Rettet das Gold ! Rheingold als anspruchvolles Projekt der Hochschule Hamburg

Xl_dsc_9254__1_ © Fotos: http://engerfoto.de/

Fast wäre sie – wie so Vieles andere – komplett Corona zum Opfer gefallen, die erste (sic - !) komplette Aufführung eines Werkes aus Wagners Ring-Zyklus an einer deutschen Musikhochschule – wie wir vom Leiter des Jungen Forum Musik und Theater, Peter Krause in den einleitenden Worten des Livestream erfahren. Die Musikhochschule Hamburg musste ihren Plan, das Werk ungekürzt mit Orchester aufzuführen, nun allerdings schon im letzten Frühjahr Corona-bedingt aufgeben. Dafür entschied man sich nunmehr, eine gekürzte Fassung von rd. 75 statt 150 Minuten Länge im Rahmen der Serie Opera Concisa– einer Aufführungsserie von Operninszenierungen in gekürzter Fassung und mit reduziertem Orchester oder mit Klavierbegleitung -  herauszubringen. Die Umsetzung ist zugleich Prüfung für die Opernklasse. 

Das Rheingold ist der Vorabend des insgesamt vier abendfüllenden Werke umfassenden Ring-Zyklus von Richard Wagner. In diesem Opus Magnum entwickelt Wagner in nicht weniger als 15 Stunden Musik seine Weltsicht und Philosophie. Die äußere Handlung basiert auf Elementen der nordischen Sage. Dieses Gesamtkunstwerk bringt regelmäßig Bayreuth und auch die größten Bühnen der Welt an den Rand ihrer Kapazitäten und Möglichkeiten. Ein Wagnis also nicht nur für die Musikhochschule Hamburg.  

Der Regisseur und seit letztem Jahr der neue Lehrstuhlinhaber für szenisch-musikalischen Unterricht an der Hochschule für Musik und Theater (HfMT)  in Hamburg - Professor Christian Poewe - ist selbst ausgebildeter Schauspieler und seit Jahren praktizierender Opernregisseur. 

Poewe gelingt mit der Verknüpfung von Rheingold mit dem als kurzem Vorspiel vorangestellten Auszügen aus dem Freischütz, und dort insbesondere der Szene, in der Max von Kilian verspottet wird, aufzuzeigen, dass das Thema der verschmähten Liebe nicht nur bei Wagner, sondern auch andernorts in der Romantik als wichtiger Auslöser tiefgreifender menschlicher Verstörung und brutaler Gewalt aufgegriffen wird.  Als gedemütigter Max/Kasper aus dem Freischütz ist der Sängerdarsteller des Alberich aus dem Rheingold bereits im Freischütz-Vorspiel auf der Bühne, bevor er übergangslos zu seiner nächsten Abweisung durch die Rheintöchter in der ersten Szene des Rheingold weiter geht mit der bekannten Folge seiner Gewalt- und Eroberungsansprüche gegen die bestehende Gesellschaftsordnung, die ihm keine Heimat bietet.    

Diese Thematik wird noch weiter gefasst, wenn Wotan die in einer Rolle zusammengefassten Personen Fricka und Erda – seine beiden wesentlichen weiblichen Bezugspersonen – aufgrund seines Machtanspruchs und des damit zusammenhängenden Fluchs am Ende des Abends verliert und verzweifelt. Hier werden Handlungselemente der nachfolgenden Werke des Rings in ihrer Bedeutung angedeutet und geschickt vorgezogen.         

Die Bühne von Wiebke Horn und Karlotta Matthies arbeitet mit einfachen, aber überzeugenden Mitteln, ebenso überzeugen die einfallsreichen und charakter-gerechten Kostüme von Natascha Dick und Johanna Winkler.  

Vermutlich nicht nur bei der Musikhochschule in Hamburg sind Opernklassen in Deutschland heute ein derart globaler Ort für das Studium von Studenten aus aller Welt, dass bei dieser Rheingold Produktion nicht weniger als vier Sänger und Sängerinnen aus China kommen. 

