombrowski

 

Copyright Fotos: Monika und Karl Forster

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