Spielzeiteröffnung in Frankfurt: Verdorrte Landschaften, verlorene Liebe

Xl_4098_manonlescaut17_gross © Barbara Aumüller

Manon Lescaut

(Giacomo Puccini)

Oper Frankfurt

Premiere am 6. Oktober 2019

Besuchte Aufführung: 9. November 2019

Wo ist heute die Notwenigkeit Puccinis Manon Lescaut neu zu inszenieren? Was sollen die emotionalen Kraftfelder der Musik aktuell bewirken? Über menschliche Gier, sexuelle Ausbeutung wurde schon manche Auseinandersetzung geführt. 

Der katalanische Regisseur Àlex Ollé aus der Theatergruppe La Fura dels Baus und die Videokunst von Emmanuel Carlier schlagen mit einem zu Beginn der Aufführung gezeigten, weniger als eine Minute dauernden Video den Bezug zu Flucht und Migration, zerrissenen Familienschicksalen, angstvollen Hoffnungen der Flüchtenden und Sorgen der zurückgebliebenen Familienangehörigen. 

Der Zeitbezug ist damit gesetzt: statt frühes 18. Jahrhundert - wie in der Romanvorlage zur Oper von Abbé Prévost - die gesellschaftlichen Dynamiken der Jetztzeit, in denen Migration, Zukunftsangst, tiefgreifende gesellschaftliche und wirtschaftliche Umwälzungen den Rahmen für Manons Schicksal setzen. Das Ergebnis ist verblüffend: mit weniger Anforderungen an das Abstraktionsvermögen der Zuschauer als heute eine Tatort-Folge erfordert, erlebt der Betrachter das Schicksal Manons in der Jetztzeit. Dabei helfen Alfons Flores und Lluc Castells, die Bühnenbild und Kostüme kreierten und die mit Àlex Olléauch schon in einer Reihe vorangegangener Produktionen zusammengearbeitet haben. Nicht zu unterschätzen ist die Lichtregie von Joachim Klein, der den Stationen des Übergangs und der Hoffnungslosigkeit zusätzlich zu den eindringlichen Bildern starken Ausdruck verleiht.   

Die Szene im ersten Akt ist geprägt vom Brutalbeton im Bahnhofsumfeld, archetypisches Sinnbild von Transition und dem zufälligen Aufeinandertreffen von Menschen aus allen Richtungen. Der zweite Akt zeigt ein aufdringlich buntes Nachtclub-Ambiente mit einer immer gleichen Verführungsmaschinerie tanzender und sich streckender junger Frauen und noch mehr gestrandeten Sehnsüchten. 

Zu Beginn erleben wir in Manon eine noch unbeschwerte junge Frau, die zunächst der Stimme des verliebten Des Grieux folgt, ihn jedoch schnell für die Scheinwelt Gerontes verlässt, der hier nicht steinreicher Steuereintreiber - wie in der Vorlage - ist, sondern eher eine Art regionaler Mafioso mit Geschäftsinteressen in der Sexindustrie. Das Leben im Nachtclub ödet Manon schnell an. Sie will erneut Des Grieux folgen und bittet ihn um Verzeihung. Die gemeinsame Flucht misslingt jedoch, Geronte zeigt sie an, sie landet im Abschiebelager. Des Grieux folgt Manon in die Deportation, nachdem ein letzter Befreiungsversuch gescheitert ist. Die Liebenden sterben wie in einem Death Valley der Vereinsamung und Entmenschlichung unter der die Bühne ausfüllenden, aber erloschenen Leuchtschrift LOVE .

Das Konzept ist zwingend und es gibt kein Entrinnen aus den glaubhaft nachvollziehbaren Szenen aktuell dokumentierter Migrations- und Elendskorridoren, die an nicht wenigen Brennpunkten in und um Europa entstanden sind.      

