Schaukel der Sehnsüchte - Eugen Onegin zur Spielzeiteröffnung in Lübeck

Xl_tl_2023_24_eugen_onegin_09-279__c__jochen_quast © Jochen Quast

Eugen Onegin

(Peter Tschaikowsky)

Theater Lübeck

Premiere am 02.09.2023

Die Regisseurin Julia Burbach bringt Tschaikowskys Eugen Onegin in Lübeck als Vexierspiel der Sehnsüchte und Träume auf die Bühne. In den vielfach wechselnden, immer farbigen Kostümen von Bettina John und einer kunstvoll ausgestalteten Lichtregie von Falk Hampel durchwandeln Tatjana und Onegin die Stadien ihrer Begegnungen, der aufkeimenden Sehnsucht, Zurückweisung und Reue wie in einem (Alp-)Traum.

Während zu Tatjanas Mädchenzeit die Szene noch gleichsam die unwirkliche Anmutung eines unschuldigen Kinder-Sommernachtstraums in sich trägt, wandelt sich diese auf dem Ball in der Spätsommer-Atmosphäre in eine Fremdheit irrealer Traumwelten, die schließlich in der tödlichen Duellszene zwischen den Freunden Onegin und Lenski enden. Lichtregie und Ausstattung mit ihren irisierenden Facetten, wiederholt eingesetzte leuchtende Bilderrahmen und Fadenvorhänge schaffen selbst in einer Welt ländlicher Unschuld intensive Sehnsuchtsszenarien, Träume und Bedrohungen. Einen besonderer Effekt macht der künstlich gedehnte Arienvortrag Triquets – bewegend vorgetragen vom jungen, neuen Ensemblemitglied Noah Schaul.

Die große Ballszene im Petersburger Palast des Fürstin Gremin, den Tatjana nach der Zurückweisung durch Onegin schließlich Jahre später geheiratet hat, mündet in eine schwarz-rote, laszive Walpurgisnacht der hohen Petersburger Gesellschaft, deren Teil Tatjana schließlich äußerlich geworden ist und die ihr doch ewig fremd bleiben muss. 

In diesem Veitstanz tauchen Gestalten wieder auf, denen Onegins Gewissen nicht entfliehen kann. Eine weinende Olga mischt sich ebenso unter die Ballgäste wie der im Duell von Onegin getötete Freund Lenski - Olgas Verlobter - , beide Opfer  von Onegins Verhalten.  

Entkommen kann Tatjana der Stadtwelt sodann trotz des Werbens Onegins - und ihrer wieder eingestandenen Liebe zu ihm - dennoch nicht. Hält sie sich allein an ihr Eheversprechen oder ahnt sie, dass sich ihre eigene und Onegins Welt nie wirklich vereinen können? 

Das Bühnenbild von Agnes Hasun und eine vielfach eingesetzte Drehbühne schaffen fließende Übergänge zwischen den Szenen und eröffnen wie mit cineastischen Mitteln unerwartete Wandlungen und (psychologische) Einblicke. Die Konstruktion einer dreh- und wandelbaren, teils durchlässigen Raum- und Wandstruktur unterstützt die Effekte. Sie ist jedoch überdimensioniert geraten, so pompös kann selbst ein Großfürst zur Zarenzeit nicht bauen. Mit den Fadenvorhängen werden dann jedoch geschickt intime Begegnungsräume geschaffen.    

Die Inszenierung zeigt ihre Stärke immer dann, wenn sie sich schmerzhaft in die Sehnsüchte der Protagonisten einfühlt, so z B in der Briefszene Tatjanas, die sie bei Puschkin/Tschaikowsky allein durchlebt, hier aber durch den von ihr selbst herbeigesehnten Onegin zärtlich begleitet wird. Ganz von weitem erinnert diese Traumdeutung an die Umsetzung von Stefan Herheim in  seiner Amsterdamer Produktion, in der das Paar ebenfalls gemeinsam auf der Szene agiert.   

Bewegend schließlich, wenn - in einer weiteren Traumszene - Onegin seinen Kopf zärtlich in Tatjanas Schoß legt, während noch ihr Ehemann Gremin das Hohelied seiner Liebe auf Tatjana singt. 

Eine Schaukel begleitet den verliebten Traum- und Schwebezustand Tatjanas von den Mädchenzeiten bis in die Briefszene, in welcher sie sich schließlich den geliebten Onegin auf ihre Schaukel träumt.    

