Schwerins Tannhäuser im gender trouble

Xl_1db7ad81-5b73-407c-8e25-d3c3ba4dda2b © Silke Winkler

Mecklenburgisches Staatstheater Schwerin

Richard Wagner

Tannhäuser

Premiere am 16. September 2022

Bei Wagner geht das so: Tannhäuser ist heimlich in den Venusberg geflohen. Nachdem er der den sinnlichen Verführungen überdrüssig geworden ist, flieht er zurück in den Kreis seiner Freunde und Sänger, um an einem Sängerwettbewerb teilzunehmen und Elisabeth, die sich zu ihm hingezogen fühlt, wieder näherzukommen. Als er angesichts der angestrengten, moralin-sauren Vorhaltungen spontan seinen Aufenthalt im Venusberg gesteht, kann nur die Fürbitte Elisabeths ihn vor Gewalt bewahren. Er zieht nach Rom, um den Papst um Vergebung zu bitten, die er erst nach dem Opfertod Elisabeths gewinnt.        

Das seinerzeit revolutionäre Potential dieses romantischen Strebens nach Einheit von geistiger Liebe und körperlichen Begehrens liegt für den Schweriner Operndirektor Martin G. Berger – anders als in den romantischen Opern Richard Wagners - nicht in der Transzendenz, in welcher erst nach dem Tode der Liebenden und durch die Aufopferung der Frau für den Mann eine Vereinigung möglich erscheint. 

In seiner Hinterfragung des Tannhäuser überträgt Berger die Handlung in die heutige Zeit. Er stellt die Frage, ob nicht durch eine zunehmend nicht-binäre Rollenzuschreibung der Geschlechter – wie in der LGBTQI*-Community - ein durch Solidarität und Achtung getragenes, offeneres gesellschaftliches Miteinander möglich ist, welches durch Anerkennung unterschiedlicher – nicht nur sexueller - Identitäten und Lebensweisen gekennzeichnet sein könnte. 

Ein solches Narrativ auf Wagners Tannhäuser zu übertragen, erscheint zunächst unmöglich. Und doch kommt Berger erstaunlich weit in seiner Bühnenumsetzung für die Spielzeit-Eröffnungspremiere des Mecklenburgischen Staatstheaters. 

Eine wichtige Rolle spielt die Videokunst von Daniel M.G.Weiß: In der Ouvertüre erleben wir auf bühnengroßer Leinwand die Lebensgeschichte Tannhäusers von Geburt in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, über Kindheit, Jugend, das Zusammentreffen und die Heirat mit seiner Frau Elisabeth sowie Geburt und Aufwachsen zweier Kinder der gemeinsamen Familie. Die Lebensepisoden sind begleitet durch unbestimmte sexuelle Irritationen bei der Ausprägung der individuellen sexuellen Identität Tannhäusers. Dies ändert sich jedoch abrupt in der zweiten Lebensphase, wenn Vater-Tannhäuser seine Familie unvermittelt verlässt und Teil einer Travestiegruppe von Drag Queens im Venusberg wird.    

Die Rückkehr Tannhäusers im zweiten Akt zeigt die Heimkehr in die vertrauten vier Wände eines familiären Zuhauses. Um seine endgültige Verbindung zu Elisabeth zu bestätigen, bietet er ihr nunmehr die Heirat an, welcher Elisabeth freudig entgegensieht. Der Sängerwettbewerb hat eher den Charakter eines ländlichen Volksfestes, auf dem traditionell auch Kunstlieder gesungen werden. Nach Tannhäusers coming-out wirkt der Beinahe-Übergriff eines der Sänger wie der verkrampfte Moralvortrag eines überforderten Rechtsradikalen, der von den anderen Festteilnehmern zurückgehalten wird. 

Tannhäusers Orientierungssuche bei der institutionellen Instanz der katholischen Kirche im dritten Akt scheitert erwartungsgemäß an derer rigiden Haltung. Ganz anders verhält sich Elisabeth mit den Kindern:  mit zaghaften Gesten gehen sie auf die Mitglieder der Travestiegruppe zu. Das Ensemble versammelt sich zum Schlusschor wie zu einem Appell an das Auditorium. Anders als in der Vorlage soll die Gemeinschaft zu einem friedlichen Zusammenleben auf der Basis der Anerkennung abweichender Identitäten und Lebensformen finden, und zwar nicht erst durch das Opfer eines Menschen und in der Transzendenz, sondern in einer offenen Gesellschaft hier und jetzt.  

