Theaterakademie Hamburg: Rinaldo im Krieg

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Rinaldo
Generalprobe vom 4. Juni 2021

Hochschule für Musik und Theater Hamburg

Theaterakademie Hamburg
im Rahmen der Reihe junges forum Musik und Theater

An der HfMT Hamburg stellen sich Mitglieder der Opernklasse mit Händels Rinaldo vor - Opera Online konnte bei der Generalprobe dabei sein.

Händel schrieb Rinaldo in seiner Londoner Zeit 1717, eine zweite, gestraffte Fassung erschien ebendort 1731. Das Buch basiert auf dem Epos von Torquato Tasso und beinhaltet Erzählungen um die Zeit der Kreuzzüge sowie die Belagerung Jerusalems. Auch nicht wenig Zauberei kommt vor. Das Textbuch ist jeweils in großer Eile von verschiedenen Textdichtern verantwortet worden. Wie in der Zeit üblich verwendet Händel in seinen Arien wiederholt schon zu anderen Anlässen geschriebene Musik.     

Der Regisseur und Lehrstuhlinhaber für szenisch-musikalischen Unterricht an der Hochschule für Musik und Theater (HfMT)  in Hamburg - Professor Christian Poewe - ist selbst ausgebildeter Schauspieler und seit Jahren Opernregisseur. Mit Poewe zusammen hat das Team eine eigene, freie Fassung erarbeitet. Für Poewe ist das auch deshalb legitim, weil die Musik keinen direkten Bezug zur Handlung nimmt, sondern vielmehr in gewissermaßen emotionalen Inseln die Gefühle wahrhaftig in den Arien und Ensembles zum Ausdruck kommen.

Krieg bedeutet hier Tod, auch auf dem „ ...Schlachtfeld der Seele ...“. Deshalb sind in dieser Bühnenversion der Hochschule auch alle zu Beginn des Stücks außer Rinaldo bereits gestorben. Rinaldo versucht wie Orpheus seine Liebe Almirena wiederzuerlangen. Die weiteren Personen der Handlung, die wieder auferstehen, kehren als Rinaldos Traumata zurück, der christliche Goffredo als Kriegstreiber, der sarazenische König Argante als Nebenbuhler und die Zauberin Armida als weiteres Hindernis. Die Symbole sind wirkmächtig und klar: alle Toten tragen ein großes, rotes Kreuz ins Gesicht gemalt. 

Die Bühne von Anna Brandstätter stellt raumfüllende Holzverschläge dar, in dem sich die Akteure wie in unübersichtlicher Kriegshandlung zurechtfinden müssen. Der Raum wirkt wie zerstörte Behausungen und gleichzeitig verstellt er Wege und Sicht der am Krieg teilnehmenden Parteien. Die jungen Sänger können sich dabei immerhin äußerst gelenkig zwischen den Ebenen bewegen.  

Die Kostüme von Jana Mehner und Katrin Unger fangen spielerisch wirkungsvoll die für die Akteure typischen Charakterisierungsmerkmale ein. Die zarte Amirena in unschuldigem, einem Brautkleid entlehnten Weiß. Rinaldo und Goffredo in einer Ausrüstungsmontur des Krieges. Zauberin Armida und der ihr später nahestehende Argante erscheinen in schwarzer Montur mit Lederelementen und nicht geringer Federpracht.   

Die wiederholt eingeblendeten Videosequenzen zeigen Flucht- und Tötungsszenen und machen bewusst, dass wir uns in einer traumatisierten Nachkriegswelt befinden.  

Eine Generalprobe erlaubt fairerweise noch nicht eine abschließende Würdigung der musikalischen Leistung der Sänger und Instrumentalisten. Gleichwohl kam klar zum Ausdruck, dass man mit sehr hohen Erwartungen der vielversprechenden Premiere am 6. Juni entgegensehen kann. 

Nora Kazemieh als Rinaldo gestaltet ihren Part mit bezwingendem Ausdruck und perfekter Stimmführung. Ihre hohe gesangliche Konzentration macht sie zu einer traumverlorenen, orpheusgleichen Erscheinung, die jeden Weg zu ihrer geliebten Amirena zu gehen bereit ist.    

Lanlan Zhang als Almirena vermag in der Zartheit und Verletzlichkeit des Ausdrucks zu bezaubern. Auch bei ihr überzeugen bei aller Virtuosität die Ausstrahlung von Ruhe und Konzentration ihrer überzeugenden Stimme. Gebannt folgt der Zuhörer der Anmutigkeit ihrer Ausstrahlung.     

Zauberin Armida der Vlada Shchavinska bringt durch ihren fulminanten darstellerischen und gesanglichen Auftritt eine wirkungsvolle wütende Zauberin zur Darstellung. Sie weiß in expressiver Pose als wirkmächtige Herrscherin aus dem Zwischenreich  zu überzeugen.

Laurence Kalaidjian - in der vorangegangenen Rheingold-Produktion ein überzeugender Wotan - kann als sarazenischer Kriegsherr in dieser Produktion in einem ganz anderen Stimmfach brillieren. Sein disziplinierter Bariton wird auch den anspruchsvollen Koloraturen gerecht. Ein fantasievolles Kostüm mit reichlich Federpracht rundet die kraftvolle Kriegerfigur wirkungsvoll ab. 

Granit Musliu als christlicher Anführer Goffredo besticht durch seine überzeugend und wirkungsvoll geführte Tenorstimme sowie seine darstellerisch zunehmende und einfühlsame Zuwendung zu Rinaldo.    

Feng Sun beweist in den Partien von Mago und Araldo komödiantisches Geschick. Auch bei ihm gibt es eine stupende stimmliche und darstellerische Wandlungsfähigkeit, nachdem er im Rheingold immerhin die gewaltige Partie des Alberich so gekonnt vertreten hatte. 

Die Hamburger Symphoniker wissen mit 20 Musikern, unter anderem auch in den instrumentalen Solopartien, wirkungsvoll die farbenprächtige und phantasievolle Barockwelt der Händelschen Musik zum Klingen zu bringen.     

Die musikalische Leitung liegt in den bewährten Händen von Willem Wetzel, Professor an der HfMT Hamburg für Musikalische Leitung in der Opernklasse. Er dirigiert auch an der Oper Stuttgart und ist im künstlerischen Beirat der neu gegründeten European Opera Academy.

Ein wenig kann man sich in Hamburg gerade wie in einer Händelstadt fühlen. Einerseits wird die Inszenierung der HfMT im Juni im Forum der Musikhochschule gezeigt, gleichzeitig kann man auch in der Hamburgischen Staatsoper gerade eine sehenswerte, soeben erst herausgebrachte Agrippina von Händel bewundern mit  Sängern, die einen längeren Laufbahnweg gegangen sind. Ein Vergleich kann viel Freude machen und den potentiellen Entwicklungsweg der jungen Garde der Hochschule erahnen lassen.         

Die Produktion kommt inclusive der Premiere am 6. Juni insgesamt neunmal im Juni zur Aufführung.

Achim Dombrowski

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