Staatsoper Hamburg: "Ich bin nicht krank" - "Ich habe vor niemandem Angst" - wirklich?

Xl_12_salome_c_monika_rittershaus_klein © Monika Rittershaus

Salome
(Richard Strauss)

Premiere am 29.10.2023 

Staatsoper Hamburg 

Kein richtiger Tanz der sieben Schleier der Salome, kein Blut, kein abgeschlagener Kopf des Jochanaan, keine Tötung Salomes -  funktioniert das? 

Der Regisseur Dmitri Tcherniakov mit seinem bewährten Team Elena Zaytseva für die Kostüme und Gleb Flishtinsky für die Lichtregie zeigen eine Geburtstagsfeier für Herodes in einer geräumigen, renovierten Gründerzeitwohnung im bürgerlichen Umfeld der Jetztzeit. Die Kostüme könnten aus den extravaganten und unerschütterlich-farbenprächtigen, vor allem hochpreisigen Designerläden der teuersten Einkaufsstraßen der Welt kommen. 

Herodes selbst ist in einem rosafarbenen Anzug von besonderer Exaltiertheit gekleidet. Er sagt über sich „Ich bin nicht krank“ und „Ich habe vor niemandem Angst“. Wirklich ? Das Gegenteil ist wohl der Fall – er ergeht sich laufend in psychotischen Gesten und Äußerungen und versucht hilflos und manieriert die Gesellschaft in seinem Haue zu unterhalten. 

Unter den Gästen ist auch Jochanaan, ein Literat oder Philosoph, der eine gänzlich gegensätzliche Erscheinung ist: in einfachen Jeans und abgewetztem Jacket mit unachtsam gepflegtem Resthaar auf kahlem Kopf sagt er eine neue Weltordnung voraus. Salome ist von ihm angezogen. 

Als Jochanaan die Ehefrau des Gastgebers, Herodias, massiv beleidigt, weiß sich Herodes nicht anders zu helfen, als mit hilflosen Gesten und eifrigem Grinsen die moralischen Beschimpfungen weg zu grimassieren. Herodes und seine Frau hassen sich schon lange. Salome ist die Tochter von Herodias und Stieftochter von Herodes, der sie nur anekelt. Sie will eigentlich sofort wieder gehen, sucht dann aber eine Begegnung mit Jochanaan, bei der sie in einer hysterischen Fantasie sein Haar, seinen Körper und seine Lippen begehrt, letztere sie auch küssen will. Jochanaan weist sie von sich und wirft ihr dieselbe Verkommenheit wie ihren Eltern und der ganzen Gesellschaft vor. Salome ist endgültig gebrochen. 

Herodes will, dass Salome für ihn tanzt. Sie willigt erst ein, als er ihr schwört, ihr jedweden Wunsch zu erfüllen. Als Salome den Kopf des Jochanaan fordert, sind alle schockiert. Wie wird Herodes sein Versprechen erfüllen? 

Es gibt in der Inszenierung keinen Kopf des toten Jochanaan zu sehen und auch kein Blut. Jochanaan verlässt einfach mit seinen Büchern die Party. Salome wird auch nicht getötet, sondern sinkt am Ende in sich zusammen. 

Schon bei Salomes Tanz bietet Tcherniakov Unerwartetes. Wir sehen sie sich zunächst mit weißer Farbe das Gesicht bemalen, möglicherweise um ihre Gefühle besser zu verbergen. Herodes kleidet sie sodann in ein aufwändiges, türkises Tüllkleid, in dem sie wie ein hilfloses Mädchen wirkt, bevor man unwillkürlich an Lulu im Pierrotkostüm und ihren Tierbändiger denken  muss („Sie ward geschaffen (..) zu morden – ohne dass es einer spürt“).      

Zurück bleibt ein nicht aufgelöster Konflikt und ein verfluchtes Versprechen. Wie wird sich die Spannung dieser vollkommen hysterisierten Auseinandersetzung lösen? Was wird passieren? Wie wird eine Gesellschaft im Übergang, in tiefen Auseinandersetzungen und mit einem schwächlichen Charakter wie Herodes als Machthaber die Folgen erleben und wie wird sie diese bewerten und mit ihnen umzugehen versuchen? 