Dies trifft auch auf den Alberich des Abends zu, Feng Sun. Die sprachlichen Anforderungen des Wagner‘schen Stabreims  sowie seine aus der deutschen Rhetorik entwickelte Musiksprache stellen für Lernende, die nicht im deutschen Sprachraum aufgewachsen sind, eine außergewöhnliche Herausforderung dar. Es ist eindrucksvoll zu sehen und zu hören, durch welche unterschiedlich gelungenen Phasen sprachlicher und musikalischer Aneignung der Sänger hindurch muss - sich sprichwörtlich hindurch kämpft - um aber schließlich beim Fluch – der zentralen Stelle des Abends – ein so eindrucksvolles Ausdrucksniveau zu erreichen. Feng Sun überzeugt mit dem ganzen Einsatz seines präsenten Körperspiels und ist eindrucksvoll in der Lage, die Bedrohung, die von dieser Figur ausgeht, zur Darstellung zu bringen.      

Der Wotan von Laurence Kalaidjian ist trotz seines Kostüms mit künstlichem Bodybuilder-Oberteil unter mittelblauem Anzug sowie trotz seiner intellektuellen Winkelzüge ein eher feinsinniger Göttervater, der immer wieder nachgerade hilflos um sich blickt und zum Beispiel bei Loge um Rat sucht. Mit seinen 25 Jahren vermag Kalaidjian stimmlich und darstellerisch die Balance zwischen ruchlosem Machtanspruch und Verletzlichkeit ausnehmend überzeugend über die Rampe zu bringen.       

Noah Schaul ist ein cooler, überzeugender Loge. Die Kammerfassung mit Klavierbegleitung scheint diesem jungen Darsteller in seiner Rollenanlage entgegenzukommen. Im Gegensatz zu anderen Protagonisten der Rolle outriert er niemals. In Dialogen mit Wotan vermittelt er diesem, dass er seine Verzweiflung, seine Ratlosigkeit und sein Scheitern durch seine Machtspiele selbst bewirkt hat.   

Erda und Fricka werden Kehan Zhao verkörpert. Der würdevolle Auftritt gepaart mit ihrem souverän-fließenden Mezzo schaffen ihr einen glaubhaften Auftritt als Ur-Wala und Hüterin der Ehe, vor der Wotan nicht anders als in großem Respekt zurückweicht, bzw. an derer beider Verlust er zu zerbrechen scheint.

In der Doppelrolle von Gott Froh und Zwerg Mime überzeugt mit facettenreicher Darstellungsfreude mit Drohpotential und flexibler Stimmführung Weilian Wang. Donner wird von Geng Lee überzeugend vertreten.

Mehr als angemessen abgerundet wird das Ensemble im Freischütz-Vorspiel vom Kilian des Maksymilian Skib sowie den Brautjungfern Gabriele Jocaite, Sophia Keiler, Andrezza Reis Ferrara und Mina Yyu.

Ebenso überzeugend agieren die mit hell-lila Perücken berückend singenden Rheintöchter von Natalija Valentin, Lanlan Zhan und Nora Kazemieh.            

Die musikalische Leitung hatte Willem Wentzel , der auch die gekürzte Werkfassung kreierte. Siegfried Schwab begleitete zuverlässig am Klavier.

Weiter geht’s für die Opernklasse jetzt – jedenfalls nach gegenwärtiger Planung  - mit der Einstudierung eines Werkes aus einer gänzlich anderen Epoche der Operngeschichte: Händels Rinaldo. Es ist zu hoffen, dass die Einstudierung zur Mitte des Jahres schon unter weniger Corona-Einschränkungen stattfinden kann und ebenso gut gelingt. 

Die Aufführung kann man auf dem YouTube Kanal der HfMT Hamburg kostenlos anschauen.

Achim Dombrowski

Fotos: http://engerfoto.de/

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