Evmorfia Metaxaki hat sich mit der Rolle der Tatjana ein neues Juwel ihres weitgespannten Repertoires erarbeitet. Die Sängerin ist eine der beeindruckendsten Mitglieder des Lübecker Ensembles. Nach der Salome in der letzten Spielzeit  erfordert die Darstellung der Tatjana ganz andere stimmliche und darstellerische Fähigkeiten, die die Sängerin bravourös meistert. Ihre klangschöne Sopranstimme vermag den mädchenhaften Zügen zu Beginn wie den fraulichen, reiferen Komponenten im Petersburg-Akt mit Verve und vielschichtigem Timbre zu entsprechen.   

Onegin ist der Amerikaner Jacob Scharfman. Ausgebildet an der Julliard School, war er Teilnehmer am Merola-Programm in San Francisco und der Meisterklasse von Yannick Nézet-Séguin (Chef der Metropolitan Opera). Seit letzter Spielzeit ist er im Festengagement am Lübecker Stadttheater, was ihm Auftritte in großen und mittleren Rollen sichert, wie dieses großartige Rollendebut als Onegin.   Sein vielseitiger und klangschön geformter Bariton ist sicher geführt. In den Ensembleszenen kann Scharfman sich perfekt auf seine Partnerin einstellen und auch in Momenten stimmlicher und emotionaler Ausbrüche überzeugt die Stimme ohne ihren warmen Schmelz zu verlieren.

Bei idealer physischer Erscheinung gelingen die Momente in den Begegnungen mit Tatjana bewegend. Auch die Hinwendung zu Lenski, um ihn in seiner Verärgerung und Eifersucht zu beruhigen, ist menschlich anrührend. Es wird eine Freude sein, die weitere schauspielerische Entwicklung dieses Sängerdarstellers in Produktionen mit anderen, ebenfalls den Darstellern so zugewandten Regisseurinnen und Regisseuren, zu erleben.            

Eine traumwandlerische Gratwanderung bietet der Brasilianer Gustavo Mordente Eda als Lenski. Mit seinem samtweichem, ätherischen Tenor gibt er als verträumter Dichter einen in seiner Fragilität äußerst verletzlichen Menschen. Vielleicht hat seine sehr spezielle, tiefe Auseinandersetzung und Ausbildung in traditioneller japanischer Musik ihren Anteil an der sanften Eindrücklichkeit seines Auftritts in seinem Rollendebut. Der Tenor ist Mitglied im Lübecker Opernstudio und man darf auf seine weitere Entwicklung gespannt sein.     

Laila Salome Fischer gibt eine sing- und spielfreudige Olga, die zunächst ganz das lebensfrohe Gegenbild zum introvertierten Mädchen Tatjana darstellt, doch gebrochen wird durch den Tod des geliebten Dichters Lenski im Duell mit Onegin. Die Sängerdarstellerin vermag auch die in dieser Partei in Teilen kurzen Auftritte sehr rasch und intensiv mit den emotionalen Inhalten zu erfüllen.    

Julia Grote als Gutsbesitzerin Larina und Edna Prochnik als Amme Filipjewna singen und spielen engagiert und mit fulminanten Stimmen. Dankenswerterweise verschonen beide Sängerinnen das Publikum mit den üblichen russischen Alt-Frauen-Klischees.  

Rúni Brattaberg gibt einen grundsoliden Fürsten Gremin. Das weitere Ensemble rundet die Besetzung perfekt ab. Der stimmlich überzeugende Chor (Leitung Jan Michael Krüger) hat sichtlich und hörbar Freude an seinen Aufgaben in den stets wechselnden Kostümen. 

Das Philharmonische Orchester der Hansestadt Lübeck unter seinem Generalmusikdirektor Stefan Vladar spielt engagiert und lässt sich sehr flexibel auf spezifische Abstimmungen mit dem Regiekonzept ein, wenn z B die Arie Triquets in dieser Umsetzung extrem gedehnt wird. Unsauberkeiten bei den Übergängen zwischen den Instrumentengruppen und Wackler mit der Bühne werden sicherlich in der weiteren Arbeit nach diesem Spielzeitstart verschwinden.     

Noch nie habe ich das Lübecker Publikum so begeistert die Künstler - allen voran die Tatjana der Evmorfia Metaxaki - feiern hören wie zu dieser gelungenen Spielzeiteröffnung. 

               

Achim Dombrowski

Copyright: Jochen Quast

 

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