Jochanaan und Salome leben, aber noch nie blieben für den Betrachter der Salome so quälende Ungewissheiten. Ein inszeniertes schwarzes Loch. Ein gefährlicher Strudel, in dem der heutige Betrachter eine große Verunsicherung empfinden mag, jeder aus einer ganz eigenen, aktuellen, persönlichen oder gesellschaftlichen Perspektive, die er mit dem Gesehenen abzugleichen sucht. 

Asmik Grigorian ist eine glanzvolle Salome. Ihr großer internationaler Durchbruch gelang ihr mit dieser Partie bei den Salzburger Festspielen 2018. Seitdem gastiert sie in allen großen Opernhäusern. Die Sängerin hat sich in den letzten Jahren ein außerordentliches breites Repertoire erarbeitet.   

Bei einer großen Sängerdarstellerin wie Asmik Grigorian lässt sich das Geheimnis von Stimme und Wirkung ihrer Persönlichkeit nie wirklich befriedigend in Worte fassen. Eine Besonderheit liegt auch darin, dass sie niemals die Erzielung eines stimmlich-klanglichen Effekts über die Diktion des Wortes stellt. Gelingt diese angestrebte, anspruchsvolle Gratwanderung einer perfekten Balance von Stimme und sprachlicher Diktion, kommt es immer wieder zu einer besonderen Glaubwürdigkeit ihrer Darstellung. Natürlich haben daran auch ihre grandiosen stimmlichen Ressourcen und die Aura der Künstlerin ihren erheblichen Anteil.  

Kyle Ketelsen ist nicht der röhrende Wagner-basierte Bass-Bariton, der als Jochanaan einen wahnsinnigen, gottverlorenen Eiferer portraitiert, sondern ein Sänger, dessen Stimme durch Mozart-Partien geprägt ist. Er verkörpert einen den dekadenten Erscheinungen der ihn umgebenden Gesellschaft enthobenen Künstler und Philosophen, der seine Gedanken und Wünsche im Verhältnis zu anderen Darstellern der Rolle ungewohnt zurückhaltend singt, jedoch nicht weniger durchdringend zu Wirkung und Darstellung bringt. Ein äußerst gelungenes – auch darstellerisch engagiertes - Rollendebut des amerikanischen Sängers. 

John Daszak bildet in seiner gesanglichen und darstellerischen Kompetenz als Charaktersänger den psychisch labilen, unberechenbaren und gefährlichen Mittelpunkt dieser dekadenten Gesellschaftsstudie. Er hat diese Partie auch in der zitierten Aufführung bei den Salzburger Festspielen 2018 an der Seite von Asmik Grigorian vertreten. 

Violeta Urmana tritt nach ihrer grandiosen Klytämnestra Interpretation in Tcherniakovs Elektra-Inszenierung in der vorletzten Spielzeit in Hamburg nunmehr als Herodias auf und findet für die zerrüttete Partnerschaft mit Herodes und im Verhältnis zu ihrer Tochter Salome einen überzeugenden gesanglichen Ausdruck. Sie trägt ein Kostüm wie eine Mischung aus Königin der Nacht und alter Gräfin aus Pique Dame. 

Klangschön und textverständlich sowie schauspielerisch überzeugend präsentieren sich auch Oleksiy Palchykov als Salomes Verehrer Narraboth sowie Jana Kurcová als Page.     

Das Philharmonisches Staatsorchester mit seinem Chefdirigenten Kent Nagano spielt die vielschichtige und anspruchsvolle Partitur durchhörbar und mit Durchschlagskraft. Ein wenig überraschend, dass Kent Nagano diesmal die Dynamik des großen Orchesterapparates tendenziell eher im Fortebereich ansiedelt, durchaus im Gegensatz zu vielen vorangegangen Produktionen, in denen der Maestro immer wieder dezidiert die leisen, kammermusikalischen und liedhaften Akzente maßgeblicher zur Wirkung kommen ließ.     

Tosender Beifall und Jubel wie in Hamburg schon seit sehr, sehr langen Jahren nicht mehr, einige wenige wütende Buhrufe für Nagano im ersten Moment; ungeteilte Zustimmung für die Regie.      

In Wien dirigierte inzwischen Hamburgs Musikchef in spe, Omer Meir Wellber, ebenfalls eine musikalisch spannende Interpretation der Salome ganz anderer Art. Da darf schon Vorfreude aufkommen auf die Stabübergabe von Kent Nagano an den neuen Generalmusikdirektor in 2025 – die Orchesterleitung wird in engagierten und kreativen Händen bleiben.   

Achim Dombrowski

Copyright: Monika Rittershaus

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