Perpetuating Music Hector Docx Wenn der Flügel nicht ausreicht

Xl_b7259c33-cf24-4c51-9a37-eed919cd9161 © Hayley Austin

Ein junger Brite in Hamburg- Gespräch mit dem Pianisten und Komponisten Hector Docx

Perpetuating the Music - Opera Online stellt in einer neuen Serie junge Komponisten und deren Werdegang, Visionen und Pläne für die nächsten Jahre vor

Von England nach Deutschland fürs Klavierstudium

Als Hector Docx 2010 von Manchester nach Hamburg zum Klavierstudium an die Hochschule für Musik und Theater kam, ahnte er selbst noch nicht, was alles auf ihn zukommt. Er war mittlerweile Stipendiat der Horst und Gretl Will Stiftung in Köln und ist ein ausgewiesen erfolgreicher Pianist, der – wenn nicht gerade Corona regiert - sein Können in einer Vielzahl von Konzerten in Deutschland und Europa präsentiert. Darüber hinaus wurde er von der Deutschen Botschaft in Caracas zusammen mit der Delegation der Europäischen Union als Komponist und Pianist nominiert, um Deutschland bei dem European Soloist Festival zu repräsentieren. Die Initiative ist eine Zusammenarbeit zwischen der venezolanischen staatlichen Institution für Musik „El Sistema“ und der Europäischen Union. 

Aber da ist noch viel mehr – wie kam es dazu? „Ich wollte nicht immer nur alleine am Flügel sitzen. Ich hatte schon immer das Bedürfnis, alternative Formen der Publikumsansprache zu finden, Moderationen auszuprobieren, nach weiteren Kommunikationsformen zu suchen. Das habe ich in meinen Konzerten immer wieder anders umgesetzt“.  

Unruhe führte zum Festival Programmatisch dazu auch der Titel eines Festival, das Du 2016 an der Hochschule initiiert und moderiert hast: Klang der Unruhe„Mir ging es hier um die Wiederaufführung vergessener Komponisten der russischen Avantgarde in der Zeit vor der Oktoberrevolution 1917 und darüber hinaus, um die Frage, wie Komponisten ihren richtigen Platz in der Musikgeschichte erhalten“.

Für die Kreation und Umsetzung dieses Projektes erhieltest Du den DAAD Preis der HfMT Hamburg.Aber das Festival war auch ein Auslöser ganz anderer Art? „Ja, bei diesem Projekt hörte mich eines Tages auch mein Professor und überredete mich, einmal ein eigenes Stück zu schreiben. Das fand ich spannend. Und von da an kam ich vom Komponieren nicht mehr los“.

Ein besonders eindrucksvolles und anschauliches Beispiel ist das Helix-Projekt, ein Stück für Cello, Klarinette und Klavier Helix – wie kam es zu dieser Komposition?Für michist die Auseinandersetzung mit Menschen für die Inspiration wichtig. Es war daher ein besonderes Glück und eine besondere Ehre, als mich Professor Almir da Silva Mavignier und sein Sohn Delmar zusammen mit DAN Galeria, Sao Paulo 2019 mit einem Werk der besonderen Art beauftragt haben“.  

Almir da Silva Mavignier zählt zu den profiliertesten Vertretern der Konkreten Kunst sowie der Op-Art. Der international geschätzte Künstler stammt ursprünglich aus Brasilien und hatte bis zu seinem Tode 2018 eine Professur an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg, wo er auch lebte.Die Begegnung mit Almir hat mir vermittelt, dass ein erfahrener und reifer Künstler sein Publikum nicht immer an die Hand nehmen muss. Der Betrachter sollte sich vor allem auch durch seine Eigeninitiative das Werk erschließen. Dabei kann sich Kunst auf sehr individuelle, unterschiedliche und unerwartete Weise weiterentwickeln. Gerade diese individuelle inhaltliche Auseinandersetzung stellt oft besonderen Wert der künstlerischen Wirkung dar“. 

Worum ging es bei diesem Werk?Ich habe eine Re-Konzeptionalisierung von 16 Bildern des Malers angestrebt. Dabei versuche ich Farben, Kontraste und Dynamiken dieser Bilder in der Musik aufzugreifen und in einem Klangraum umzusetzen. Dadurch wird für den Betrachter ein neuer, erweiterter Wahrnehmungsraum bei Betrachtung der Bilder und gleichzeitigem Hören meiner Musik geschaffen“.      

Die gesamte Komposition kann man sich gleich zweimal auf der Webseite von Hector Docx anschauen. Einmal mit ausführlichen Kommentierungen durch den Komponisten selbst, wie auch als reine Spielversion. 

Und dann arbeitest Du ja auch mit Kindern?„Ja, bei meinem Projekt Little Symphony – New is Nowarbeite ich ganz unmittelbar in Schulen mit Kindern zusammen. Ziel des Projektes ist u.a die Vermittlung von Klangstrukturen zeitgenössischer Kompositionstechniken für Kinder, bzw. im frühen Alter, so dass die Klangerlebnisse neuer Musik von jungen Leuten unbefangener aufgenommen werden können. Das soll für Komponisten und Hörer das zukünftige, unmittelbare Musikerlebnis ermöglichen oder zumindest erleichtern“.

Dafür kreierst Du auch eigene Kompositionen?„Ja, ich stelle mich dabei ganz auf die Bedingungen der jeweiligen Schule ein, mit der ich zusammenarbeite. Das kann konkret die Arbeit mit einem Schulorchester sein. Diese Projekte möchte ich in der Zukunft unbedingt weiter machen. Ich selbst lerne dabei viel über die Hörgewohnheiten und musikalische Aufnahmebereitschaft  der Menschen im allgemeinen“.    

