Theater Lübeck: Salomes tödlicher Tanz

Xl_d19d84f3-6a76-48ea-a441-bf4340d9cd57 © Jochen Quast

Salome

(Richard Strauss)

Theater Lübeck

Premiere am 18.11.2022

besuchte Vorstellung: 25.11.2022

Nachdem das Theater Lübeck bereits mit Lohengrin in die neue Spielzeit gestartet war, stellt sich das Ensemble mit Salome gleich einem nicht minder anspruchsvollen Werk des deutschen Repertoires. 

Die Regisseurin Christiane Lutz zusammen mit dem Bühnen- und Kostümbildner Christian Tabakoff geben sich äußerlich ausgesprochen nüchtern bei der Erzählung der Geschichte. Keine orientalischen Zutaten, kein bunter Schleierzauber, kein Mond, nichts. Auch die Kostüme sind zurückhaltend neuzeitlich mit nur wenigen stilistischen Anspielungen gestaltet. 

Zu sehen ist stattdessen eine mehr als nüchterne, zweigeteilte Bühne, die einerseits die Ebene der Funktionsräume und des Personals, also die Küche des Hauses zeigt, andererseits die durch eine bewegliche Zwischenwand getrennte Gesellschaftsebene, die Sphäre der Macht, in der nicht minder karg ausgestattet die gesellschaftlichen Begegnungen stattfinden. Hier führt Herodes als unsicherer Machthaber seines Reiches die politischen und religiösen Fraktionen zusammen und sucht diese zu beherrschen. Hier finden auch die politischen und religiösen Auseinandersetzungen, zum Beispiel mit den Juden statt.

Diese Gesellschaft ist nicht geeint. Sie streitet, jeder will seine eigene Idee von Liberalität und Individualität, oder seine eigenen politischen und/oder religiösen Ziele durchsetzen. Jeder sucht nach seinem eigenen Weg, Einfluss oder Macht zu erringen, seine Ideen umzusetzen. Niemand hört dem anderen zu. Die alten Eliten spüren den Verlust der eigenen Machtbasis.  

In diesem Umfeld wächst Salome auf. Eine vertrauensvolle Begegnungsebene mit ihren Eltern Herodes und Herodias existiert für sie nicht. Sie weicht deshalb in die nicht-öffentlichen Räume aus und sucht und imaginiert sich dort ihre Bezugspersonen. Auf Zurückweisung in der sensiblen Phase ihres fraulichen Reifeprozesses reagiert sie durch Entwicklung (sexueller) Dominanz und Zerstörung. Die durchdachte Personenführung Salomes zeigt diesen Entwicklungsprozess des Mädchens zur jungen Frau und in ihrem Falle zur Selbsterkenntnis ihrer eigenen Macht sowie zur unweigerlichen, lustvollen Anwendung ihrer zerstörerischen Dominanz.

Am Ende ist sie Forstsetzung und unmenschliche Steigerung des Charakters ihrer Mutter. Eine moralische Orientierung oder die Leitlinie einer irgend gearteten Menschlichkeit kann sie aus ihrer Herkunft und Umgebung nicht erhalten. Dabei betont die Regisseurin den Topos weiblicher Hysterie bei der Charakterisierung Salomes weniger stark als andere Interpretationen.

Jochanaan als Prophet – der insbesondere Salomes Eltern unheimlich ist -  durchschreitet beide Raumperspektiven. Je mehr er den Herrschenden Angst einflößt, desto mehr fühlt sich Salome zu ihm hingezogen. Er ist größer als jeder lebende Mensch, was durch eine übergroße Schattendarstellung - wie zur Doppelung seiner Person - angedeutet wird. Auch sinken unvermittelt schwarze Federn zu Boden bei seinen Auftritten.

Evmorfia Metaxaki debütiert als Salome. Die Sängerin ist seit 2014 Ensemblemitglied des Theaters Lübeck und hat im Hause bereits eine Vielzahl anspruchsvoller Rollen verkörpert. Ihr vielseitiges Repertoire reicht von Britten über Bellini, Mozart, Händel bis zu Rossini, Bernstein und Zemlinsky. Die Titelpartie der Salome ist ein weiterer, gewaltiger  Meilenstein für die Künstlerin. Die vielschichtigen stilistischen Anforderungen zwischen den Extremen zwischen intrikatem Sprechgesang mit anspruchsvollen Textpassagen und den weit gespannten, großen Gesangslinien etwa im Finale werden mit großer handwerklicher Meisterschaft angegangen.         

Bo Skovhus als Gast im Lübecker Haus ist Jochanaan. Die sprachgewaltige Artikulation und Bühnenerscheinung dieses erfahrenen Sängerdarstellers garantieren immer einen eindrucksvollen Auftritt. Ungewöhnlich ist die dezidiert durchgehaltene, steife Haltung und Bewegung des Künstlers, der doch zu allen möglichen darstellerischen Varianten fähig ist. Der Gesamtauftritt und die gewaltige, nicht immer nur klangschön geführte Stimme lassen jedoch nachvollziehen, welche abstoßende Anziehungskraft diese extreme Figur auf eine junge Frau wie Salome hat.  

Der Herodes von Wolfgang Schwaninger kann sein gesamtes Darstellungsspektrum als vielseitiger Sängerdarsteller ausspielen, und tut dies mit größter Spielfreude. Unsicher, angstvoll, herrschsüchtig und geil begegnet er seinem jeweiligen Gegenüber, sei es Salome, seine Frau Herodias, den religiös-politischen Standpunkten der Juden oder geradezu mit schmerzhaft-verängstigtem Schauer der Überperson Jochanaans. Schwaninger kann alle Register seiner charaktervollen Stimme zusammen mit einem fast unendlichen Darstellungsspektrum verbinden. Dabei ist die Diktion durchwegs verständlich.      

Die Herodias von Edna Prochnik passt gut zu ihrem angst-getriebenen Ehemann. Mit schnoddriger Haltung und impertinenter Verweigerung agiert sie gegen Herodes. Stimmlich-darstellerisch charakterisiert die Künstlerin diese aussichtslos-lebensfeindliche Haltung gut.  

Die weiteren Ensemblemitglieder, inclusive des schwierig zu besetzenden Judenquintetts, können in Lübeck mehr als adäquat besetzt werden.    

Das Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck unter Stefan Vladar kann bei den Klangmassen der Partitur mächtig in die vollen gehen, jedoch auch blitzschnell auf die tendenziell im Sprechgesang fokussierten Teile eingehen, um dann wiederum genauso flexibel in die orientalisch-schwülstigen, farbenprächtigen Passagen des Klangbildes zu wechseln.

Das noch deutlich nicht wieder voll besetzte Haus feierte die gelungene Aufführung, allen voran das eindrucksvolle Rollenportrait und Debut der Salome von Evmorfia Metaxaki.       

Achim Dombrowski

Copyright: Jochen Quast

 

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