Es ist auffällig, dass Tannhäuser trotzdem nirgends eine rechte Heimat findet: in der backstage-Tristesse der Travestieszene werden gewalttätige Übergriffe gegen Schwule deutlich. Ebenso in der Volksfestszene, wo es ebenfalls unvermittelt zu gewaltbereiten Begegnungen nach Tannhäusers coming-out kommt. 

Einen wesentlichen Anteil am Gelingen dieses Konzeptes trägt das Bühnenbild von Sarah-Katharina Karl, das wiederholt Schilfstauden zeigt, am Anfang undurchdringlich, später immer weniger bis zur totalen Domestizierung im Kirchenraum. Schilf umrandet Wasser- oder Mooroberflächen. Schon im Eingangsvideo mag Tannhäuser mit dem See – der vielleicht geheimnisvollen und unergründlichen Chiffre der Romantik – nicht in Berührung kommen, genau wie er die unergründlichen Elementen seiner Individualität zu verdrängen versucht.   

Erstaunlich wenige Textanpassungen sind bei dieser Umsetzung erforderlich: zum einen singt Elisabeth anlässlich Tannhäusers‘ Verteidigung von sich selbst als Gattin anstatt von Jungfrau. Auch gibt die Travestie-Venus niemals Tannhäusers Seele auf: statt Weh mir! Verloren!  am Ende des dritten Aktes, erklingt ein bestimmtes Ah! Wiedergeboren!  Die Textanpassungen sind sicherlich mit Katharina Wagner abgestimmt. Oder etwa nicht?

Gnadenlosen Einsatz zeigt Heiko Börner als Tannhäuser. Die Stimme trotzt der mörderischen Partie und zeigt keine Ermüdungserscheinungen. Die Textverständlichkeit ist makellos, das Spiel in diesem kreativen Konzept bedingungslos. Camila Ribero-Souza gelingt sängerisch und darstellerisch eine makellose Verbindung zwischen den transzendenten Tönen der Elisabeth mit einer darstellerisch heutigen Frauenrolle, die den Brückenschlag zu ihrem Tannhäuser trotz der Fremdheit gehen will. 

Julia Rutigliano hat sichtlich Spaß an einer Venus im Travestie-Fummel. Mit immer neuen perlenbesetztem Glitter und einem Mezzo mit Spannkraft und kraftvollem Auftrumpfen verfolgt sie Tannhäuser auf seinen Wegen des Zweifelns und der Irritation. Dass sie sehr kurzfristig vor der Premiere eingesprungen ist, merkt man ihrem mitunter mokanten Spiel nicht an.   

Der Wolfram von Brian Davis überzeugt stimmlich und darstellerisch in der Freundesrolle zwischen Elisabeth und Tannhäuser und Elisabeths Vater Hermann wird überzeugend von Renatus Mészár gegeben.

Die Sänger des Volksfestes werden von Marius Pallesen, Martin Gerke, Sebastian Köppl und Young Kwon in individualisierten Charakterstudien verkörpert, der junge Hirte wird von Marie-Louise Tosheva glockenhell gesungen.

Der Opern- und Extrachor des Mecklenburgischen Staatstheaters singt und spielt mit viel Ausdruck und Spielfreude.  

Die Mecklenburgische Staatskapelle unter ihrem Chef Mark Rohde weiß ein differenziertes, stets mit der Bühne ausbalanciertes, zupackend-zügiges und transparentes Klangbild zu schaffen, das den diffizilen Solisten- und Chorszenen immer gerecht wird. 

Dass eine solche Neuinterinterpretation überhaupt so überzeugen kann, hängt an vielen weiteren Details, insbesondere auch an einer einfallsreichen Personenführung. Vor allem aber an einem Ensemble, das sich mit Haut und Haar für die Realisierung dieser Bühnenfassung in die Bresche wirft.  Genau das ist in Schwerin geschehen. Das Ineinandergreifen vieler weiterer Elemente kann hier im Detail nicht wiedergeben werden. Diese Produktion muss man einfach selbst erleben und darf sie nicht verpassen! 

Die Publikumsreaktion war erwartungsgemäß gemischt. Viel begeisterter Applaus für die musikalische Seite. Ein nicht ganz kleiner Teil protestierte gegen das ungewohnte Konzept, aber die Mehrheit gab demonstrativ ihrer Zustimmung durch viele Bravos Ausdruck. 

Achim Dombrowski

Copyright: Silke Winkler

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