The Medium im Theater Hamburg: Allein. Ganz allein

Xl_d7504e97-a63c-4d02-a03a-557934c78f31 © Lennart Nielsen

The Medium
Premiere am 08.09. 2022

Hochschule für Musik und Theater Hamburg

Theaterakademie Hamburg im Rahmen der Reihe junges forum Musik und Theater

Noch immer pandemie-bedingt bringt die Hochschule für Musik- und Theater Hamburg eine Produktion von Peter Maxwell Davies The Medium verzögert auf die Bühne 

Als Abschluss-Inszenierung bringt die Opernregisseurin Daniela Victoria Kiesewetter ein selten gespieltes, ausgesprochen anspruchsvolles Monodram von Peter Maxwell Davies auf die Bühne der Musikhochschule Hamburg: The Medium. Das Werk, oder besser die Wahnvorstellung, war von Davies eigens für die Mezzosopranistin Mary Thomas kreiert worden, die sich auch für andere Kompositionen des Komponisten eingesetzt hat.

Davies (1934 bis 2016) – einer der bedeutendsten englischen Komponisten - hat das Werk 1981 komponiert. Auch den Text hat er selbst geschrieben. Der Zuschauer erlebt bei einer Spieldauer von rd. einer Stunde eine Frau, die durch mannigfache Erfahrungen, Gefühle, Ängste geht. Weder die Protagonistin noch der Betrachter sollen und können sich sicher sein, ob die Erfahrungen Realität oder Wahn, eingebildet oder wirklich sind. Man fühlt sich zeitweise wie in der analytischen Kälte einer psychiatrischen Anstalt. 

Auf ihrem parforce-Ritt versetzt sich die Darstellerin in so unterschiedliche  Gestalten wie ein Dienstmädchen aus Cockney, eine vornehme Dame, ein rächender Priester, den Teufel, eine verängstigte Novizin, ein Vergewaltigungsopfer, einen tollwütiger Hund, eine Killerkrabbe und ein Wechselbalgkind. Niemals kann man sich sicher sein, ob die Sängerin ein Medium für hintergründige, womöglich schwarze Geheimnisse ist, oder selbst nur als ein Medium erscheinen will. 

Die besondere Herausforderung besteht darin, dass die Protagonistin nicht nur gänzlich allein auf der Bühne ist, sondern darüber hinaus auch keine weitere Unterstützung, wie etwa durch die Instrumente eines Orchesters oder auch nur eines Kammermusik-Ensembles, erhält. Das ermöglicht ihr einerseits, die Abend komplett durch ihre eigene Persönlichkeit zu prägen. Eine solche facettenreiche Darstellerin muss andererseits allerdings erst einmal gefunden werden.

Mit Constanze Hosemann ist dies glänzend gelungen. Die junge Sängerin hat die Partie erfolgreich im Rahmen ihrer eigenen Abschlussarbeit zum Masterexamen zusammen mit dem Regisseur Frank Hilbrich erarbeitet. Eine schwierigere und mutigere Wahl kann man sich nicht vorstellen. In der aktuellen Hamburger Aufführung meistert die Sängerin die Aufgabe mit überragender Bühnenpräsenz und Bravour. 

Dabei erhöhen die Regisseurin Daniela Victoria Kiesewetter und ihr Ausstatter Nimsuc Vargas in der aktuellen Produktion noch einmal die Anforderungen, indem sie die kaleidoskopartig-irrealen Momente der Handlung in die absolute Abstraktion steigern. Beginnend mit der maskenhaften Verfremdung der Augenpartie der Protagonistin, einer filigranen Kostümandeutung und einem Bühnenbild mit großen, transparenten Folien, die sich zeitweise auf von der Darstellerin nicht zu beeinflussende Weise bewegen sowie Scheinwerfern am Spielrand, die wie in einer Verhörsituation aufblitzen, werden der Sängerin in ihrem Auftritt – soweit möglich - alle wirklichkeitsnahen Erscheinungsformen genommen.  

Im Programmheft kann man dazu folgerichtig auch Skizzen betrachten, die solcherlei abstrakte Charakterisierungen im Rahmen der Szenefolge zeigen, wie zum Beispiel „Die Besserwisserin“, „Die Panische“ oder „Die Erhabene“.

Dazu gehört auch, dass der im englischen Original gesungene Text dem Zuschauer weder durch Übertitel noch im Programmheft oder durch nur kurze Betitelungen der Szenen angeboten wird. Dies wäre umso wichtiger gewesen als die Gesangsstruktur der Komposition mannigfachste Ausdrucksformen vorsieht, jedoch nicht in einem auch nur über kürzere Strecken durchgehaltenen rhetorischen Modus verfährt, der dem Zuhörer automatisch verständlich ist. Die Sängerin erfüllt alle diese Anforderungen souverän, aber kaum eine der Handlungselemente – wenn man vom Bellen des Hundes absieht – kann der Zuschauer verstehen oder einordnen. 

Dabei hat Davies die Texte bewusst kreiert, die Absurdität und gespenstische Folge der Situationen erdacht. Der Text – oder zumindest eine Betitelung der Szenen - hätte die hier möglicherweise angestrebte Abstraktion gar nicht relativiert, sondern den Effekt einer unkontrollierten Psyche sogar gesteigert.           

Die vom Komponisten beabsichtigte klaustrophobische Atmosphäre wird ein wenig unfreiwillig auch durch die nur sehr kleine Zahl der Zuschauer im Auditorium noch gesteigert, die den Künstlern mit viel Beifall danken. 

Achim Dombrowski

Copyright: Lennart Nielsen

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