Die Umsetzung des Konzeptes lebt von der emotionalen Darstellung der Hoffnung auf sozialen Aufstieg und Menschenwürde sowie den noch verzweifelteren Abstürzen in Orientierungslosigkeit und Vereinsamung, die viele erleiden. 

Unfassbar stark die Sängerdarsteller, die Intendant Bernd Loebe mit seinem Team in Frankfurt zusammengestellt hat. Zu Asmik Grigorian und ihrer Wirklichkeit gewordenen Traumerscheinung als Weltklasse-Sopranistin nach der Salome bei den Salzburger Festspielen 2018 ist bereits alles geschrieben und gewürdigt worden. Besonders eindrücklich an ihrer Frankfurter Manon ist ihre kühle, verführbare, lange ganz auf sich selbst gerichtete Stimm- und Darstellungsqualität, bei welcher sie erst im Tode „Sola, perduta, abbandonata“ ihre Fehler erkennt und zur Liebesbeziehung mit Des Grieux fähig wird. Hier steht kein übertriebener Puccini-Schmelz zwischen dem Zuhörer und der gezeigten harten sozialen Wirklichkeit.         

Neben ihr brilliert Joshua Guerrero als berührender Des Grieux. Der junge Amerikaner gibt in Frankfurt mit dieser Partie sein Deutschland-Debüt und ist der ideale Partner der Grigorian. Das leuchtende Stimmmaterial weiß der Sänger mit makelloser Kantilene zu verbinden und die disziplinierte Stimmführung vermeidet jedweden, gerade in dieser Produktion überflüssigen Schluchzer.

Mit grandioser, jugendlicher Spielfreude und unverbrauchter, gut sitzender Baritonstimme überzeugt Iurii Samoilov als Bruder Manons. In schwarzer Ballonseide stolpert er auf dem Weg in die Verheißung der Migration nach Europa zwischen Glückspiel und „einfühlsamer“ Begleitung seiner Schwester durch die neue Welt.  Der ukrainische Bariton war Mitglied im Opernstudio Frankfurt und wurde ins Ensemble übernommen, wo er in einer ganzen Fülle von breitgefächerten Partien brilliert. Zukünftige Engagements führen ihn zu den großen Opernhäusern rund um die Welt. 

Perfekt besetzt auch die Rolle Gerontes mit Donato di Stefano, der es in seiner Rolle als scheinbar verständiger Helfer Manons auf nichts weiter als die Ausnutzung ihrer körperlichen Reize absieht und sofort nach dem Staat ruft, wenn sie ihm nicht gefügig ist. Di Stefano weiß dies stimmlich und darstellerisch mit einer bitteren Verbindung ins Buffofach zu kombinieren, wobei die Komik eben schnell auch tödlich wird.     

Auch die weiteren Solopartien konnten überzeugen. Der Chor der Oper Frankfurt unter der Leitung von Tilman Michael ließ stimmlich keinen Wunsch offen, wobei er sich mit sichtlicher Spielfreude in das Konzept einfügte.      

Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester wurde bei der Einstudierung der Neuproduktion gleich von zwei Dirigenten begleitet: Lorenzo Viotti und Takeshi Moriuchi. Das Abenddirigat lag in den Händen von Moriuchi, der neben der gelungenen Ausarbeitung der nicht wenigen sensiblen Solopartien diverser Instrumente eine zügige Gangart bevorzugte, die ganz im Stil der Regie keine übermäßigen Sentimentalitäten zulässt. Das Orchester konnte jedoch in den Tutti auch bis hin zum fein abgestimmten Paukenwirbel fauchen, um an den dramatischen Stellen kraftvolle Akzente zu setzen. 

Das Publikum jubelt. Mit dieser ersten Neuproduktion der Spielzeit gelingt der Oper Frankfurt bei komplett ausverkaufter Aufführungsserie ein außerordentlicher Erfolg! 

Achim Dombrowski 

Copyright Photos: Barbara Aumüller

| Drucken

Mehr

Kommentare

Loading