Nun musst Du ja auch leben - gibt es dafür auch eine Unterstützung?„Für das Projekt mit den Schülern habe ich das Glück, dass ich letztes Jahr eine Projektförderung der Claussen-Simon-Stiftung in Hamburg erhalten habe“. 

Kommen wir zu Werken mit einer anderen historischen und sozialen Dimension: Du hast 2019 ein Auftragswerk der Stiftung Gedenkstätte Lindenstraße in Potsdam und der Kammerakademie Potsdam komponiert. Die Stiftung mit Museum erinnert an die Diktatur der NS-Zeit, die sowjetische Besetzung sowie die Geschehnisse des Stasi-Regimes und deren Überwindung.  Worum handelt es sich bei Deiner Komposition genau?„Bei meiner Komposition „Klänge hinter Mauern“ ging es mir darum, mögliche akustische Erfahrungen und das Grauen ehemaliger Inhaftierter des Stasi-Gefängnisses Lindenstraße in Potsdam wiederzugeben, soweit dies überhaupt vorstellbar ist. Besonders berührend waren für mich die Begegnungen und Gespräche mit Inhaftierten der Stasi, die berichteten, wie die versuchte Entmenschung ihrer Person auch durch die Verweigerung des Zugangs zu Kunst, Büchern und Musik  erreicht werden sollte. Es hat mir noch einmal die Augen geöffnet, wie wichtig Kunst für die Entwicklung des Menschen ist, und wie schnell autoritäre Regime wieder eine Bücherverbrennung initiieren können. Denn letzten Endes liegen die Verbrechen der Stasi im Verhältnis zur deutschen Geschichte nur einen Wimpernschlag entfernt“.  

Aber Deine Neugier ist ja noch nicht gestillt – Du planst, Dir noch ein ganz anderes musikalisches Format zu erschließen. Du planst die Komposition einer MedienOper? „Ja, zunächst in einem kleinen Format, mit vier oder fünf Musikern. Verschiedene Sänger und auch die Regisseurin habe ich schon. Und auch die Option auf einen Veranstaltungsort steht. Uraufgeführt werden soll die Oper im TONALi-Saal in Hamburg, einem Ort, bei dem ich weiß, dass meine Arbeit auch junge Menschen erleben werden“.

Es soll sich um ein heute aktuelles Thema handeln? „Ich sehe viele gesellschaftliche Bedrohungen durch die Wirkung digitaler Medien entstehen. Über die muss reflektiert werden. Warum können wir andere Meinungen nicht mehr ertragen? Wie kommt es zu diesen Vereinzelungen, diesen Einsamkeiten? Welche Ängste und Nöte entstehen? Die Übersprunghandlungen, die sich in monströsen Gewalttaten entladen, und zahlreiche Tote hinterlassen“. 

Werden die Themen nicht schon gesellschaftlich in aller Breite diskutiert?„Ich glaube mit den Mitteln des Musiktheaters eine weitere Dimension zur Erkenntnis beitragen zu können. Ich sehe zwar heute in den Opernhäusern immer wieder spektakuläre und eindrucksvolle Neuinterpretationen der Musiktheaterklassiker, die wirkungsvoll heutige Bedeutungsgehalte aufgreifen. Warum aber nicht ein neues Stück schreiben – meines Erachtens ist das Thema gesellschaftlich viel zu wichtig“. 

Das sind eine Menge Themen für ein einzelnes Musiktheaterwerk. Wie schaffst Du das in einem geeigneten Text zusammenzufassen?„Ich kann mit einem politisch engagierten Schriftsteller und Journalisten zusammenarbeiten, der schon zu einer Reihe gesellschaftlicher Themen Bücher publiziert hat und auch für führende internationale Zeitungen geschrieben hat“.  

Sind diese Themen nicht auch optisch schwierig umzusetzen?„Ideen zur szenischen Umsetzung gibt es schon und der TONALi-Saal bietet tolle technische Möglichkeiten, um die Zwischenwelten bewusster und unbewusster Einfluss-Sphären in Optik und Klang durch ausgetüftelte Multimedia-Projektionen erlebbar zu machen. Das wird auch für junge Zuschauer spannend sein. Außerdem werden wir mit der neuen Parti-App (für Partizipation) von TONALi arbeiten. Hier können sich Schüler und Jugendliche mit von ihnen selbst erstellten Inhalten, z.B. Texten und anderen (darstellerischen) Beiträge einbringen. Gerade das kann aktiv zu einer demokratischen Bewusstseinsbildung für diese wichtige Thema bei jungen Leuten beitragen“.      

Dann kann es ja sofort losgehen?„Na ja, das Problem ist wie immer das Geld: Ich bin auf Stiftungen und andere Initiativen angewiesen. Aber schließlich handelt es sich hier um ein wichtiges Thema zur Sensibilisierung unseres Demokratieverständnisses und unserer Werte sowie der aktiven Teilhabe bei der Erarbeitung des Themas durch junge Leute, so dass ich sehr hoffe, eine entsprechende Öffentlichkeit und letztlich Spenden für die Umsetzung des Projektes zu erhalten“.

Die Webseite von Hector Docx ist eine wahre Goldader an Informationen und vor allem Live Mitschnitten einer Vielzahl seiner Kompositionen. Hier kann man einen tiefen Einblick in das Kompositionshandwerk mit persönlichen Erläuterungen des Künstlers zu Inhalt, Form und intendierter Aussage gewinnen. Ein Blog mit journalistischen Eigenbeiträgen gehört ebenfalls dazu: hectordocx.com.

Achim Dombrowski

Copyright: Hayley Austin

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